Telefon statt Bühne

Bei Anruf Lyrik

Klaus Rodewald im Gespräch mit Britta Bürger |
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Wer derzeit in Stuttgart von Fremden angerufen wird, dem wird nichts verkauft, sondern Gedichte vorgetragen. Abonnenten des Lyriktelefons können sich an Gedichten von Nelly Sachs, Hölderlin oder Paul Celan erfreuen, live vorgetragen von Schauspielern.
Theater am Telefon gab es schon lange vor Corona. Man denke nur an das "Théâtrophone". Damit wurden Opern- und Theateraufführungen in die Salons des Pariser Bürgertums übertragen – live per Telefon. Marcel Proust war begeistert davon.
Oder das Projekt "Dial-A-Poem" des amerikanischen Performancekünstlers und Lyrikers John Giorno. 1968 hat er Gedichte auf Tonband aufgenommen, die man dann per Telefon abhören konnte.
Das sind die Anknüpfungspunkte des neuen Lyriktelefons - einer Kooperation des Deutschen Literaturarchivs Marbach mit dem Stuttgarter Schauspiel. Ab Montag kann man Zeitfenster buchen, um mit einem Ensemblemitglied zu telefonieren - unter anderen mit Klaus Rodewald.

Eins-zu-eins-Begegnung mit dem Hörer

"Es macht mir so viel Freude - das können Sie sich gar nicht vorstellen, also es ist richtig toll", zeigt sich der Schauspieler begeistert von diesem Projekt. Rodewald vermisst die Begegnung mit den Zuschauern. Schauspieler können seit dem Shutdown nicht mehr auftreten und es ist weiter fraglich, wann sie wieder auf der Bühne stehen dürfen.
"Uns ist natürlich unser Arbeitsmittelpunkt genommen worden", sagt Rodewald. "Und das ist die Eins-zu-eins-Begegnung mit dem Zuschauer, die immer da war. Und das ist natürlich jetzt durch das Telefon wieder eine Eins-zu-eins-Situation - und zwar im wahrsten Sinne des Wortes."
Rodewald ist sehr gespannt auf die Aktion, wie er sagt: "Ich habe noch gar keine Erfahrung damit. Der Raum ist auf jeden Fall gegeben für Kritik oder auch ein kurzes Gespräch." Für jeden Anrufer habe man 20 Minuten Zeit – "und die werden wir nutzen".
Da es sich hierbei für ihn und seine Kolleginnen und Kollegen um Neuland handelt, könne die Aktion sehr emotional in alle Richtungen werden, sagt Rodewald.

Von Montag bis Freitag zwischen 17 und 19 Uhr

Er berichtet von Studien, wonach sich bei gelungenen Theateraufführungen die Atemfrequenz und der Puls von Darstellern und Zuschauern angleichen: "Und wenn einem das gelingt, dann ist das gut - und man spürt diesen Atem." Manchmal habe man sogar "das Gefühl, man kann auf diesem Atem surfen", erklärt Rodewald und rezitiert "Hälfte des Lebens" von Friedrich Hölderlin.
Der Schauspieler Elmar Roloff neben dem Lyriktelefon.
Auch Elmar Roloff macht mit und trägt Gedichte am Telefon vor.© Björn Klein

Das Lyriktelefon ist von Montag bis Freitags jeweils zwischen 17 und 19 Uhr geschaltet. Angerufen wird, wer bis spätestens 12 Uhr mittags am Vortag kostenlos ein Zeitfenster über die Homepage des Schauspiel Stuttgart gebucht hat. Im Programm sind Gedichte von Nelly Sachs, Friedrich Hölderlin, Paul Celan, Gertrud Kolmar, Rainer Maria Rilke, Hilde Domin und Else Lasker-Schüler.

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