Durch das Reden über "Suizid" verstärken sich Suizidgedanken nicht.
Nehmen Sie Andeutungen ernst. Trauen Sie sich nachzufragen.
Hören Sie zu.
Geben Sie keine Ratschläge.
Bedrängen Sie nicht.
Haben Sie Respekt.
Ziehen Sie eine Grenze für sich selbst.
Wecken Sie keine falschen Hoffnungen.
Und noch einmal: Trauen Sie sich, direkt zu fragen.
Was Zuhören leisten kann
29:39 Minuten
Sich bei Depressionen und Suizidgedanken Freunden oder der Familie anzuvertrauen, ist oft schwer. Bei der Berliner Telefonseelsorge sitzen ausgebildete Ehrenamtliche am Telefon, sind jederzeit erreichbar und tun vor allem eins: zuhören.
"So ein Fall, der mir wirklich so sehr nachgegangen ist, war nachts eine Frau, die angerufen hat, die sehr geweint hat, wo der Sohn sich gerade am Tag das Leben genommen hatte. Das war eine sehr dramatische Situation, was ich sehr belastend fand und was bislang so mein schwierigster Anruf war."
Tag und Nacht ist das Zimmer in der Telefonseelsorge Berlin besetzt. Tag und Nacht können Menschen hier ihre Sorgen und Ängste loswerden. Bei ehrenamtlichen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen wie Andrea Bunkowski.
"Und sie hat dann viel erzählt von dem Tag und wie sie es erfahren hat und ist sehr ins Detail gegangen. Was, ich glaube, für sie sehr hilfreich war, weil sie zum Beispiel ihren Mann damit nicht belasten wollte. Da war sie ganz froh, dass der schlief und dass er das nicht mitbekommen hat, dass sie bei der Telefonseelsorge angerufen hat. Weil sie ihm das nicht zumuten wollte."
Tag und Nacht ist das Zimmer in der Telefonseelsorge Berlin besetzt. Tag und Nacht können Menschen hier ihre Sorgen und Ängste loswerden. Bei ehrenamtlichen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen wie Andrea Bunkowski.
"Und sie hat dann viel erzählt von dem Tag und wie sie es erfahren hat und ist sehr ins Detail gegangen. Was, ich glaube, für sie sehr hilfreich war, weil sie zum Beispiel ihren Mann damit nicht belasten wollte. Da war sie ganz froh, dass der schlief und dass er das nicht mitbekommen hat, dass sie bei der Telefonseelsorge angerufen hat. Weil sie ihm das nicht zumuten wollte."
Zuhören und nachfragen
Reden können – in großer Not und vor allem in großer Einsamkeit. Das macht die deutschlandweite Telefonseelsorge möglich. Und vielleicht kann sie auch Leben retten. Dafür jedenfalls hat sie sich einst gegründet, nach dem Vorbild des Londoner Pfarrers Chad Varah.
"Der war entsetzt über die hohen Suizidrate in London und hat eine Anzeige in die Zeitung gesetzt mit seiner Telefonnummer: Bevor Sie sich umbringen, rufen Sie mich an! Und dann hat er gleich so viele Anrufe bekommen, dass er sehr viele Mitarbeiter um sich scharen musste und eine Berliner Kollegin, die damals in London lebte, hat dann mit anderen zusammen 1956 die Stelle hier in Berlin gegründet."
Martina Kulms. Fast 20 Jahre arbeitete sie als Ausbildungsleiterin bei der Telefonseelsorge Berlin. Auch die Ehrenamtliche Andrea Bunkowski lernte von ihr die Arbeit am Seelsorge-Telefon. Zuhören sei das eine, das andere:
"Nachfragen, immer nachfragen! Das ist das Wichtigste, was man tun kann. Und ich glaube, dass jeder, der betroffen ist, der diese Gedanken hat, erleichtert ist. Weil man sich dann erkannt fühlt oder gesehen fühlt. Und ernst genommen fühlt."
"Der war entsetzt über die hohen Suizidrate in London und hat eine Anzeige in die Zeitung gesetzt mit seiner Telefonnummer: Bevor Sie sich umbringen, rufen Sie mich an! Und dann hat er gleich so viele Anrufe bekommen, dass er sehr viele Mitarbeiter um sich scharen musste und eine Berliner Kollegin, die damals in London lebte, hat dann mit anderen zusammen 1956 die Stelle hier in Berlin gegründet."
Martina Kulms. Fast 20 Jahre arbeitete sie als Ausbildungsleiterin bei der Telefonseelsorge Berlin. Auch die Ehrenamtliche Andrea Bunkowski lernte von ihr die Arbeit am Seelsorge-Telefon. Zuhören sei das eine, das andere:
"Nachfragen, immer nachfragen! Das ist das Wichtigste, was man tun kann. Und ich glaube, dass jeder, der betroffen ist, der diese Gedanken hat, erleichtert ist. Weil man sich dann erkannt fühlt oder gesehen fühlt. Und ernst genommen fühlt."
Über Suizid-Gedanken offen sprechen
In Deutschland nehmen sich über 10.000 Menschen jährlich das Leben. Statistisch gesehen können es heute wieder 27 Menschen gewesen sein. Doch darüber spricht man nicht.
"Ja, gut, in den Medien vielleicht. Aber im Familien- und Freundeskreis ist das kein Thema. Es geht immer darum, möglichst viel Spaß, möglichst in schöner Umgebung, möglichst von allem Schönen ganz viel: Essen, Trinken. Aber darum geht es nie, niemals. Ist ja auch kein schönes Thema."
Doch "das Thema" hat Karla letztes Jahr eingeholt, als sich eine Mannschaftskollegin im Sportverein das Leben nahm.
"Der erste Gedanke war eine Nachfrage: Wie? Wie ist das passiert? Die Ernsthaftigkeit, die wirklichen wichtigen Gedanken kamen erst später. Viel später. Waren wir aufmerksam genug? Denn wir haben gefeiert. Wir haben den Saisonauftakt oder Turnierspiel oder irgendwas haben wir gefeiert. Und haben uns gefreut, ein Bier zu trinken. Und keiner wollte auf dieses Vergnügen verzichten und ist auf die Idee gekommen zu sagen: Ich fahre mal jetzt hin. Die nahesten Freundinnen haben schon gewusst, dass es ihr nicht gut geht und dass sie sich getrennt hatte von ihrem Partner. Das wussten ja einige. Und dann waren sie aber an einem Tag halt einfach nicht da. Vielleicht wurden sie auch gar nicht gebraucht. Man weiß es nicht."
"Ja, gut, in den Medien vielleicht. Aber im Familien- und Freundeskreis ist das kein Thema. Es geht immer darum, möglichst viel Spaß, möglichst in schöner Umgebung, möglichst von allem Schönen ganz viel: Essen, Trinken. Aber darum geht es nie, niemals. Ist ja auch kein schönes Thema."
Doch "das Thema" hat Karla letztes Jahr eingeholt, als sich eine Mannschaftskollegin im Sportverein das Leben nahm.
"Der erste Gedanke war eine Nachfrage: Wie? Wie ist das passiert? Die Ernsthaftigkeit, die wirklichen wichtigen Gedanken kamen erst später. Viel später. Waren wir aufmerksam genug? Denn wir haben gefeiert. Wir haben den Saisonauftakt oder Turnierspiel oder irgendwas haben wir gefeiert. Und haben uns gefreut, ein Bier zu trinken. Und keiner wollte auf dieses Vergnügen verzichten und ist auf die Idee gekommen zu sagen: Ich fahre mal jetzt hin. Die nahesten Freundinnen haben schon gewusst, dass es ihr nicht gut geht und dass sie sich getrennt hatte von ihrem Partner. Das wussten ja einige. Und dann waren sie aber an einem Tag halt einfach nicht da. Vielleicht wurden sie auch gar nicht gebraucht. Man weiß es nicht."
Wann immer in der Zeitung über einen Suizid berichtet wird, findet sich darunter kleingedruckt die Frage: "Haben Sie Gedanken daran, sich das Leben zu nehmen?" Dann folgt die Nummer der Telefonseelsorge. Sie ist auch der erste Treffer bei Google wenn man das Wort "Suizid" eingibt.
"Wenn ich anderen Leuten erzähle, dass ich bei der Telefonseelsorge arbeite, sind sie oft ganz erschrocken und erstaunt. Und sagen: Was? Da rufen doch Leute an, die sich das Leben nehmen wollen? Und traust du dich dann zu fragen? Und dann sage ich: Ja, sicher."
"Wenn ich anderen Leuten erzähle, dass ich bei der Telefonseelsorge arbeite, sind sie oft ganz erschrocken und erstaunt. Und sagen: Was? Da rufen doch Leute an, die sich das Leben nehmen wollen? Und traust du dich dann zu fragen? Und dann sage ich: Ja, sicher."
Das Handwerk des Zuhörens erlernen
Ein Mittwochnachmittag in den Räumen der Telefonseelsorge Berlin. Regelmäßig trifft sich hier eine Gruppe mit zukünftigen Ehrenamtlichen. Sie wollen Telefonseelsorge lernen oder anders: das Handwerk des Zuhörens und Nachfragens – und auch das "Bei sich Sein".
"Das ist auch etwas ganz Wichtiges, wenn ihr später am Telefon arbeitet, dass ihr wirklich nicht abgejagt hier ankommt und all das, was vielleicht unterwegs passiert ist oder aus dem Arbeitsalltag noch euch beschäftigt, mit ans Telefon nehmt. Sondern wirklich immer erstmal innehalten, gucken, wie geht es mir, welche Themen habe ich, wie geht es mir psychisch, wie geht es mir körperlich. Und dann, wenn ihr das Gefühl habt, so, jetzt bin ich wirklich hier, und ich bin zur Ruhe gekommen – dann seid ihr auch bereit für die Anrufer. Also, auf geht es. Setzt euch bitte bequem und aufrecht hin."
Zwei Minuten lang widmen sich die Teilnehmer ganz ihrem Atem. Bis sie der zweite Gong zurückkommen lässt. Es folgt eine "Blitzlicht-Runde", jeder erzählt, was ihn in seinem Leben aktuell bewegt. Ich werde dafür aus dem Raum gebeten. Denn das ist das hohe Gut der Telefonseelsorge: die Wahrung von Intimsphäre und Anonymität – auch schon in der Ausbildung. Mit Max Hannsen habe ich mich separat zum Gespräch verabredet.
"Es weiß ein Mensch, meine Frau. Sonst weiß es niemand. Ist mein kleines Geheimnis. Ich habe das Gefühl, wenn ich es erzählen würde, würde ich damit angeben, dass man was Ehrenamtliches macht, dass man sowas ganz Anspruchsvolles macht. Telefonseelsorge … schwierige Geschichte. Und das will ich nicht."
Was hat Max Hannsen überhaupt bewogen, dieses doch spezielle Ehrenamt zu wählen?
"Es war immer schon die Vorstellung, so etwas machen zu wollen – warum auch immer. Manche Sachen kann man erklären, manche nicht – und dann las ich in einem Artikel in der ‚Berliner Zeitung‘, dass männliche Telefonseelsorger gesucht werden und dass es da einen Bedarf gibt. Und das war dann der Punkt, wo ich gesagt habe: Okay, jetzt melde ich mich, und jetzt mach ich es, gekoppelt auch ein bisschen mit meiner damaligen Lebenssituation, Übergang vom Arbeitsleben in die Rente. Das hat alles so gepasst."
"Das ist auch etwas ganz Wichtiges, wenn ihr später am Telefon arbeitet, dass ihr wirklich nicht abgejagt hier ankommt und all das, was vielleicht unterwegs passiert ist oder aus dem Arbeitsalltag noch euch beschäftigt, mit ans Telefon nehmt. Sondern wirklich immer erstmal innehalten, gucken, wie geht es mir, welche Themen habe ich, wie geht es mir psychisch, wie geht es mir körperlich. Und dann, wenn ihr das Gefühl habt, so, jetzt bin ich wirklich hier, und ich bin zur Ruhe gekommen – dann seid ihr auch bereit für die Anrufer. Also, auf geht es. Setzt euch bitte bequem und aufrecht hin."
Zwei Minuten lang widmen sich die Teilnehmer ganz ihrem Atem. Bis sie der zweite Gong zurückkommen lässt. Es folgt eine "Blitzlicht-Runde", jeder erzählt, was ihn in seinem Leben aktuell bewegt. Ich werde dafür aus dem Raum gebeten. Denn das ist das hohe Gut der Telefonseelsorge: die Wahrung von Intimsphäre und Anonymität – auch schon in der Ausbildung. Mit Max Hannsen habe ich mich separat zum Gespräch verabredet.
"Es weiß ein Mensch, meine Frau. Sonst weiß es niemand. Ist mein kleines Geheimnis. Ich habe das Gefühl, wenn ich es erzählen würde, würde ich damit angeben, dass man was Ehrenamtliches macht, dass man sowas ganz Anspruchsvolles macht. Telefonseelsorge … schwierige Geschichte. Und das will ich nicht."
Was hat Max Hannsen überhaupt bewogen, dieses doch spezielle Ehrenamt zu wählen?
"Es war immer schon die Vorstellung, so etwas machen zu wollen – warum auch immer. Manche Sachen kann man erklären, manche nicht – und dann las ich in einem Artikel in der ‚Berliner Zeitung‘, dass männliche Telefonseelsorger gesucht werden und dass es da einen Bedarf gibt. Und das war dann der Punkt, wo ich gesagt habe: Okay, jetzt melde ich mich, und jetzt mach ich es, gekoppelt auch ein bisschen mit meiner damaligen Lebenssituation, Übergang vom Arbeitsleben in die Rente. Das hat alles so gepasst."
Unterschiedlichste Menschen sind bei der Telefonseelsorge
Statistiken der Telefonseelsorge ergeben: zu zwei Dritteln sind es Frauen, die hier anrufen, ein Drittel sind Männer. So in etwa setzt sich auch die Ausbildungsgruppe von Max Hannsen zusammen.
"Ganz unterschiedliche Berufe, ganz unterschiedliche Beweggründe. Handwerksmeister, ehemaliger Lehrer, Studentinnen, in der Verwaltung tätige Menschen. Es ist wirklich ganz bunt, ganz gemischt. Gar nicht so, wie man annehmen würde – alle kommen aus dem sozialen Bereich, alle sind entsprechend vorgeprägt, vorgebildet. Überhaupt nicht."
"Uns ist ganz wichtig, dass die Gruppen sehr heterogen sind!"
Martina Kulms, Ausbilderin.
"Das heißt, da sitzen also junge Menschen in den Zwanzigern mit Menschen, die vielleicht schon in den Siebzigern sind. Es sind ganz, ganz unterschiedliche Lebensläufe. Da treffen Menschen aufeinander, die sich normalerweise nie begegnet wären. Das ist uns sehr wichtig, weil ein Großteil der Ausbildung ist Selbsterfahrung. Und dadurch, dass so unterschiedliche Lebensläufe sich in der Gruppe treffen, kommen natürlich ganz unterschiedliche Lebenshaltungen, Lebenserfahrungen, Werthaltungen, Menschenbilder, Weltbilder da zusammen. Das heißt, dass eine der ersten wichtigen Lektionen, die in der Ausbildung erfahren werden, ist: Menschen sind sehr unterschiedlich. Und so, wie ich die Welt sehe, sieht jemand anders sie vielleicht gar nicht. Was mir wichtig ist, ist für jemanden anders vielleicht gar nicht so wichtig. Das ist eine ganz grundlegende Erfahrung, die schon auch davor schützt, am Telefon zu meinen, ich weiß, wo es langgeht und diese entsetzliche Tat zu tun, dass ich jemandem was rate."
"Ganz unterschiedliche Berufe, ganz unterschiedliche Beweggründe. Handwerksmeister, ehemaliger Lehrer, Studentinnen, in der Verwaltung tätige Menschen. Es ist wirklich ganz bunt, ganz gemischt. Gar nicht so, wie man annehmen würde – alle kommen aus dem sozialen Bereich, alle sind entsprechend vorgeprägt, vorgebildet. Überhaupt nicht."
"Uns ist ganz wichtig, dass die Gruppen sehr heterogen sind!"
Martina Kulms, Ausbilderin.
"Das heißt, da sitzen also junge Menschen in den Zwanzigern mit Menschen, die vielleicht schon in den Siebzigern sind. Es sind ganz, ganz unterschiedliche Lebensläufe. Da treffen Menschen aufeinander, die sich normalerweise nie begegnet wären. Das ist uns sehr wichtig, weil ein Großteil der Ausbildung ist Selbsterfahrung. Und dadurch, dass so unterschiedliche Lebensläufe sich in der Gruppe treffen, kommen natürlich ganz unterschiedliche Lebenshaltungen, Lebenserfahrungen, Werthaltungen, Menschenbilder, Weltbilder da zusammen. Das heißt, dass eine der ersten wichtigen Lektionen, die in der Ausbildung erfahren werden, ist: Menschen sind sehr unterschiedlich. Und so, wie ich die Welt sehe, sieht jemand anders sie vielleicht gar nicht. Was mir wichtig ist, ist für jemanden anders vielleicht gar nicht so wichtig. Das ist eine ganz grundlegende Erfahrung, die schon auch davor schützt, am Telefon zu meinen, ich weiß, wo es langgeht und diese entsetzliche Tat zu tun, dass ich jemandem was rate."
Das Aushalten von schwierigen Gesprächssituationen
Der ehemalige Rechtsanwalt Max Hannsen wird als Zuhörer am Telefon eine neue Haltung gewinnen müssen. Entsprechend sind seine Erwartungen an die Ausbildung hier bei der Telefonseelsorge.
"Klar, Gesprächstechniken, Fragetechniken… Aber ich glaub, dass meine große Hoffnung und Erwartung ist, dass ich eher emotional auf die Situation vorbereitet werde. Dass man lernt: den Umgang in schwierigen Gesprächssituationen und das Aushalten von schwierigen Gesprächssituationen, von denen ich glaube, dass sie mir bevorstehen."
Aushalten. Ein wichtiges Wort. Telefonseelsorge kann selten konkret weiterhelfen.
"Wir sind ja eben keine Therapeuten hier, sondern wir hören uns ja nur an, wie der Ist-Zustand ist. Und da ist es dann manchmal schon traurig zu hören, dass über die Jahre sich nichts verändert in dem Leben der Anrufenden. Da würde ich mir häufig wünschen, dass die doch in irgendeiner Art und Weise wirklich professionelle Hilfe finden. Und das ist aber eben auch ein großes Problem bei den Anrufenden hier, dass ein großer Teil von sich behauptet, sie seien austherapiert, sie bräuchten keine therapeutische Hilfe mehr, ganz viel von ganz schlechten Erfahrungen in Therapien und Psychiatrien berichten und sie sagen: ‚Die Telefonseelsorge ist jetzt eigentlich der einzige Kontakt, den ich mir zutraue, wo ich da über mich reden mag.‘ Das ist auch oft der einzige Kontakt, den die Menschen in ihrem Leben haben. Weil es ihnen so schwerfällt, in Kontakt zu gehen mit anderen. Weil es auch oft schwer auszuhalten ist."
Doch auch das kann Telefonseelsorge leisten: Den Moment der akuten Krise erleichtern. Sprechen hilft, Gedanken zu ordnen. Das Nachfragen, Fäden zu entwirren.
"Klar, Gesprächstechniken, Fragetechniken… Aber ich glaub, dass meine große Hoffnung und Erwartung ist, dass ich eher emotional auf die Situation vorbereitet werde. Dass man lernt: den Umgang in schwierigen Gesprächssituationen und das Aushalten von schwierigen Gesprächssituationen, von denen ich glaube, dass sie mir bevorstehen."
Aushalten. Ein wichtiges Wort. Telefonseelsorge kann selten konkret weiterhelfen.
"Wir sind ja eben keine Therapeuten hier, sondern wir hören uns ja nur an, wie der Ist-Zustand ist. Und da ist es dann manchmal schon traurig zu hören, dass über die Jahre sich nichts verändert in dem Leben der Anrufenden. Da würde ich mir häufig wünschen, dass die doch in irgendeiner Art und Weise wirklich professionelle Hilfe finden. Und das ist aber eben auch ein großes Problem bei den Anrufenden hier, dass ein großer Teil von sich behauptet, sie seien austherapiert, sie bräuchten keine therapeutische Hilfe mehr, ganz viel von ganz schlechten Erfahrungen in Therapien und Psychiatrien berichten und sie sagen: ‚Die Telefonseelsorge ist jetzt eigentlich der einzige Kontakt, den ich mir zutraue, wo ich da über mich reden mag.‘ Das ist auch oft der einzige Kontakt, den die Menschen in ihrem Leben haben. Weil es ihnen so schwerfällt, in Kontakt zu gehen mit anderen. Weil es auch oft schwer auszuhalten ist."
Doch auch das kann Telefonseelsorge leisten: Den Moment der akuten Krise erleichtern. Sprechen hilft, Gedanken zu ordnen. Das Nachfragen, Fäden zu entwirren.
Beim nächsten Anruf heißt es vielleicht einfach wieder: aushalten.
"Das sind nicht immer nur ganz, ganz nette Menschen, die hier anrufen, muss man auch sagen. Auch mit ganz viel Aggression beladen oft und manche Dinge, wenn sie sich immer wieder wiederholen, da kann man sich vorstellen, dass Nachbarn und Verwandte, Freunde irgendwann sagen: Ich kann es nicht mehr hören, ich will das nicht mehr."
Andrea Bunkowski und ihre Kolleginnen und Kollegen hören zu. Bis zu einem gewissen Punkt.
"Ich höre mir gerne all ihre Sorgen und Nöte an, aber ich lasse mich nicht von ihnen beschimpfen. Und das ist, glaube ich, ganz wichtig. Was ich im Laufe der Jahre gelernt habe: Grenzen zu setzen und auch den Anrufern zu sagen, bis hierher und nicht weiter. Und so die Struktur vom Gespräch in der Hand zu behalten."
"Die meisten leiden an Einsamkeit"
Regelmäßig treffen sich die Ehrenamtlichen zur Supervision. Keiner muss ein schwieriges Gespräch allein verdauen. Der gegenseitige Austausch ermöglicht das Weiterlernen in Sachen: zuhören, nachfragen, aushalten.
"Die Themen bleiben gleich. Das kann man wirklich so sagen. Die meisten Anrufer leiden an Einsamkeit und an den fehlenden Freundschaften, Beziehungen. Das ist ein ganz großes Problem. Ganz viele Anrufer leiden an Depressionen. Das ist ein ganz großer Themenkreis. Und dann aktuelle Dinge, die so passieren im Leben gerade, schlimme Sachen, die passiert sind."
Die Anrufe bei der deutschlandweiten Telefonseelsorge werden im Fall von "besetzt" unterschiedlich weitergeschaltet. Bei Andrea Bunkowski landen Anrufe aus Berlin und dem Umland, Brandenburg also und Mecklenburg-Vorpommern.
"So, der Direkteinstieg übers Telefon. Es gibt ja auch andere Telefonseelsorgen, die chatten miteinander. Aber wir sind hier nur über Telefon erreichbar. So, und jetzt öffne ich eine neue Dokumentation"
Andrea Bukowski erklärt, welche Parameter nach einem Gespräch dokumentiert werden. Alter, Geschlecht, berufliche Situation, Grund des Anrufs, Suizidgedanken: ja/nein. Die Angaben dienen statistischen Zwecken.
"Aber da wird niemals ein Name…?"
"Nein! Wir haben tatsächlich Anrufer, die melden sich mit Namen. Der wird aber nicht dokumentiert. Ich kann hier nur sagen: Es gab eine Namensnennung oder es gab keine."
"Die Themen bleiben gleich. Das kann man wirklich so sagen. Die meisten Anrufer leiden an Einsamkeit und an den fehlenden Freundschaften, Beziehungen. Das ist ein ganz großes Problem. Ganz viele Anrufer leiden an Depressionen. Das ist ein ganz großer Themenkreis. Und dann aktuelle Dinge, die so passieren im Leben gerade, schlimme Sachen, die passiert sind."
Die Anrufe bei der deutschlandweiten Telefonseelsorge werden im Fall von "besetzt" unterschiedlich weitergeschaltet. Bei Andrea Bunkowski landen Anrufe aus Berlin und dem Umland, Brandenburg also und Mecklenburg-Vorpommern.
"So, der Direkteinstieg übers Telefon. Es gibt ja auch andere Telefonseelsorgen, die chatten miteinander. Aber wir sind hier nur über Telefon erreichbar. So, und jetzt öffne ich eine neue Dokumentation"
Andrea Bukowski erklärt, welche Parameter nach einem Gespräch dokumentiert werden. Alter, Geschlecht, berufliche Situation, Grund des Anrufs, Suizidgedanken: ja/nein. Die Angaben dienen statistischen Zwecken.
"Aber da wird niemals ein Name…?"
"Nein! Wir haben tatsächlich Anrufer, die melden sich mit Namen. Der wird aber nicht dokumentiert. Ich kann hier nur sagen: Es gab eine Namensnennung oder es gab keine."
Bilden sich über die Themen der Anrufenden auch politische Gemengelagen der Gesellschaft ab? Postfaktische Ängste wie beispielsweise die vor angeblicher "Überfremdung"?
"Das haben wir vermutet, dass das so sein würde, und das ist aber überhaupt nicht so. Das kommt manchmal in Nebensätzen raus, dass sich da so eine Geisteshaltung entpuppt, die ich nicht allzu freundlich finde. Aber das ist sehr, sehr, sehr, sehr selten. Aber was wirklich immer noch ist, obwohl es jetzt schon so lange her ist, ist, dass die DDR nicht mehr existiert."
"Und dass da viele Anrufer sind und sagen: Aber bei uns war früher so viel besser und so viel anders, da wär das nicht passiert. Das ist die eine Seite und die anderen sagen: Das ist ja immer noch wie früher. Und diese Haltung, wenn wir mit irgendwelchen staatlichen Institutionen zu tun haben, die tun nichts für mich, da finde ich keine Unterstützung, da hat sich überhaupt nichts geändert zur DDR früher. Das sind diese beiden Positionen, die häufig auftauchen."
Seit fünf Jahren sitzt Andrea Bunkowski am Seelsorge-Telefon, zwölf Stunden im Monat. Dabei hat sie auch Momente der Gratwanderung erlebt.
"Ja, das war ein Mann, der anrief und sagte, dass er eine Pistole in der Hand hielte und mit dem Gedanken spielt abzudrücken. Und ich habe ihn dann gebeten die Pistole weit weg zu packen. Also hab ihn gefragt, ob er aufstehen könnte und die Pistole in irgendeine Schublade legen könnte und ob wir uns dann ohne diese akute Bedrohung in Ruhe unterhalten könnten. Letztendlich geht es in diesen Gesprächen immer darum: So, wie mein Leben ist, will ich nicht mehr weiterleben. Und ich hab schon so viel probiert und nichts funktioniert."
Tabuthema Suizid
Das tatsächlich Wichtigste, was Andrea Bunkowski in so einem Moment tun kann, ist wieder: zuhören. Eine Tugend! Nicht nur für die Arbeit am Seelsorge-Telefon.
"Es gibt so ein bisschen die Vorstellung: Ach, da redet jemand nur, und das wird schon nicht so ernst sein. Aber jede Andeutung, dass jemand lebensmüde ist, und wenn sie noch so verschlüsselt ist, sollte man ernst nehmen. Dass da jemand deutlich macht: Es hat keinen Sinn für mich, Zukunftspläne zu machen. Oder: Ich möchte eigentlich immer schlafen, ich bin müde, ach nächsten Urlaub – das macht eh alles keinen Sinn. Im Grunde natürlich auch so depressive Äußerungen. Muss man ernst nehmen! Und ganz wichtig ist dann auch, wirklich nachzufragen und es auszusprechen und zu sagen: Denkst du daran, dir das Leben zu nehmen? Hast du keine Lust mehr weiterzuleben? Weil, damit gebe ich die Erlaubnis, darüber zu sprechen. Die meisten Menschen, die manchmal über Jahre oder Monate sich mit Suizidwünschen abplagen und in so einer Ambivalenz stecken, dagegen ankämpfen, sich oft sehr, sehr quälen, die haben es oft schon häufig versucht, darüber zu sprechen, über diese Suizid-Fantasien, die sie bedrängen. Und machen die Erfahrung, dass die meisten ganz verschreckt reagieren und abwiegeln und eher sagen: Ach was! Nein, das tust du doch nicht! Und: Denk an deine Kinder. Oder das Thema wirklich ganz schnell abwürgen, weil das einfach sehr bedrohlich ist und weil das nach wie vor ein sehr starkes Tabuthema ist in unserer Welt."
"Es gibt so ein bisschen die Vorstellung: Ach, da redet jemand nur, und das wird schon nicht so ernst sein. Aber jede Andeutung, dass jemand lebensmüde ist, und wenn sie noch so verschlüsselt ist, sollte man ernst nehmen. Dass da jemand deutlich macht: Es hat keinen Sinn für mich, Zukunftspläne zu machen. Oder: Ich möchte eigentlich immer schlafen, ich bin müde, ach nächsten Urlaub – das macht eh alles keinen Sinn. Im Grunde natürlich auch so depressive Äußerungen. Muss man ernst nehmen! Und ganz wichtig ist dann auch, wirklich nachzufragen und es auszusprechen und zu sagen: Denkst du daran, dir das Leben zu nehmen? Hast du keine Lust mehr weiterzuleben? Weil, damit gebe ich die Erlaubnis, darüber zu sprechen. Die meisten Menschen, die manchmal über Jahre oder Monate sich mit Suizidwünschen abplagen und in so einer Ambivalenz stecken, dagegen ankämpfen, sich oft sehr, sehr quälen, die haben es oft schon häufig versucht, darüber zu sprechen, über diese Suizid-Fantasien, die sie bedrängen. Und machen die Erfahrung, dass die meisten ganz verschreckt reagieren und abwiegeln und eher sagen: Ach was! Nein, das tust du doch nicht! Und: Denk an deine Kinder. Oder das Thema wirklich ganz schnell abwürgen, weil das einfach sehr bedrohlich ist und weil das nach wie vor ein sehr starkes Tabuthema ist in unserer Welt."
Was die Soziologin Martina Kulms hier beschreibt, erlebt Karla in ihrem Sportclub. Über Anikas Suizid hat sich Schweigen ausgebreitet.
"Nirgends wird darüber gesprochen. Man hat überhaupt keine Vergleiche, man hat keine Worte. Man hat im Nachgang vielleicht Gefühle, die man nachvollziehen kann und wo man das so rekapitulieren kann. Aber kein Mensch spricht darüber! Man hat ja auch keine gute Ausstrahlung, wenn man so ein Thema anfangen würde. Ist einfach irgendwie – schwierig."
"Und insofern hören die Menschen irgendwann auf, über ihre Fantasien und ihre Sehnsüchte zu sterben zu reden", erklärt die Ausbilderin Martin Kulms.
"Ich weiß nicht, wie es bei den anderen ist", sagt Karla. "Aber für mich ist es präsent. Es ist auch über den ganzen Winter hinweg nie weggegangen. Ich glaube, das wird schon bleiben."
Beratungsangebote für Hinterbliebene
Martina Kulms sieht da vor allem ein Problem: "Wir haben über viele Jahre hinweg am Notruf erlebt, dass für Angehörige von suizidalen Menschen oder eben auch für Suizid-Hinterbliebene keinerlei Angebote, keine Beratungsangebote existieren."
Nach fast 20 Jahren als Ausbilderin bei der Telefonseelsorge hat Martina Kulms 2015 das Projekt "Besu Berlin" gegründet, eine Beratungsstelle für suizidbetroffene Angehörige. Angesprochen sind Menschen, die sich akut um jemanden sorgen. Oder jemanden verloren haben.
"Wir machen gerade bei den Angehörigen, bei den Hinterbliebenen oft die Erfahrung, dass sie sehr schmerzhafte Erfahrungen nach dem Suizid noch durch das Umfeld erleben."
Die Leiterin des Projekts, Frauke Dobek.
"Dass die Menschen abwertend reagieren und Sätze sagen wie: Wenn dich dein Partner wirklich geliebt hätte, dann hätte er dich doch nicht verlassen. Ich würde aber als Mutter merken, dass meine Tochter sich verändert. Das sind Sätze, die sehr verletzend sind, die man auf den ersten Blick vielleicht auch verurteilen möchte. Das passiert aber aus einer inneren Angst-Abwehr heraus. Suizid ist etwas, was jedem so nahe kommt, da merkt jeder sofort: Mist! Das ist was, was mir eigentlich auch jederzeit passieren könnte. Und deshalb sind wir davon überzeugt, dass die Menschen so etwas sagen, um eigentlich sich selber in dem Moment einzureden: Ich habe mein Umfeld unter Kontrolle und mir kann das in meinem Umfeld nicht passieren."
Ein Abwehrmechanismus, den eine ganze Gesellschaft perfekt beherrscht. Selbst die Autokorrektur in meinem Rechtschreibprogramm sträubt sich. Das Wort "Suizid" markiert sie stets rot, wie "falsch" oder "unbekannt".
"Ich träume manchmal von großen Plakaten in Berlin mit so einem Satz wie ‚Suizid kommt in den besten Familien vor, sprecht auch darüber‘."
Immerhin: Postkarten werden demnächst gedruckt und verteilt.
"Da werden Sätze draufstehen wie: Warum ist meine Mutter gesprungen? Würde mein Bruder noch leben, wenn ich mich mehr gekümmert hätte? Warum hat mein Vater sich erschossen?‘"
Auch die Ehrenamtlichen der Telefonseelsorge vermitteln an "Besu Berlin", die Berliner Beratungsstelle für suizidbetroffene Angehörige. Denn ein Gespräch am Telefon kann ein Anfang sein. Doch es wird nicht reichen.
"Trauer ist ja allgemein schon ein schwieriges Thema in Deutschland, in der Gesellschaft, da hat man nicht gerne mit zu tun. Und Trauer nach Suizid ist einfach nochmal besonders, nochmal anders. In der Fachwelt läuft es unter erschwerter Trauer. Es ist auch erschwerte Trauer und da – wie nach einem Autounfall oder besonderen Unglücken – einfach einen Raum zu schaffen und auch zu versuchen, eine gesellschaftliche Akzeptanz zu kreieren, dass das was Normales ist, was passiert, weil uns Menschen einfach diese Möglichkeit gegeben wurde. Und da auch Raum und Zeit für zu schaffen. Hinterbliebene erleben das ja oft, dass es heißt: So, jetzt muss es aber auch mal wieder gut sein. Und auch die Amerikaner haben in ihrem neuen Diagnose Katalog: Wer länger als zwei Monate trauert, bei dem ist es dann schon pathologisch, also krankhaft. Das wollen wir nicht unterstützen, und dem wollen wir etwas entgegensetzen."
Nach fast 20 Jahren als Ausbilderin bei der Telefonseelsorge hat Martina Kulms 2015 das Projekt "Besu Berlin" gegründet, eine Beratungsstelle für suizidbetroffene Angehörige. Angesprochen sind Menschen, die sich akut um jemanden sorgen. Oder jemanden verloren haben.
"Wir machen gerade bei den Angehörigen, bei den Hinterbliebenen oft die Erfahrung, dass sie sehr schmerzhafte Erfahrungen nach dem Suizid noch durch das Umfeld erleben."
Die Leiterin des Projekts, Frauke Dobek.
"Dass die Menschen abwertend reagieren und Sätze sagen wie: Wenn dich dein Partner wirklich geliebt hätte, dann hätte er dich doch nicht verlassen. Ich würde aber als Mutter merken, dass meine Tochter sich verändert. Das sind Sätze, die sehr verletzend sind, die man auf den ersten Blick vielleicht auch verurteilen möchte. Das passiert aber aus einer inneren Angst-Abwehr heraus. Suizid ist etwas, was jedem so nahe kommt, da merkt jeder sofort: Mist! Das ist was, was mir eigentlich auch jederzeit passieren könnte. Und deshalb sind wir davon überzeugt, dass die Menschen so etwas sagen, um eigentlich sich selber in dem Moment einzureden: Ich habe mein Umfeld unter Kontrolle und mir kann das in meinem Umfeld nicht passieren."
Ein Abwehrmechanismus, den eine ganze Gesellschaft perfekt beherrscht. Selbst die Autokorrektur in meinem Rechtschreibprogramm sträubt sich. Das Wort "Suizid" markiert sie stets rot, wie "falsch" oder "unbekannt".
"Ich träume manchmal von großen Plakaten in Berlin mit so einem Satz wie ‚Suizid kommt in den besten Familien vor, sprecht auch darüber‘."
Immerhin: Postkarten werden demnächst gedruckt und verteilt.
"Da werden Sätze draufstehen wie: Warum ist meine Mutter gesprungen? Würde mein Bruder noch leben, wenn ich mich mehr gekümmert hätte? Warum hat mein Vater sich erschossen?‘"
Auch die Ehrenamtlichen der Telefonseelsorge vermitteln an "Besu Berlin", die Berliner Beratungsstelle für suizidbetroffene Angehörige. Denn ein Gespräch am Telefon kann ein Anfang sein. Doch es wird nicht reichen.
"Trauer ist ja allgemein schon ein schwieriges Thema in Deutschland, in der Gesellschaft, da hat man nicht gerne mit zu tun. Und Trauer nach Suizid ist einfach nochmal besonders, nochmal anders. In der Fachwelt läuft es unter erschwerter Trauer. Es ist auch erschwerte Trauer und da – wie nach einem Autounfall oder besonderen Unglücken – einfach einen Raum zu schaffen und auch zu versuchen, eine gesellschaftliche Akzeptanz zu kreieren, dass das was Normales ist, was passiert, weil uns Menschen einfach diese Möglichkeit gegeben wurde. Und da auch Raum und Zeit für zu schaffen. Hinterbliebene erleben das ja oft, dass es heißt: So, jetzt muss es aber auch mal wieder gut sein. Und auch die Amerikaner haben in ihrem neuen Diagnose Katalog: Wer länger als zwei Monate trauert, bei dem ist es dann schon pathologisch, also krankhaft. Das wollen wir nicht unterstützen, und dem wollen wir etwas entgegensetzen."
Bei "Besu Berlin" gibt es Raum für das bis dato Unaussprechliche.
"Für die Angehörigen, für die Hinterbliebenen ist es unglaublich entlastend, Menschen zu treffen, denen dasselbe passiert ist. Und zu wissen, diese Menschen werden mich verstehen, die werden mich nicht verurteilen, die haben keine Angst vor dem Thema. Weil Suizid-Hinterbliebene auch in sogenannten ‚normalen Trauergruppen‘ oft den Rahmen sprengen. Weil Suizid einfach dann auch dort nochmal ein besonderes Thema ist. Und die Hinterbliebenen nach natürlichem Tod denken dann: Ach, meine Trauer wiegt ja gar nicht so schwer, Suizid ist ja noch dramatischer, und es bringt dann ein Ungleichgewicht. Deshalb ist es, glaube ich, schon auch wichtig, diese Gruppen zu trennen."
Man bietet auch das Telefonieren an. Man könnte sagen: zwangsläufig.
"Mit Menschen in Baden-Württemberg oder Kiel. Das sind jetzt die, mit denen ich in diesem Jahr schon gesprochen haben, die dann oft verunsichert anrufen und sagen: Ich bin gar nicht aus Berlin, aber ich habe sonst gar nichts anderes gefunden. Und dann bestätigen wir immer und sagen: Ja, das ist auch so. Wir sind die einzigen."
Aus dem Gespräch mit Martina Kulms und Frauke Dobek von "Besu Berlin" nehme ich wichtige Punkte zum Umgang mit dem Thema Suizid mit. Allem voran:
"Wenn ich mit einem Menschen zu tun habe, der lebensmüde ist, darf ich ihm nicht die Hoffnung machen, dass ich sein Leben, seine Last für ihn trage. Das wird nicht funktionieren. Ich muss, auch gerade um zu helfen, muss ich die Verantwortung beim anderen lassen. Auch die Verantwortung für sein Leben. Die darf ich nicht übernehmen."
Martina Kulms spricht sich entschieden gegen "Ratschläge" aus. Nicht aber gegen Mut machen.
"Depressive oder eben auch besonders Menschen, die unter einer bipolaren Störung leiden sind in hohem Maße suizidgefährdet, einfach weil die innere Welt so finster geworden ist und keine Hoffnung mehr übrig bleibt. Da kann man dann gucken in der Beratung, dass man denen Mut macht, sich ärztliche Hilfe zu holen und gegen diese Krankheit dann auch was zu unternehmen."
Martina Kulms spricht sich entschieden gegen "Ratschläge" aus. Nicht aber gegen Mut machen.
"Depressive oder eben auch besonders Menschen, die unter einer bipolaren Störung leiden sind in hohem Maße suizidgefährdet, einfach weil die innere Welt so finster geworden ist und keine Hoffnung mehr übrig bleibt. Da kann man dann gucken in der Beratung, dass man denen Mut macht, sich ärztliche Hilfe zu holen und gegen diese Krankheit dann auch was zu unternehmen."
Auch die Telefonseelsorger müssen geschützt werden
"Ich gebe schon einmal die Anwesenheitsliste durch." Zurück in der Berliner Telefonseelsorge. Heute leitet Dr. Sabrina Thiel die Ausbildungsrunde an. Wieder geht es darum, dass sich die Teilnehmer mit einem Thema intensiv auseinandersetzen.
"Ihr seid am Telefon sozusagen euer Werkzeug, mit dem ihr arbeitet mit dem Anrufer! Und daher ist es so wichtig, dass ihr euch selber, eure Gefühle und Gedanken zu allen möglichen Themen besser kennenlernt. Und deswegen fangen wir jetzt heute an mit der Selbstreflexion zu dem Thema Suizid. Und da werde ich jetzt einmal euch etwas rumgeben, jeder nimmt sich bitte einmal eine Seite, und das wir jetzt so zehn Minuten in Stillarbeit gehen, dass ihr euch einmal vorstellt, es geht hypothetisch um euch selber. Ihr seid in einer suizidalen Situation, wie würde diese Situation aussehen. Welche Suizidmittel würden vorliegen, welcher Ort, welche Bedeutung hat das, wie wird die Durchführung aussehen. Da sind wir ganz nah dran an dem Thema."
Nach genügend Selbsterfahrung werden die auszubildenden Ehrenamtlichen erstmals bei erfahrenen Kollegen hospitieren. Dann folgen die eigenen Einsätze am Telefon in einem Dreivierteljahr Probezeit. Eine Probezeit für beide Seiten, sagt Martina Kulms. Es wird genau geschaut, ob jemand wirklich passt. Und:
"Wir haben natürlich auch die Aufgabe die Ehrenamtlichen zu schützen. Wenn wir den Eindruck haben, da ist jemand vielleicht selbst in einer Krise und würde sich jetzt eine zu große Bürde aufladen, dann sprechen wir mit den Personen und gucken, ob vielleicht ein anderer Zeitpunkt besser wäre. Wir fühlen uns schon sehr verantwortlich für die Menschen, die hier als Ehrenamtliche arbeiten."
"Ihr seid am Telefon sozusagen euer Werkzeug, mit dem ihr arbeitet mit dem Anrufer! Und daher ist es so wichtig, dass ihr euch selber, eure Gefühle und Gedanken zu allen möglichen Themen besser kennenlernt. Und deswegen fangen wir jetzt heute an mit der Selbstreflexion zu dem Thema Suizid. Und da werde ich jetzt einmal euch etwas rumgeben, jeder nimmt sich bitte einmal eine Seite, und das wir jetzt so zehn Minuten in Stillarbeit gehen, dass ihr euch einmal vorstellt, es geht hypothetisch um euch selber. Ihr seid in einer suizidalen Situation, wie würde diese Situation aussehen. Welche Suizidmittel würden vorliegen, welcher Ort, welche Bedeutung hat das, wie wird die Durchführung aussehen. Da sind wir ganz nah dran an dem Thema."
Nach genügend Selbsterfahrung werden die auszubildenden Ehrenamtlichen erstmals bei erfahrenen Kollegen hospitieren. Dann folgen die eigenen Einsätze am Telefon in einem Dreivierteljahr Probezeit. Eine Probezeit für beide Seiten, sagt Martina Kulms. Es wird genau geschaut, ob jemand wirklich passt. Und:
"Wir haben natürlich auch die Aufgabe die Ehrenamtlichen zu schützen. Wenn wir den Eindruck haben, da ist jemand vielleicht selbst in einer Krise und würde sich jetzt eine zu große Bürde aufladen, dann sprechen wir mit den Personen und gucken, ob vielleicht ein anderer Zeitpunkt besser wäre. Wir fühlen uns schon sehr verantwortlich für die Menschen, die hier als Ehrenamtliche arbeiten."
Anonymität als höchstes Gut
"Ich weiß auch nicht wie, aber es gelingt mir erstaunlich gut, sodass ich auch wirklich nach dem Nachtdienst nach Hause gehe und gut schlafen kann."
Die ehemalige Fremdsprachenkorrespondentin und heute Unternehmerin Andrea Bunkowski hat einen gesunden Umgang mit ihrem Ehrenamt. Mehr noch.
"Das macht Spaß, ich mache das gerne! Ich bin grundsätzlich sehr, sehr neugierig und an anderen Menschen interessiert. Und mich interessieren die Geschichten, die sie zu erzählen haben. Das ist oft ganz spannend, so Einblicke zu bekommen. Und ich lerne hier unglaublich viel über Menschen. Das ist so häufig, dass sie erzählen, wie schlecht es ihnen geht, oder dass sie glauben, dass sie nichts erreichen im Leben und alles immer nur ganz schlimm und schrecklich ist. Und wenn man da mal näher mit ihnen spricht, kommt dann heraus, dass sie ganz starke Persönlichkeiten sind und unglaublich viel erreichen, trotz aller widrigen Umstände in ihrem Leben. Und das finde ich dann ganz bewundernswert und bringe das auch zum Ausdruck. Und das ist einfach total schön, so ein Feedback zu geben."
Und oft ist es nicht mal aufbauendes Feedback, sondern einfach der Moment, der überstanden werden muss, in dem zum Beispiel Ängste überhand nehmen.
"Da sein, zuhören, was die Frau erzählt. Wie das alles werden soll, ohne ihren Sohn. Und dann eben zu sagen, das ist alles ganz grauenvoll, aber bitte, versuchen Sie sich nicht auszumalen, wie die Zukunft sein wird. Bleiben Sie im Jetzt und Hier, und es wird sich dann schon irgendwann entwickeln. Aber jetzt und hier bin ich bei ihnen, und wir können über alles reden."
Über alles und über alles anonym.
"Das ist unser hohes Gut. Sowohl zeitlich, ich muss keinen Termin vereinbaren. Und ich muss nichts über mich preisgeben. Wir haben häufiger auch Anrufende, wo dann deutlich wird, dass sie eine gewisse Prominenz haben, und die hier dann anrufen können, weil sie hier von der Anonymität geschützt sind."
Und bei Karla im Sportverein? Der Nussbaum, den sie für Annika pflanzten, trieb in diesem Frühjahr als Letztes aus. Aber er kam. Und mit ihm auch vorsichtiges Reden. Man spricht wieder über Annika und geht manchmal anders miteinander um.
"Auf jeden Fall bin ich aufmerksamer geworden und gucke, versuche, egoistische Momente – ich mach lieber Party oder fahr weg zu einem Wochenende und lasse eine Freundin ohne ein Gespräch zurück – das wird mir nicht passieren. Das ist das Ergebnis."
Die ehemalige Fremdsprachenkorrespondentin und heute Unternehmerin Andrea Bunkowski hat einen gesunden Umgang mit ihrem Ehrenamt. Mehr noch.
"Das macht Spaß, ich mache das gerne! Ich bin grundsätzlich sehr, sehr neugierig und an anderen Menschen interessiert. Und mich interessieren die Geschichten, die sie zu erzählen haben. Das ist oft ganz spannend, so Einblicke zu bekommen. Und ich lerne hier unglaublich viel über Menschen. Das ist so häufig, dass sie erzählen, wie schlecht es ihnen geht, oder dass sie glauben, dass sie nichts erreichen im Leben und alles immer nur ganz schlimm und schrecklich ist. Und wenn man da mal näher mit ihnen spricht, kommt dann heraus, dass sie ganz starke Persönlichkeiten sind und unglaublich viel erreichen, trotz aller widrigen Umstände in ihrem Leben. Und das finde ich dann ganz bewundernswert und bringe das auch zum Ausdruck. Und das ist einfach total schön, so ein Feedback zu geben."
Und oft ist es nicht mal aufbauendes Feedback, sondern einfach der Moment, der überstanden werden muss, in dem zum Beispiel Ängste überhand nehmen.
"Da sein, zuhören, was die Frau erzählt. Wie das alles werden soll, ohne ihren Sohn. Und dann eben zu sagen, das ist alles ganz grauenvoll, aber bitte, versuchen Sie sich nicht auszumalen, wie die Zukunft sein wird. Bleiben Sie im Jetzt und Hier, und es wird sich dann schon irgendwann entwickeln. Aber jetzt und hier bin ich bei ihnen, und wir können über alles reden."
Über alles und über alles anonym.
"Das ist unser hohes Gut. Sowohl zeitlich, ich muss keinen Termin vereinbaren. Und ich muss nichts über mich preisgeben. Wir haben häufiger auch Anrufende, wo dann deutlich wird, dass sie eine gewisse Prominenz haben, und die hier dann anrufen können, weil sie hier von der Anonymität geschützt sind."
Und bei Karla im Sportverein? Der Nussbaum, den sie für Annika pflanzten, trieb in diesem Frühjahr als Letztes aus. Aber er kam. Und mit ihm auch vorsichtiges Reden. Man spricht wieder über Annika und geht manchmal anders miteinander um.
"Auf jeden Fall bin ich aufmerksamer geworden und gucke, versuche, egoistische Momente – ich mach lieber Party oder fahr weg zu einem Wochenende und lasse eine Freundin ohne ein Gespräch zurück – das wird mir nicht passieren. Das ist das Ergebnis."
Autorin: Ulrike Jährling
Redaktion: Carsten Burtke
Regie: Friederike Wigger
Technik: Martin Eichberg
Hilfsangebote für Menschen mit Depressionen, Suizidgefährdete und ihre Angehörigen: Wenn Sie sich in einer scheinbar ausweglosen Situation befinden, zögern Sie nicht, Hilfe anzunehmen. Hilfe bietet unter anderem die Telefonseelsorge in Deutschland unter 0800-1110111 (kostenfrei) und 0800-1110222 (kostenfrei).