Messengerdienst Telegram
Der Messengerdienst Telegram hat sich in kurzer Zeit zu einem Instrument rechtsextremer Mobilisierung entwickelt. © picture alliance / NurPhoto
Rechte Vernetzung über parasoziale Beziehungen
05:54 Minuten
Sprachnachrichten als Mittel der Radikalisierung bauen ein Vertrauensverhältnis zu Leuten auf, die an Verschwörungsmythen glauben wollen, sagt Simone Rafael von der Amadeu Antonio Stiftung. Das betreiben via Telegram vor allem die "Freien Sachsen".
Die Szene aus Corona-Leugnern, Impfverweigerern und Rechtsradikalen spielt immer deutlicher mit Gewaltfantasien. Darüber berichten Journalistinnen und Journalisten, die diese Gruppen beobachten. Vor allem auf dem Messengerdienst Telegram verbreiten sich Sprachnachrichten von wütenden Menschen, die von den Corona-Maßnahmen frustriert sind und Mordfantasien verbreiten.
Warum ist Telegram der Ort, an dem sich Menschen so stark radikalisieren, und warum funktionieren Verschwörungsmythen besonders gut auf diesem Messengerdienst?
"Dafür gibt es sehr einfache Gründe", sagt Simone Rafael, die das Digitalteam der Amadeu Antonio Stiftung leitet. Die Vernetzung funktioniere sehr gut: "Telegram erlaubt es sehr einfach, Kanäle und Gruppen zu erstellen, Inhalte zu teilen. Das heißt, man kann auch als Einzelperson oder als einzelne kleine Gruppe sich schnell einer großen Bewegung anschließen, die es dort schon gibt. Das gilt leider eben auch für rechtsextreme, demokratiefeindliche oder kriminelle Kräfte."
Derzeit sind vor allem Sprachnachrichten das Medium, mit dem die Radikalisierung vorangetrieben wird. Sie seien ein besonderes Phänomen auf Telegram, weil dort auch Audios leicht zu teilen seien, sagt Rafael:
"Das spielt in den Bereich parasozialer Beziehungen mit rein. Es gibt ja schon Leute, die diese Inhalte glauben, aber es gibt auch die, die bewusst versuchen, Menschen zu manipulieren, sie antidemokratisch aufzuhetzen oder einfach Geld damit zu verdienen. Das machen sie, indem sie ein Vertrauensverhältnis aufbauen – dazu helfen kleine Videoschnipsel oder Sprachnachrichten, die viel emotionaler sind, als wenn ich das nur aufschreibe oder Desinformationsartikel teile." Man könne dann empört sprechen und klinge wie jemand, der ein Freund oder ein Bekannter ist, dem man viel schneller glaubt.
Sammlung der Proteststimmung in Sachsen
In Sachsen steht die Telegram-Gruppe "Freie Sachsen" exemplarisch für die Radikalisierung im Netz und auch auf der Straße, wo die Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen als "Spaziergänge" bezeichnet werden. "Die Freien Sachsen haben eine Vernetzungsfunktion", sagt Rafael. "Das ist eigentlich eine Partei mit klar rechtsextremen Akteuren, die aber die Proteststimmung im ganzen Bundesland sammelt."
Die Amadeu-Stiftung hat über 100 Kanäle und 80 Gruppen in kleinen Ortschaften beobachtet, die alle wiederum auf den Telegram-Kanal der Freien Sachsen verweisen, der inzwischen über 102.000 Follower hat: "Die Inhalte werden dort gesammelt und gespiegelt, und die Sachen werden von den Freien Sachsen wieder zurückgespielt." Damit komme das gegenseitige Verstärken sehr stark zum Tragen, sagt Rafael: "Es können Leute in diese rechtsextreme Mobilisierung mit reinkommen, die das vielleicht gar nicht geplant haben, aber auch nichts dagegen tun, dass das passiert."
Das persönliche Umfeld muss widersprechen
Im Internet sei es angesichts der Emotionalisierung wahrscheinlich nicht möglich, diese Leute zu erreichen und aus der rechtsextremen Szene herauszuholen, meint Rafael. Hilfreicher könne das persönliche Umfeld sein, "das immer wieder erschüttern muss, das immer wieder widersprechen und infrage stellen muss, woher die Desinformationen kommen." Auf Telegram sei Gegenrede praktisch überhaupt nicht möglich: "Alle Orte, wo man sich äußern kann, sind Kanäle und Gruppen, die Admins haben – wenn man dagegen spricht, schmeißen sie einen raus, weil sie die Menschen in ihrer wahnhaften Welt halten wollen."
Telegram hat bislang nichts getan, um die Radikalisierung auf seiner Plattform einzudämmen, kritisiert Rafael: "Da Telegram bisher völlig unkooperativ ist, brauchen wir schnelle Lösungen." Auch über Suchmaschinen seien dessen rechtsextreme Inhalte viel zu leicht zu erhalten. Die Strafverfolgung müsste stärker auf Telegram schauen: "Viele Leute agieren dort unter Klarnamen und sind gar nicht so schwer zu identifizieren. Das ist bisher auch komplett versäumt worden."
Langfristig müsse der Staat versuchen, Telegram zu regulieren und nicht nur als Messengerdienst, sondern als soziales Netzwerk einordnen, was es funktional einfach sei: "Denn von allein tun sie offensichtlich nichts."