Telemedizin und ärztliche Onlinesprechstunde

Wenn die Digitalisierung auf die Realität trifft

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Hausarzt spricht während einer Videosprechstunde in seiner Praxis mit einer Patientin
Telemedizin wird vom Deutschen Ärztetag befürwortet. Doch nur wenige Ärzte nutzen die digitalen Möglichkeiten. © picture alliance / dpa / Monika Skolimowska
Von Vanja Budde |
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Lange Wege und wenig Infrastruktur: Eine Onlinesprechstunde könnte vielen Menschen auf dem Land den Kontakt zum Arzt erleichtern. Doch nur wenige Mediziner bieten eine an. Und auch in Städten wie Berlin ist die Onlinesprechstunde eher die Ausnahme.
Die Hausarzt-Praxis von Martin Zerbaum am Molkenmarkt in Brandenburg an der Havel ist modern, hell und freundlich eingerichtet, mit viel frühlingfrischen Grün an den Wänden. Fröhliche Farben, doch Doktor Zerbaum macht sich große Sorgen: Bis zu einem Drittel seiner chronisch schwer kranken Patienten kommen derzeit nicht zu ihm. Weil sie Angst haben, sich mit Covid-19 anzustecken oder die Ärzte nicht zusätzlich belasten möchten. Seine Praxis werde zwar mit Mails und Telefonanrufen bombardiert, sei aber nicht überfüllt, betont Martin Zerbaum im Interview über das Internet:
"Aus diesem Grund ist es doppelt ärgerlich und medizinisch auch schlimm, dass solche Patienten, die kommen müssten, die wirklich schwer krank sind, nicht kommen und manchmal wirklich erst kommen, wenn es vielleicht nicht unbedingt zu spät aber schon sehr spät ist."

Bescheidene Internetverbindung

Darunter Menschen nach einem Herzinfarkt, mit chronischen Lungenkrankheiten oder Diabetes. Vor einer Ansteckung mit Covid-19 beim Arzt müsse sich niemand fürchten, betont Zerbaum:
"Wir zum Beispiel haben morgens von acht bis neun eine ganz strickt abgetrennte Infektionssprechstunde. Und die Nachmittags- oder Mittagstermine sind dann reserviert für die Patienten, die feste Termine haben. Und die mögen bitte und die sollen bitte unbedingt in die Praxen kommen!"
Ain Arzt mit Brille und Schutzmaske sitzt am Computer.
Die Arbeit am Computer gehört für alle Ärzte zum Alltag - den Kontakt zu ihren Patienten pflegen sie auf diese Weise aber nur selten.© imago images / Hans Lucas
Hausarzt Martin Zerbaum ist erst 38 Jahre alt. Ein schlanker, sportlicher Typ mit Brille und sehr kurzen Haaren. Für seine Generation ist das Internet eine Selbstverständlichkeit.
Auf seiner Homepage empfiehlt das Praxisteam nützliche Gesundheits-Apps. Und es bietet in der Zweigstelle in Buschow in Märkisch Luch Videosprechstunden an. Doch das Angebot werde nur etwa zehn Mal im Quartal genutzt, sagt Zerbaum. Was einerseits an der bescheidenen Internetqualität dort draußen im Havelland liege:
"Mit 6.000 oder 4.000 DSL ist halt die Auflösung schlecht, manchmal hängt es. Wenn man dort am anderen Ende einen alten Menschen sitzen hat, der sich mit der Technik nicht auskennt und letztlich davorgesetzt wird und dann das Bild auch noch hängt, oder der Ton so ein bisschen stottert, dann kann man da oftmals kein vernünftiges Gespräch führen."

Viele wollen keine Onlinesprechstunde

Ein zweites Hemmnis ist nach Erfahrung des Mediziners aber auch die Mentalität älterer Menschen auf dem Dorf, an der auch die Furcht vor Corona bislang nichts geändert habe:
"Wir haben durchaus Patienten, die sind über 70, die gehen erstaunlich souverän und routiniert mit der Technik um. Aber die Masse von denen, die will das einfach nicht, die wollen keine Onlinesprechstunde machen. Die warten in der Regel, bis wir mittwochs vor Ort sind und kommen dann direkt zu uns."
Eine Skepsis, die sie übrigens mit der Landesärztekammer in Brandenburg gemeinsam haben: Das Gremium fordert, dass Fernbehandlung wie Videosprechstunden nur zugelassen werden, wenn Arzt und Patient vorher schon zumindest einmal wegen dieser Beschwerden unmittelbar Kontakt hatten.
Die Brandenburger Kammer hat deswegen einen anderslautenden Beschluss des Deutschen Ärztetages nicht umgesetzt. In der gegenwärtigen Pandemiesituation könne aber von dieser Regel ausnahmsweise abgewichen werden, teilt die Landesärztekammer mit. Denn Corona sei eine Notlage.

Langer Weg zur Digitalisierung

Auch die Kassenärztliche Bundesvereinigung sieht noch einen langen Weg, bis die Digitalisierung bei der Gesundheitsversorgung Alltag wird. Voraussetzung sei, dass die Ärzte nicht noch mehr bürokratischen Aufwand hätten, fordert Thomas Kriedel vom KBV-Vorstand in einem Video auf der Homepage der Vereinigung:
"Denn was das eRezept, das elektronische Rezept, und die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung betreffen, sind das Hybridlösungen oder Duallösungen, da wird sowohl Papier wie Elektronik eingesetzt. Das ist nicht unbedingt geeignet, die Arbeitsabläufe zu beschleunigen. Die Digitalisierung wird sich umso schneller und umso einfacher umsetzen, je mehr Praxis-Entlastung damit passiert. Und das setzt vieles voraus: Einfache Prozesse, Sicherheits-Updates, Sicherheit muss geklärt werden, wer ist wofür zuständig und es muss auch die Finanzierung stehen."

Viele nutzen noch Faxgeräte

Der junge Brandenburger Hausarzt Martin Zerbaum hatte ursprünglich damit gerechnet, dass sich die Digitalisierung der Medizin viel schneller durchsetzt. Doch bis heute setzten die allermeisten seiner Kollegen nicht auf elektronische Lösungen, seufzt er.
"Die Masse der Kollegen, die haben Faxgeräte. Das heißt, die nehmen einen Zettel zur Hand, schreiben etwas drauf, dass wird aufs Faxgerät gelegt. Und so funktioniert zu einem Großteil die Kommunikation im deutschen Gesundheitswesen."

Eine Frage der Bereitschaft - ein Beispiel aus Berlin

Ins Ärztehaus unweit des Berliner Prachtboulevards Kurfürstendamm verirren sich dieser Tage nur wenige Patienten. Denn Kontakte sollen ja auf ein Minimum reduziert werden. Dass inzwischen bundesweit mehr und mehr Praxen auch Videosprechstunden anbieten, davon haben die Patienten vor Ort im Ärztehaus zumindest schon gehört, doch so richtig überzeugt davon sind sie nicht. Dieter Nürnberger war dort uns sprach mit Patienten und Ärzten.
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