Wolfgang Templin: „Revolutionär und Staatsgründer. Józef Piłsudski. Eine Biografie“

Polens Staatsmann des 20. Jahrhunderts

04:59 Minuten
Das Cover zeigt ein Schwarzweißporträt des polnischen Staatsgründers Józef Piłsudski in militärischer Uniform.
© Ch. Links Verlag

Wolfgang Templin

Revolutionär und Staatsgründer. Józef Piłsudski. Eine BiografieCh. Links, Berlin 2022

448 Seiten

28,00 Euro

Von Martin Sander · 14.03.2022
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Józef Piłsudski, der 1918 den polnischen Staat neu gründete, ist eine der faszinierendsten historischen Figuren der Zeit um 1900. Wolfgang Templin hat ihm nun eine sehr lesenswerte Biografie gewidmet.
Den soldatisch dreinblickenden Mann mit langem Schnurrbart und Schirmmütze kann man überall in Polen betrachten, als Denkmal in den Städten oder als Bild in den Wohnzimmern. Józef Piłsudski, geboren 1867 als Sohn von polnisch-litauischen Landadligen auf einem Gutshof unweit von Wilna, gestorben 1935 als polnischer Staatspräsident in Warschau, gilt als Übervater seiner Nation.
Die politische Persönlichkeit Piłsudskis ist indes vielschichtiger, als man hierzulande glauben mag, wenn man überhaupt etwas davon weiß. Nun hat der frühere DDR-Bürgerrechtler und Kenner Polens Wolfgang Templin eine vor allem auf polnischen Quellen beruhende, an ein breites Publikum gerichtete Piłsudski-Biografie vorgelegt.

Endstation: Unabhängigkeit

Templin schildert Józef Piłsudski als Spross einer ostmitteleuropäischen Vielvölkerkultur, in der man sich zum Beispiel sowohl als Pole als auch Litauer begreifen konnte. Zugleich stand der heranwachsende Piłsudski in der Tradition der polnischen Aufstände gegen die Fremdherrschaft im 19. Jahrhundert. Das einstige polnisch-litauische Großreich war von der Landkarte verschwunden, aufgeteilt von seinen Nachbarn Russland, Österreich und Preußen.
Den Gymnasiasten und Medizinstudenten Józef zogen sozialistische Ideen in den Bann. Weder SPD-Chef August Bebel noch Lenins oberster Geheimpolizist Feliks Dzierżyński standen ihm so fern, wie man später glauben konnte. Auch überfiel Piłsudski nach Art der linken Revolutionäre mal einen Postzug, um die sozialistische Parteikasse aufzubessern. Dann aber verließ er, wie es in einem Bonmot heißt, die Straßenbahn mit dem Endbahnhof „Sozialismus“ an der Haltestelle „Unabhängigkeit“.
Schwarzweißfotografie von Józef Piłsudski in militärischer Montur
Der polnische Staatsgründer Józef Piłsudski in einer späten Aufnahme.© imago / Arkivi
Seine Arbeit als Parteijournalist, seine Diplomatie auf internationaler Bühne von Japan bis in die USA, sein Aufbau von bewaffneten Kampfverbänden am Vorabend des Ersten Weltkriegs, das alles führte zur Wiedergründung des polnischen Staats 1918.
Nachdem Piłsudski dann zwei Jahre später die angreifende Rote Armee kurz vor Warschau in die Flucht geschlagen und weite Teile der Ukraine sowie Weißrusslands besetzt hatte, war ihm sein Platz in den Geschichtsbüchern gewiss.

Des Helden Träume und Polens Wirklichkeit

Piłsudski hatte von einem Staat geträumt, in dem Polen mit Ukrainern, Weißrussen, Juden und anderen Minderheiten gleichberechtigt leben konnten. Damit stand er im Widerstreit mit der klerikalen, nationalen Rechten unter dem Russlandfreund und Antisemiten Roman Dmowski. Der wird im heutigen Polen der nationalkonservativen PiS-Partei mindestens so verehrt wie Józef Piłsudski.
Der Autor der detailgenauen, nicht selten auch unterhaltenden Biografie sieht die Welt gern durch die Brille seines Helden. Kritische Distanz wahrt er gleichwohl – nicht nur wenn der Haudegen und Verächter der parlamentarischen Demokratie Piłsudski 1926 die Macht durch einen Putsch an sich reißt und frühere sozialistische Weggefährten im Gefängnis quälen lässt.
„Revolutionär und Staatsgründer“ ist ein lesenswertes Buch, das uns Polen näherbringt –  und das widerspruchsvolle Leben seines bedeutendsten Staatsmanns im 20. Jahrhundert.

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