Bum-Bum-Boris und der Fluch des Wimbledon-Sieges
Er war 17 und machte mit seinem Wimbledon-Sieg Tennis über Nacht in ganz Deutschland populär: Boris Becker wurde Mitte der 80er-Jahre Deutschlands Tennis-Popstar. Doch der frühe Ruhm tat ihm nicht gut.
"40:30 für Boris Becker. Jetzt kommt der Aufschlag. Unerreichbar, unerreichbar für Kevin Curren! Der Wimbledon-Gewinner 1985 heißt Boris Becker!"
Für den deutschen Sport war der 7. Juli 1985 ein historischer Tag. Nie zuvor hatte ein deutscher Tennisspieler das bedeutendste Turnier der Welt gewonnen. Bis an jenem Sommertag der 17-jährige Boris Becker eine neue Ära einläutete. Hans-Jürgen Pohmann, ehemaliger Profi-spieler und damals Radiokommentator in Wimbledon, hat das Ereignis bis heute vor Augen:
"Ich kann mich genau daran erinnern, wie wir dort oben standen. Das letzte Aufschlagspiel Becker. Und als er dann mit dem Ass das Match gewann und die Arme hochriss, haben wir uns nur angeschaut – Gerd Szepanski und ich, der Kollege – waren fasziniert von diesem Augenblick. Unfassbar!"
Becker wurde zum Tennis-Popstar
Der Wimbledon-Triumph markierte für Becker den Beginn einer herausragenden Karriere. Es folgten weitere große Siege, bei Grand-Slam-Turnieren und auch im Davis Cup. Zahlreiche seiner Spiele wurden fortan live im Radio oder Fernsehen übertragen, Beckers Abschneiden bei Wettkämpfen errang nationale Bedeutung. Deutschland hatte einen neuen Liebling – mehr noch: einen Popstar, der nun mit Lobeshymnen überschüttet wurde. Und so manche schrillen Sänger schöpften aus der Becker-Manie die Inspiration, um dem Tennisstar auch ein musikali-sches Denkmal zu setzen:
"Dicke Lippe, rotes Haar - steht er sicher da, spielt seinen Trott, fast wie ein Gott. Das war spitze, das war spitze, wisst ihr das? Bum-Bum-Boris! Bum-Bum-Boris macht uns Spaß!"
Doch das Ballyhoo um seine Person zog für Becker nicht nur Gutes nach sich. Sportlich sah sich der Tennisprofi mit höchsten Erwartungen konfrontiert, sein Privatleben wurde immer wieder durchleuchtet – eine Situation, die sich mitunter bremsend auf Beckers Laufbahn auswirkte, wie er in einem späteren Interview einräumte:
"Meine sportliche Entwicklung ist stehengeblieben. Ich habe danach ja noch einige Turniere gewonnen, aber ich bin heute überzeugt, dass ich ein besserer Tennisspieler geworden wäre, hätte ich das nicht mit 17, sondern erst mit 21 gewonnen... Weil ich dann plötzlich einer der bekanntesten Deutschen über Nacht wurde. Ich war dadurch einem ganz anderen Druck ausgesetzt – und das war für einen 17-Jährigen möglicherweise zu viel."
Während Becker auf den Tennisplätzen der Welt, ebenso wie Michael Stich und Steffi Graf brillierte, gewann der Sport in Deutschland Hunderttausende neue Fans. Vor dem Fernseher und als aktive Spieler. Die Sportart erlebte einen fundamentalen Wandel: Tennis wurde nicht mehr bloß als elitäre Freizeitbeschäftigung wahrgenommen, sondern als Volkssport - vor allem dank Beckers Erfolg in Wimbledon, wie Reporter Hans-Jürgen Pohmann betont:
"Dieser Sensationserfolg hat alles verändert von heute auf morgen. Jeder wollte Tennis spielen, jeder wollte wissen‚ wieso wird so komisch gezählt, 15:0, 30:0? Und natürlich hat der Tennisbund durch die 600.000 neuen Mitglieder dann weitaus mehr Geld eingenommen - und auch die Vereine natürlich. Teilweise gab es Aufnahmesperren, weil einfach die Platzkapazitäten nicht mehr da waren. Sodass diese Sportart Tennis auf einmal fast gleichzusetzen war mit Fußball. Unvorstellbar!"
Popularität einer Sportart hängt von erfolgreichen Sportlern ab
Mit den Rücktritten der Idole Becker und Graf Ende der 1990er-Jahre setzte für das deutsche Tennis die Götterdämmerung ein. Nur wenige Talente kamen nach, große Erfolge hielten sich in Grenzen. Als Konsequenz sank das öffentliche Interesse, Mitgliederzahlen schrumpften. Um wieder dauerhaft zur Weltspitze zu gehören, seien auch die Vereine gefordert, so der ehemalige Profi Pohmann:
"Wir müssen sehr hart daran arbeiten, die Vereine auch und die Verbände, dass sie Angebote haben für die Öffentlichkeit. Natürlich sind die großen Erfolge das Wichtigste, um das Interesse zu erwecken. Aber die Vereine müssen auch ihre Angebote machen: mit Kindertraining, mit Jugendtraining, mit Erwachsenentraining, mit Schaumstoffbällen und so weiter."
Doch auch der frühere Davis-Cup-Spieler Pohmann weiß, dass die Popularität einer Sportart stark von der Aura besonders erfolgreicher Akteure abhängt.
"Was uns halt fehlt im Moment, sind ganz einfach die überragenden Erfolge – und die kann man nicht züchten. Und Becker, Graf und Stich, das sind Glücksfälle."