Es ist Liebe!
29:02 Minuten
Vier Männer bauen sich 1974 ihren eigenen Tennisplatz im Hinterhof. Seitdem wird jeden Samstag gespielt. Eine Geschichte über die Liebe zu einem Sport, lebenslange Freundschaft und das Älterwerden.
"Meine Name ist natürlich Roland. Und mein bester Schlag ist eigentlich der Crossball."
"Frieder Wenzel. Die Rückhand ist mein Schlag. Und der ist unerreicht, da träumt ihr alle davon."
"Manfred Wenzel. Mein bester Schlag? Gut, den Aufschlag mach ich gut."
"Mein Name ist Ludwig, der Familienname, Heiner der Vorname. Mein bester Schlag ist der Aufschlag, wenn ich ihn an der Mittellinie an den Rand setze."
Seit 44 Jahren spielt man hier
Sennfeld in Unterfranken im Norden von Bayern. Ein Dorf mit knapp 4.000 Einwohner und einem großem Kirchturm in der Mitte. Am Ortsrand, umgeben von Gewächshäusern, sandigen Feldern und einem weiten Blick auf das Maintal, liegt ein Tennisplatz.
Heute ist Samstag. Samstag ist Tennistag. Und das seit 44 Jahren. Der rote Asphalt ist leicht verwittert. An der Seite steht ein verrosteter Hochsitz. Als Manfred zum Aufschlag ansetzt, ist er hochkonzentriert. Er mustert den Gegner, hält den Griff des Schlägers fest umklammert, holt aus und ruft "Achtung", bevor er den Ball auf der anderen Seite versenkt. Doch Roland lässt sich vom Aufschlag seines Bruders wenig beeindrucken. Nach einem kurzen Hin und Her lupft er den Ball knapp über das Netz, unerreichbar für den Gegner.
Mit derber fränkischer Ironie auf dem Platz
Der Tennisplatz ist 44 Jahre alt. Die vier Spieler haben beinahe doppelt so viele Lebensjahre auf dem Buckel. Frieder - 77. Roland - 78. Manfred, genannt Manni - 80. Und Heiner - 83. Frieder, Roland und Manni tragen alle den Nachnamen Wenzel, sie sind Brüder. Heiner ist ein gemeinsamer Sandkastenfreund. Nach so vielen gemeinsamen Lebensjahren kennen sie sich in- und auswendig. Doch langweilig wird es nie.
Jeden Samstagvormittag ist das Gebrüll der Tennis-Clique schon von weitem zu hören. Man könnte meinen, sie stritten miteinander, aber das tun sie nicht. Sie kappeln sich mit jener derben fränkischen Ironie, die für Außenstehende schwer zu verstehen ist.
"Mit wem spielst du denn am liebsten zamm?"
"Am liebsten spiele ich mit keinem zusammen. Weil sie alle zwei nix taugen. Und so unterschiedlich spielen sie alle. Und sind geistesabwesend alle zwei."
"Wer kann mit so einem Egozentriker ein vernünftiges Spiel aufbauen? Keiner. Mit so einem wie dem Frieder kann man net spielen, weil er nur von sich eingenommen ist und den Partner überhaupt net zum Spiel kommen lässt und dann die Schuld auf ihn aber abwälzt."
Im ersten Spiel des Tages treten Roland und Heiner gegen Frieder und Manni an. Frieder schnibbelt seine Bälle flach übers Netz - sehr zum Leidwesen des eigentlich laufstarken Roland. Am Ende gewinnen Frieder und Manni knapp mit 6:4.
Die eine Seite der Geschichte von Roland, Frieder und Co. ist die der Liebe zum Sport. Sie beginnt an einem Skatabend im Mai 1974. Die Wenzels sind sechs Brüder und allesamt sportbegeistert, aber mit Mitte, Ende 30 nicht mehr im besten Fußballeralter. Im Fernsehen wird ein Tennisspiel übertragen. Irgendwann kommt einer auf die Idee: Warum spielen wir eigentlich nicht mal Tennis?
Tennisplatz statt Gemüsebeet
Tennis gilt damals als "der weiße Sport" - in Anlehnung an die strahlend weiße Sportkleidung der Spieler aus besserer Gesellschaft. Auch der Tennisclub Weiß-Blau in Schweinfurt verweigert dem "normalen Volk" die Mitgliedschaft. Doch davon lassen sich die Wenzel-Brüder nicht einschüchtern. "Dann bauen wir eben unseren eigenen Platz", sagen sie sich. Auf Heiners Grundstück, auf einem ungenutzten Gemüsebeet, ist gerade genug Platz.
Es dauert nur wenige Wochen bis zum Spatenstich. In Deutschland beginnt zu dieser Zeit ein regelrechter Tennis-Boom. Größen wie Jimmy Connors und John McEnroe aus den USA oder Björn Borg aus Schweden liefern sich einen Schlagabtausch um die großen Grand-Slam-Titel nach dem anderen. Im ganzen Land werden Tennisplätze gebaut, und die Mitgliederzahlen der Vereine verdreifachen sich innerhalb eines Jahrzehnts.
Als der Platz auf Heiners Grundstück fertig ist, berichtet die Lokalzeitung. Knapp 24 Meter lang ist er und 11 Meter breit, umgeben von einem hohen Maschendrahtzaun. Internationaler Standard also, Kostenpunkt: 25.000 Mark. Gespielt wird auf rot gefärbtem Asphalt. "Der erste private Tennisclub Sennfeld" ist gegründet. Ab heute wird in jeder freien Minute gespielt.
44 Jahre später ist der Platz lädiert, und die Spieler sind es auch. Auf dem Holzbänkchen am Seitenrand haben Richard und Werner Platz genommen. Richard ist mit 84 der älteste der Wenzel-Brüder.
"Ich ärgere mich bloß immer, dass der Heiner in dem Alter noch spielen kann. Er Ist wohl eineinhalb Jahre jünger als ich. Aber ich kann leider seit drei Jahren nimmer spielen."
Neben Richard sitzt Werner, angeheirateter Schwager und mittlerweile schon 87. Auch er stand früher bei jeder Gelegenheit auf dem Platz, auch er musste irgendwann aufhören, die Knochen machten nicht mehr mit. Seitdem verfolgen die beiden die Spiele von der Seitenlinie. Manchmal wirken sie traurig dabei.
Das ist die andere Seite der Geschichte von den Tennis-Brüdern: Die vom Älterwerden nämlich und der Gefahr, die Dinge aufgeben zu müssen, die man liebt.
Ohne Tabletten geht nichts
Das zweite Match steht an. Die Teams werden gewechselt. Natürlich spielen der laufstarke Roland und der technisch versierte Frieder niemals zusammen. Zu groß wäre ihre Dominanz, darin sind sich alle einig. Also tauscht Manni mit Heiner die Seite.
Aufschlag Roland. Der Eröffnungsschlag landet knapp hinter der T-Linie. Aus, zweiter Aufschlag. Diesmal landet der Ball im T-Feld, allerdings auf Frieders starker Rückhandseite. Längst sind die Bewegungen nicht mehr so flüssig, ist der Schlagradius nicht mehr so groß wie in jungen Jahren. Doch Frieder macht aus der Not eine Tugend und retourniert einen angeschnittenen Stoppball geschickt aus dem Handgelenk heraus. Roland setzt zum Sprint an. Zu spät: NULL-FÜNFZEHN.
Auch im weiteren Spielverlauf sieht es zunächst schlecht aus für Roland und Manni. "Im Doppel ist Kommunikation der Schlüssel zum Erfolg", heißt es in einem Tennis-Sprichwort. Doch genau hier scheint das Problem zu liegen. Die Kehrtwende lässt bis zum vierten Spiel auf sich warten. Jetzt zahlt sich Rolands Kondition aus. Auch sein Entschluss, nicht mehr jeden Ball seines Doppelpartners Manni zu kommentieren, trägt Früchte.
"Komm Heiner. Das gibt's doch net. Mensch nee. Stellst dich da hii. … Na das war mal wieder was. Stellst dich ja hin, als würdest du Brotzeit machen."
Frieders Geschrei hilft nichts. Manni entscheidet die Partie mit einem Ass.
- "Also wir müssen uns trotzdem wieder, auch wenn es nicht immer leicht fällt, immer wieder versöhnen und müssen wieder gut sein miteinander. Es bringt ja nichts."
- "Man braucht ein starkes Nervenkostüm."
- "Früh, unter fünf Baldrian-Tabletten schaff´ ich net."
- "Und der Manfred nimmt sechs, und das ist immer eine zu viel. Der schläft immer auf dem Platz ein."
- "Aber ohne Tabletten kann doch keiner mehr spielen, oder?"
- "Nein."
- "Du nimmst keine Tabletten?"
- "Ich a net."
- "Deswegen seid ihr so lahm!"
- "Man braucht ein starkes Nervenkostüm."
- "Früh, unter fünf Baldrian-Tabletten schaff´ ich net."
- "Und der Manfred nimmt sechs, und das ist immer eine zu viel. Der schläft immer auf dem Platz ein."
- "Aber ohne Tabletten kann doch keiner mehr spielen, oder?"
- "Nein."
- "Du nimmst keine Tabletten?"
- "Ich a net."
- "Deswegen seid ihr so lahm!"
Spielanalyse beim Bier danach
Als der letzte Ball geschlagen ist, radeln die Tennis-Senioren die wenigen hundert Meter vom Tennisplatz am Fischlochweg bis zu Werners Haus in der Hauptstraße. Das gemeinsame Biertrinken nach dem Sport ist fast so wichtig wie der Sport selbst.
Die Herren sitzen auf einer Eckbank aus Holz, jeder eine Flasche Pilsener oder Alkoholfrei vor sich. Durch die bestickten Gardinen dringt mattes Tageslicht nach innen. Beim Biertrinken wird analysiert. Wer war heute der Stärkste? Wem ist der schönste Schlag gelungen? Was macht die Hüfte?
Der Ort, an dem sie sitzen, hat Geschichte: Es ist das Elternhaus der Wenzel-Brüder. Von 1934 bis 1989 betrieb die Familie eine Kohlenhandlung. Die Ware kam mit Bahn und LKW aus dem Ruhrgebiet und wurde hier im Innenhof eingelagert. Alle halfen mit. Manni übernahm schon mit 14 Jahren die Buchhaltung. Und Roland war bekannt dafür, dass er zwei Säcke Kohle schleppen konnte, 50 Kilo auf jeder Schulter.
Wenn alles verladen war, wurde Fußball gespielt. Die Brüder, schwarz von Kohlestaub, fegten über den Hof, dem Ball hinterher. Später stieg Werner in den Kohlehandel ein und heiratete Helma, die Schwester von Roland, Frieder und Co. Er wurde schnell zum Teil der Familie und ist es bis heute. Seine Sportbegeisterung wird dabei sicher eine Rolle gespielt haben. Nach zwei Stunden ist genug diskutiert: Die Tennis-Senioren radeln in verschiedene Richtungen davon.
Ein anderer Samstag ein paar Monate später. Das Gemüse in den Gewächshäusern von Sennfeld ist längst abgeerntet. Die Bäume verlieren ihre goldgelben Blätter. Es ist nicht zu windig, trocken und kein Regen in Sicht. Bestes Tenniswetter also. Doch heute ist kein Geschrei und Gezeter zu hören. Der Platz bleibt leer. Eine Schwägerin der Wenzel-Brüder feiert im Sportheim ihren 80. Geburtstag – der Tennistreff fällt aus.
Die Kinder interessiert Tennis nicht
Heiner Ludwig, 83 Jahre alt und mit schwarzer Kappe auf dem Kopf, steht schelmisch grinsend in seinem Garten. Mit seinem modischen Jogginganzug, den weißen Schuhen und seinem hellwachen Gesicht könnte er gut und gerne zehn Jahre jünger sein. Für die Wenzels war Heiner schon von Klein auf wie ein Bruder. Er half im Kohlehof aus, aß bei ihnen zu Mittag, sie spielten zusammen Fußball. Schon als Jungs waren die vier ehrgeizig bis auf die Knochen. Als sie längst erwachsen waren und ihren eigenen Tennisplatz bauten, änderte sich daran nichts.
"Der Roland hat eigentlich kee so Talent gehabt. A beim Fussball net. Aber da hat er sich mit der Zeit entwickelt. Der Frieder war erst immer technisch a wenig besser. Und der hat die Technik a behalten. Bei mir isses stagniert. Ich war am Anfang fast besser wie am Schluss."
Doch auch wenn es für die Tenniskarriere nicht gereicht hat, beschwert sich Heiner keinesfalls. Für seine 83 Lebensjahre ist er erstaunlich fit. Vier, fünf Jahre wird’s schon noch gehen, sagt Heiner und setzt wieder sein breites, schelmisches Grinsen auf. Die Zukunft des Platzes dagegen ist ungewiss. Weder die Kinder noch die Enkelkinder interessieren sich sonderlich für Tennis. Der Funke ist nicht übergesprungen. Die Tennis-Tradition, sie hängt allein an Heiner und den Wenzel-Brüdern.
"Manche sagen: Es ist schön, wenn ihr immer spielt. Und staunen, dass ihr alte Männer noch so fest spielt. Aber es gibt auch Leute, die sagen: Euer Geschrei kann man nicht mit anhören."
Ein paar Hundert Meter vom Tennisplatz entfernt, in einem Mehrfamilienhaus in der Weyererstraße, duftet es nach selbst gebackenem Kuchen. Hausbesuch bei Frieder Wenzel und seiner Frau Thea. Frieder – Bürstenhaarschnitt, rundliches Gesicht, modische Kastenbrille – ist mit 77 Jahren der jüngste der Wenzel-Brüder. Hin und wieder zieht er seine Mundwinkel nach unten: die Maskerade des missmutigen Grantlers. Im Sommer auf dem Platz war Frieder der lauteste. Bei ihm kriegen seine Mitspieler häufig ihr Fett ab.
Früher spielte das halbe Dorf
Doch heute am Küchentisch kommt auch Frieders andere Seite zum Vorschein. Wenn er von früher erzählt, ist er ganz leise, schon fast in sich gekehrt. Am liebsten denkt er an die sogenannten "Schleifchenturniere" zurück. Es war ein Turnier für Jedermann im Dorf. In gemischten Doppeln – Frauen und Männer, Talentierte und weniger Talentierte – traten sie gegeneinander an. Für jeden Sieg gab es ein Schleifchen. Wer am Ende die meisten Schleifchen gesammelt hatte, bekam eine Flasche Sekt als Preis. Nebenbei wurde gegrillt, getratscht, gefeiert.
"Das war eigentlich eine schöne Zeit. Da war die Begeisterung halt noch da. Und dann ist es immer weniger geworden. Viele sind abgesprungen. Siehst ja, was jetzt rauskommt. Sind halt bloß noch mir vier. Und sonst ist keiner mehr da."
Noch will niemand vom Aufhören reden. Frieder geht an eine Kommode und holt ein Etui. Darin sind eine Handvoll medizinischer Pässe, für jedes künstliche Gelenk einer. Sein Frau Thea steht belustigt daneben.
"Zwei Knie, eine Schulter, ein Sprunggelenk, ein Handgelenk. Was hab ich noch? Ich hab fünf Pässe. Wenn ich jetzt mal nein Flugzeug steigen würde, müsste ich das alles mitnehmen."
Nicht ohne Stolz blättert Frieder die Ausweise durch. Denn bislang haben ihn seine Prothesen nicht davon abgehalten, am Samstag wieder auf dem Platz zu stehen. Dass er beim Spielen Schmerzen hat, würde er nie zugeben. Er ist ein harter Knochen. Überhaupt sind die Tennis-Senioren nicht zimperlich. Rechnet man zu Frieders fünf Ersatz-Gelenken noch Heiners neue Hüfte und Rolands zwei neue Knie dazu, dann ergibt das eine Summe von acht künstlichen Gelenken - bei vier Spielern. In Sennfelds Sportlerkreisen dürfte das Rekord sein. Warum sich Frieder das alles antut, ist für seine Frau Thea ein Rätsel.
Der Kuchen ist fertig. Gerade pünktlich, denn in einer halben Stunde beginnt schon die Geburtstagsfeier.
Die Clique ist unzertrennlich
Das Sportheim der Sportgemeinde Franken Sennfeld 06 liegt ein paar Hundert Meter vom Dorfrand entfernt mitten im Wald. Ein schmuckloser 70er-Jahre-Bau aus Betonplatten, Glas und einer Eingangstür aus Aluminium. Im Untergeschoss liegen die weiß gekachelten Umkleidekabinen. Eine kühle Steintreppe mit defektem Treppenlift führt ins Obergeschoss, hinein in die Gaststätte "Am Wäldchen". Im großen Gastraum, gegenüber von Zapfhahn und Holztresen, erlaubt eine riesige Glasfront den Blick auf den dunkelgrünen Fußballrasen.
Manni steht an der Eingangstür. Im Nebenraum sitzen etwa 60 Gäste an vier langen Tafeln. Der Boden ist mit beigem Linoleum ausgelegt, an den Wänden hängen Glasvitrinen mit Vereinswimpeln und Mannschaftsfotos aus vergangenen Zeiten. Sektempfang und Mittagessen sind schon vorbei, gerade werden Kaffee und Kuchen serviert. Dazu gibt es Livemusik. Bei Akkordeon und Stimmengewirr lässt es sich schlecht über Tennis diskutieren. Im Nebenraum ist es weniger laut. Zuerst seilen sich Manni und Werner von der Festgesellschaft ab, wenig später kommen Roland, Richard und Frieder dazu. Die Clique ist unzertrennlich.
Es ist ein fröhliches, ein typisches Fest einer Großfamilie. Aber besonders ist es dennoch. Die Wenzel-Brüder und alle ihre Geschwister sind in dem Dorf geblieben, in dem sie geboren wurden und aufwuchsen. Sie haben ihr Leben mit allen Höhen und Tiefen miteinander geteilt. Sie wurden zu Vätern, später zu Großvätern, sie gingen in Rente und nun werden sie gemeinsam alt. Es ist ein geordnetes Leben in einer engen Gemeinschaft, das so immer seltener wird.
Ein Tag später: Roland sitzt im Computerzimmer seines Einfamilienhauses und klickt sich durch verschiedene Ordner mit Fotos. Roland ist der fitteste der Tennis-Brüder. Seit Jahren macht er konsequent jeden Tag Sport, Fitnessstudio und Radfahren hauptsächlich. Seine Gesichtszüge sind entspannt. Häufig lacht er, dann blitzen seine weißen Zähne auf. Die Bilder, die über den alten Monitor flackern, tragen ihn zurück in die Zeit, als er noch ein junger Mann war. Als ein paar sportverrückte Männer auf die Idee kamen, ihren eigenen Tennisverein zu gründen.
Tennis mit Handschuhen
"Wir hatten ja mal eine Flutlichtanlage gehabt draußen. Wenn leichter Schneefall war, haben wir Tennis gespielt. Das kann man eigentlich sich fast nicht vorstellen. Bei Schneetreiben sind wir draußen gewesen. Abends noch nach der Arbeit haben wir uns zusammengesetzt und Tennis gespielt. Bei klirrender Kälte, Handschuhe angehabt."
Die Bilder erzählen von der Hochzeit des Vereins, als 20 Familien regelmäßig spielten. Doch die Jahre vergingen. Die Hüften wurden steifer, und immer mehr Spielerinnen und Spieler schieden aus. 2007 entschied sich die Tennis-Clique, den Verein aufzulösen. Es lohnte sich einfach nicht mehr. "Heute sind nur noch wir vier übrig geblieben", sagt Roland – "das Heinerle und die drei von der Tankstelle."
Und was wird passieren, wenn es einmal nicht mehr geht?
"Das wissen wir auch nicht, was man dann macht. Bei mir wird's vielleicht, wenn alles gut geht, ein bisschen länger dauern. Ich wird´ schon noch andere Sportarten machen, a wenig Radfahren, a wenig Schwimmen oder was. Fitnessstudio. Aber bei den anderen, die eigentlich ausschließlich nur ein bisschen Tennis noch spielen, dann wird's schon mit dem Sport mal aus sein, nehme ich mal an. Wird nicht mehr lange dauern. Mal schauen …"
"Und der Tennisplatz?"
"Das ist dem Heiner sein Grundstück. Kann er vielleicht irgendwas drauf machen. Der tut wahrscheinlich nichts mehr machen mit den Tennisplatz, der lässt das so. Warum auch."
Ein paar Monate später. Es ist ein klirrend kalter Januarmorgen – ein Samstag. Manfred, genannt Manni, hat seine Tennistasche schon gepackt. Handschuhe und ein dicker, mehrfarbiger Skianorak liegen bereit. Durch die große Fensterfront im Wohnzimmer fällt die tiefstehende Sonne direkt ins Haus. Es läuft leise Opernmusik. Manni ist der Kulturinteressierte unter den Brüdern. Mit seiner Frau Elsbeth geht er gerne in Konzerte, ins Theater oder ins Kino – und muss dafür oft einige Witze einstecken.
Zu dritt geht es nicht
Die große Wanduhr zeigt halb zehn. Bis zum Tennisplatz sind es mit dem Fahrrad nur fünf Minuten. Es ist also noch etwas Zeit. Manni setzt sich an den großen Tisch, greift zu seinem Smartphone und öffnet die Kalender-App. Vier Wochen ist das letzte Tennis-Match schon her. Vier Wochen – eine so lange Pause hat es in den 44 Jahren, seitdem alles mit dem ersten Aufschlag seinen Anfang nahm, selten gegeben. Weihnachten, Silvester und Mannis 80. Geburtstag standen ins Haus. Doch wäre es alleine das, es wäre halb so wild. Schlimmer ist, dass Frieder schon seit ein paar Wochen ausfällt.
"Also ich bin spielbereit. Aber der eine Bruder ist schon länger krank, mit seinen Knochen. Da will er einfach nicht spielen. Und kann nicht spielen besser gesagt."
Heute unternehmen die Tennis-Senioren einen neuen Versuch. Manni schultert die Sporttasche, verabschiedet sich von seiner Frau und holt sein Fahrrad aus dem Schuppen. Es ist ein knallrotes Mountainbike. Als Manni am Tennisplatz ankommt, ist Roland schon da. Kurz darauf kommt auch Heiner die kleine Böschung von seinem Hof herunter. Mit federndem Laufschritt betritt er den Platz. Doch Frieder fehlt. Ob seine Gelenke ihn im Stich lassen? Wird er schlapp machen?
Die drei frotzeln wie eh und je. Und doch wissen sie, dass ihre Tennisrunde auf der Kippe steht. Wenn bei vier Spielern einer ausfiele, dann müssten sie heute wohl aussetzen. Zu dritt geht es nicht. Roland greift zum Handy.
"Du Thea, hier ist der Roland. Mir sind auf dem Tennisplatz. Er läuft gerade raus? Wir haben doch gesagt, um zehn Uhr sind wir da draußen. Wieso gibt’s denn das? Also gut, danke."
Entwarnung. Frieder ist unterwegs. Kurz darauf kommt er um die Ecke, mit warmer Wollmütze, Walking-Stöcken und einem großen Mundwerk. Frieder greift sich immer wieder an die Hüfte. Mit kurzen, tippelden Schritten läuft er den Bällen entgegen. Manni geht nur noch die kurzen Wege. Einmal stürzt er und landet auf den Knien. Aber noch ist der Ehrgeiz größer als der Schmerz. Es wird um jeden Ball gekämpft.
Am Ende sind heute Roland und Heiner das bessere Team. Sie lassen den anderen beiden mit 6:1 keine Chance. Nächsten Samstag dann, wenn die Knochen es mitmachen, werden die Teams neu gemischt. Wie seit 44 Jahren schon, beginnt der Kampf um die Punkte wieder von vorn.
Diese Reportage ist eine Wiederholung, Erstsendedatum war der 21. April 2019.