"Die Texte sind eigentlich irrelevant"
Seine Zusammenarbeit mit Sting hat Branford Marsalis bekannt gemacht: Der US-Jazzsaxofonist hatte noch nie Berührungsängste mit Popmusik. Jetzt hat er erstmals ein ganzes Song-Album mit einem Sänger aufgenommen: mit seinem Landsmann Kurt Elling.
"Practical Arrangement" ist ein Song, der einem das Herz bricht und so muss man ihn dann auch spielen. Aber wenn man das mit zu viel brechendem Herzen spielt, dann klingt das kitschig, wie eine schlechte Komödie. Es kommt auf den Tonfall an und auf die Phrasierung. Je mehr Raum man für das Gefühl lässt, desto effektiver ist der Song. Der Song ist zehn Minuten lang und so muss es auch sein."
Es ist sicherlich kein Zufall, dass der amerikanische Tenorsaxophonist Branford Marsalis für sein erstes Album mit Gesang den Sting-Titel "Practical Arrangement" gewählt hat. Immerhin hat ihn seine Zusammenarbeit mit dem Popstar so bekannt gemacht, dass er danach noch von vielen anderen engagiert wurde.
Natürlich hat er den Song ganz neu arrangiert und seinem Sänger Kurt Elling sozusagen auf den Leib geschrieben. Es ist die erste Zusammenarbeit mit der in den USA sehr prominenten Jazzstimme. Branford Marsalis jedenfalls schätzt ihn außerordentlich:
"Es geht um Kurt Elling, nicht um irgendeinen Sänger, denn seine Stimme ist flexibel. Sie haben ein fröhliches Lied und er klingt fröhlich. Sie haben ein trauriges Lied und er klingt traurig. Die meisten Leute kennen nur eine Art zu singen und singen alle Songs auf eben diese Art. Bei ihm ändert sich der Klang seiner Stimme. Billie Holiday hat das auch gemacht. Sie war in der Lage ihre Stimme so zu verändern, dass sie die Gefühle eines Songs ausdrückten konnte und ihm so zum Erfolg verhalf und Kurt kann das genauso machen. Ich habe das nicht bei vielen Sängern gehört."
Den Plan gab es schon länger
Branford Marsalis und Kurt Elling wollten schon lange ein gemeinsames Album aufnehmen. Jetzt hat es endlich geklappt. Dabei war die Auswahl der Songs gar nicht so leicht. Das meiste, was Kurt Elling vorschlug, geschätzte eine Millionen Songs, wie Branford scherzt, taugte für den Saxophonisten nicht:
"Er fragte, warum magst du sie nicht - und ich antwortete: weil du sie bereits aufgenommen hast. Du hast deinen Part bereits ausgearbeitet und ich möchte mit dir auf der Platte etwas anderes machen. Wir werden Songs aufnehmen, die du nie zuvor aufgenommen hast und das ändert die Art und Weise, wie du sie singst. Lass uns Songs nehmen, die eine großartige Melodie haben und noch nicht tot gespielt sind. Plötzlich sind das dann nur noch zehn Songs und keine Million."
Übrig geblieben sind schließlich zwölf Titel, auf die sich die beiden einigen konnten. Das letzte Wort hatte allerdings Branford Marsalis als Bandleader und Arrangeur. Er hat überhaupt ziemlich klare Vorstellungen davon, wie ein Song sein musste, um es auf das Album zu schaffen. Am wichtigsten war die Melodie. Die Textaussage interessierte ihn kaum.
"Was steckt in einer Mikrowelle drin?"
"Das haben alle unsere Songs gemeinsam: sie haben großartige Melodien. Die Inhalte sind eigentlich irrelevant, denn das ist nur ein Detail. Besitzen Sie eine Mikrowelle? Ich besitze eine. Wissen Sie, was die macht? Sie macht kalte Dinge heiß. Was steckt in einer Mikrowelle drin? Ich habe keine Ahnung und es ist mir auch egal. Ich will einfach die Dinge heiß, wenn ich sie heiß haben will. Und so hören die Leute auch Musik. Wenn es ein guter Song ist, dann lass ihn uns spielen. Für mich ist der Text irrelevant. Das ist der Job von Kurt, nicht meiner."
Ja, ein Frank Sinatra Titel ist auch dabei, wenn auch kein tausendmal gehörter. Die Palette reicht weit: Stücke von Gershwin, Sonny Rollins, Antonio Carlos Jobim und – wie schön gehört – von Sting finden sich im Repertoire. Und es stimmt: alle Titel sind relativ unbekannt und in vielen Fällen so neu arrangiert, dass man sie nicht sofort wiedererkennt.
Es gibt sogar eine Premiere: Kurt Elling wollte unbedingt das Gedicht von Calvin Forbes "Momma said" vortragen. Also erfand Branford Marsalis eine Melodie und eine Begleitung. Herausgekommen ist eine Art Jazzpoetry.
Ein echter Jazzsänger, der mit den Musikern mitgeht
Das Unerwartete, das Überraschende macht den Reiz der Platte aus, ihre Faszination. Das verdankt sie zudem der variantenreichen Stimme Kurt Ellings. Es ist schon erstaunlich, welche Nuancierungen ihm gelingen und wie perfekt sich die Arrangements von Branford Marsalis um sie schmiegen. Elling ist zudem ein echter Jazzsänger, der mit den Musikern mitgeht, nicht am Notenblatt festklebt:
"Er ist ein Improvisator. Wenn er singt, dann improvisiert er. Das ist einer der Gründe, warum er so attraktiv ist. Er nutzt die Chance und singt Sachen, die nicht aufgeschrieben sind. Als er den brasilianischen Song aufgenommen hat, hat er zuerst die Melodie gesungen, aber am Ende des Songs hat er mit mir zusammen improvisiert. Wir haben Ideen ausgetauscht. Er improvisiert und das war nicht ausgearbeitet."
Auch hier wieder hat sich Branford Marsalis einen Song des brasilianischen Komponisten Antonio Jobim ausgesucht, der noch nicht abgenudelt ist. So gibt es viele kleine Entdeckungen zu machen. Die Zusammenarbeit des Saxophonisten und des Sänger ist zweifelsohne gelungen. Das ist nicht zum geringsten Teil auch ein Verdienst des Quartetts, d.h. der Pianisten Joey Calderazzo, des Bassisten Eric Revis und des Schlagzeugers Justin Faulkner – ein lange eingespieltes Team erstklassischer Musiker. Herausgekommen ist ein herzerwärmendes Album.