Termine machen mit dem Tod
Wird der Suizid der Tod der Zukunft? In letzter Zeit scheint es immer mehr Befürworter der These zu geben, dass der Mensch nicht nur für seine Lebensgestaltung verantwortlich ist, sondern für Zeit und Umstände seines Sterbens. Die berechtigte Angst vor der Apparatemedizin und vor Fremdbestimmung am Lebensende paart sich mit dem Wunsch, dem eigenen Leben einen würdigen und schmerzfreien Abschluss zu geben.
Man will selber sagen, wann die Zeit gekommen ist und möglichst professionell aus dem Leben scheiden. Vielleicht mit Unterstützung einer Sterbehilfeorganisation, die einem mit der richtigen Giftmischung behilflich ist. Und so, dass die eigenen Angehörigen sich über diesen Schritt nicht entsetzen, sondern ihn mit Wohlgefallen ansehen.
Nun steht es wohl niemandem zu, über das Sterben und den Tod anderer zu urteilen. Moralische Appelle nützen ohnehin wenig, wenn jemand partout nicht am Leben bleiben will. Und immer schon war umstritten, ob Selbsttötung eine Verzweiflungstat ist oder letzter Akt von Selbstbestimmung. Die neuere Debatte um dieses komplexe Thema ist aber problematisch, weil sie dazu neigt, selbstbestimmtes Sterben zu glorifizieren und ihm jene bedrängende Ambivalenz abzusprechen, von denen Verfechter der Freitodthese wie Jean Améry viel zu sagen wussten. Alles easy in Sachen Lebensbeendigung?
Mindestens drei Verkürzungen finden sich immer wieder: Erstens, die Vorstellung, nur noch das Sterben sei ein Problem, nicht aber der Tod. Dieser wird seines Skandalcharakters beraubt und zum guten Tod, ja gelegentlich zum Erlöser umgedeutet. Dabei wird vergessen, dass der Tod dem Leben jegliche Bedeutung nimmt und zudem zu jeder Zeit, also heute, eintreffen kann. Der Tod entzieht sich der Planbarkeit des Menschen und ist keine Möglichkeit, auf die man sich einstellen kann, sondern das Ende aller Möglichkeiten. Er ist kein melodischer Schlussakkord, sondern Abbruch eines Fragments.
Zweitens ist es unangemessen, die Selbsttötung kalendarisch vorzumerken. Wenn sich ein 60-Jähriger vornimmt, in zehn Jahren im Vollbesitz seiner Kräfte seinem Leben ein würdiges Ende zu setzen, so kann er weder wissen, ob er dieses Alter erreicht, noch, wie seine Einstellung zum Suizid dann sein wird. Und ich kann heute nicht wissen, wie wichtig mir Autonomie am Lebensende sein wird und ob ich es nicht vorziehe, trotz der Abhängigkeit von Medizintechnik am Leben bleiben zu wollen. Walter Jens, der Rhetoriker, hatte erklärt, wer dement sei, könne nicht mehr als Mensch angesehen werden. Und er hatte in einem Buch für selbstbestimmtes Sterben plädiert. Offenbar war das aber keine Option mehr, nachdem er selber an Demenz erkrankte: "Bitte nicht totmachen", soll er zu seiner Frau gesagt haben.
Drittens stellt für Angehörige die Selbsttötung eines Verwandten oft eine massive Belastung dar und bleibt als entscheidendes Ereignis im Gedächtnis. Das ist wichtig, weil der Philosoph Sartre zu Recht sagt: "Tot sein bedeutet, den Lebenden eine Beute zu sein". Sie bestimmen, was von meinem Leben erinnert wird. Die Ideologie, man könne die Selbsttötung seinen Angehörigen schmackhaft machen, verwechselt leicht Verständnis mit Zustimmung. Man kann nie wissen, was die Anderen wirklich vom einem denken und auf lange Sicht gutheißen. Zusätzlich ergibt sich das Problem, dass aufgrund veränderter Konventionen oder aus niedrigen Beweggründen dem leidenden Menschen von Familienmitgliedern nahegelegt werden kann, endlich aus dem Leben zu scheiden, obwohl dessen Zustand vielleicht nur von außen als unerträglich beurteilt wird.
Evangelische Theologie sieht den Tod nicht als Erlöser an, sondern als feindlichen Fremdkörper, dem nur Gott gewachsen ist, weil er sich ihm in Kreuz und Auferstehung Christi ausgesetzt hat. Darauf kann sich die Hoffnung gründen, dass Gott jedem Menschen in seinem Sterben nahe und behilflich ist - auf je individuelle und geheimnisvolle Weise. Für Menschen ist es nicht unwürdig, den Tod passiv zu erleiden. Selbsttötung muss man nicht verurteilen, sie darf aber auch nicht aller Problematik entkleidet werden.
Knut Berner, geboren 1964 in Wuppertal, studierte evangelische Theologie in Bonn und Heidelberg. Anschließend wurde er in Wuppertal zum Pfarrer ausgebildet, promovierte und habilitierte sich an der Ruhr-Universität Bochum. Seit 1996 ist er Studienleiter im Evangelischen Studienwerk e.V. Villigst. Außerdem lehrt er als Professor Systematische Theologie an der Ruhr-Universität Bochum.
Nun steht es wohl niemandem zu, über das Sterben und den Tod anderer zu urteilen. Moralische Appelle nützen ohnehin wenig, wenn jemand partout nicht am Leben bleiben will. Und immer schon war umstritten, ob Selbsttötung eine Verzweiflungstat ist oder letzter Akt von Selbstbestimmung. Die neuere Debatte um dieses komplexe Thema ist aber problematisch, weil sie dazu neigt, selbstbestimmtes Sterben zu glorifizieren und ihm jene bedrängende Ambivalenz abzusprechen, von denen Verfechter der Freitodthese wie Jean Améry viel zu sagen wussten. Alles easy in Sachen Lebensbeendigung?
Mindestens drei Verkürzungen finden sich immer wieder: Erstens, die Vorstellung, nur noch das Sterben sei ein Problem, nicht aber der Tod. Dieser wird seines Skandalcharakters beraubt und zum guten Tod, ja gelegentlich zum Erlöser umgedeutet. Dabei wird vergessen, dass der Tod dem Leben jegliche Bedeutung nimmt und zudem zu jeder Zeit, also heute, eintreffen kann. Der Tod entzieht sich der Planbarkeit des Menschen und ist keine Möglichkeit, auf die man sich einstellen kann, sondern das Ende aller Möglichkeiten. Er ist kein melodischer Schlussakkord, sondern Abbruch eines Fragments.
Zweitens ist es unangemessen, die Selbsttötung kalendarisch vorzumerken. Wenn sich ein 60-Jähriger vornimmt, in zehn Jahren im Vollbesitz seiner Kräfte seinem Leben ein würdiges Ende zu setzen, so kann er weder wissen, ob er dieses Alter erreicht, noch, wie seine Einstellung zum Suizid dann sein wird. Und ich kann heute nicht wissen, wie wichtig mir Autonomie am Lebensende sein wird und ob ich es nicht vorziehe, trotz der Abhängigkeit von Medizintechnik am Leben bleiben zu wollen. Walter Jens, der Rhetoriker, hatte erklärt, wer dement sei, könne nicht mehr als Mensch angesehen werden. Und er hatte in einem Buch für selbstbestimmtes Sterben plädiert. Offenbar war das aber keine Option mehr, nachdem er selber an Demenz erkrankte: "Bitte nicht totmachen", soll er zu seiner Frau gesagt haben.
Drittens stellt für Angehörige die Selbsttötung eines Verwandten oft eine massive Belastung dar und bleibt als entscheidendes Ereignis im Gedächtnis. Das ist wichtig, weil der Philosoph Sartre zu Recht sagt: "Tot sein bedeutet, den Lebenden eine Beute zu sein". Sie bestimmen, was von meinem Leben erinnert wird. Die Ideologie, man könne die Selbsttötung seinen Angehörigen schmackhaft machen, verwechselt leicht Verständnis mit Zustimmung. Man kann nie wissen, was die Anderen wirklich vom einem denken und auf lange Sicht gutheißen. Zusätzlich ergibt sich das Problem, dass aufgrund veränderter Konventionen oder aus niedrigen Beweggründen dem leidenden Menschen von Familienmitgliedern nahegelegt werden kann, endlich aus dem Leben zu scheiden, obwohl dessen Zustand vielleicht nur von außen als unerträglich beurteilt wird.
Evangelische Theologie sieht den Tod nicht als Erlöser an, sondern als feindlichen Fremdkörper, dem nur Gott gewachsen ist, weil er sich ihm in Kreuz und Auferstehung Christi ausgesetzt hat. Darauf kann sich die Hoffnung gründen, dass Gott jedem Menschen in seinem Sterben nahe und behilflich ist - auf je individuelle und geheimnisvolle Weise. Für Menschen ist es nicht unwürdig, den Tod passiv zu erleiden. Selbsttötung muss man nicht verurteilen, sie darf aber auch nicht aller Problematik entkleidet werden.
Knut Berner, geboren 1964 in Wuppertal, studierte evangelische Theologie in Bonn und Heidelberg. Anschließend wurde er in Wuppertal zum Pfarrer ausgebildet, promovierte und habilitierte sich an der Ruhr-Universität Bochum. Seit 1996 ist er Studienleiter im Evangelischen Studienwerk e.V. Villigst. Außerdem lehrt er als Professor Systematische Theologie an der Ruhr-Universität Bochum.