Terror thematisieren

Von Mandy Schielke |
Junge Migranten, die keine Ahnung vom Filmemachen haben, nehmen eine Kamera in die Hand und beschäftigen sich unter Anleitung des Filmemachers Neco Çelik und der Publizistin Mely Kiyak in ihrem Kiez mit dem Thema NSU. Was wissen die Leute auf der Straße darüber, wie denken die Jugendlichen selbst? Am Ende steht ein politisches Nachrichtenformat, das am Freitag, den 22. Februar 2013 im Ballhaus Naunynstraße in Berlin präsentiert wird.
Sieben Uhr morgens in der Adalbertstraße am Kottbusser Tor in Berlin-Kreuzberg. Der Duft von frischen Backwaren hängt in der Luft als eine junge Frau den Dönerimbiss neben der Hausnummer sechs betritt. An den Tischen sitzen bärtige Männer und trinken Tee. Einer steht am Spielautomaten, mustert die junge Frau.

Amanda hat ein bildschönes Gesicht und trägt enge Jeans. Zieht ein Stativ aus ihrem Rucksack, klemmt eine Kamera, nicht größer als ein Smartphone, darauf fest.

Amanda: "Oh nein, es sagt mir ich habe noch wenig Batterie. Aber das klappt schon."

Sie fokussiert den Dönerspieß hinter der Theke, der um diese Uhrzeit noch fest in Plastikfolie eingewickelt ist, und zoomt ihn heran.

Amanda: "Mir ging es um den Begriff Döner-Morde. Da wurden ja Leute umgebracht. Das war ja kein Essen. Und das dann so herunterzustufen, das hat mich eben so aufgeregt und das wollte ich zeigen, wie absurd das ist. Ich finde, das verdeutlicht irgendwie, es gibt Menschen und es gibt Ausländer. Das hat mich eben schockiert."

Während sie die Kamera hin und her schwenkt, erzählt die 19-Jährige, dass sie bei einem Projekt des Theaters Ballhaus Naunynstraße sowohl ihr Filmmaterial zeigen will als auch selbst auf der Bühne auftreten möchte - in einem Dönerkostüm.

Der Mann hinterm Tresen, auf dessen T-Shirt "Dönerking" steht, bereitet das Tagesgeschäft vor, schneidet Zwiebeln, Tomaten, Rotkraut. Amanda beobachtet ihn durch die Kameralinse, fragt, ob er vom NSU gehört hat.

Verkäufer/Amanda: "NSU, nee. Das sind so drei Neonazis, die in den letzten zehn Jahren acht Türken, einen Griechen und einen Deutschen umgebracht haben. Gar nicht davon gehört?"

Der Mann schüttelt schüchtern den Kopf. Amanda versucht ein Lächeln, macht erst mal eine Pause. Erzählt bei einem Glas Tee, dass sie seit 14 Jahren mit ihrer Familie in Deutschland lebt. Geboren ist sie in Ruanda.

Amanda: "Da war ‘94 ja auch ein Bürgerkrieg. Genozid und so weiter und da wurden Verwandte getötet. Dann dachte ich eigentlich, dass man so viele Kilometer entfernt ..."

Wieder blinkt das Batteriezeichen auf dem Display ihrer Kamera heftig, Amanda filmt deshalb noch schnell die Speisekarte ab. Dönerteller, Dürüm. Gemischte Grillplatte. Ganz nebenbei erzählt sie, dass ihre Mutter in einem Zentrum für Flüchtlinge arbeitet, das ebenfalls auf der Liste der Zwickauer Terrorzelle stand.

Ein paar Tage später: NSU-Untersuchungsausschuss im Bundestag. Befragung eines Zielfahnders des Landeskriminalamtes Thüringen. Aktenvermerke, Zuständigkeiten, Ungereimtheiten. Auf der Zuschauertribüne über dem Geschehen hören und sehen etwa 50 Journalisten und interessierte Bürger zu. Darunter ein schlaksiger Kerl in weiter Jeans und Collage-Jacke. Philipp. 20 Jahre alt, in Kreuzberg aufgewachsen. Auch er macht mit beim Theaterprojekt.

Vor dem Saal warten Fernsehteams. Die Abgeordneten treten vor die Mikrofone.

Obmann Wolfgang Wieland: "Es wurde wieder einmal klar, dass die Polizei in Thüringen versagt hat bei der Zielfahndung."

Philipp wirft seinen Rucksack lässig über die Schulter, beobachtet das Ganze interessiert.

Philipp: "”Meine Auseinandersetzung mit der Thematik ist eben genau das zu machen, was hier nicht passieren kann. Uwe Mundlos wird ein Mikrofon gegeben und er muss Stellung nehmen zu seiner Tat.""

Philipp will auf der Bühne einen Abschiedsbrief vortragen, den der Rechtsterrorrist Uwe Mundlos vor seinem Selbstmord geschrieben haben könnte.

Phillip: "Wenn Du schon die Möglichkeit hast auf der Bühne zu stehen, dann sollte man die Chance nutzen."

Am selben Nachmittag sitzt er mit hängenden Schultern über seinen Zettelblock gebeugt in einem plüschigen Cafè am Landwehrkanal und liest sich immer wieder das, was er bisher notiert hat, vor.

Philipp: "Nach unserem ersten Mord war unser Weg mit Blut gezeichnet. Ich sterbe als freier Mann - als Führer, als Schuldiger als Märtyrer oder als das, was ihr auch immer in mir seht."

Noch ein Espresso, dann muss er zu den Proben ins Ballhaus. Draußen wird es langsam wieder dunkel.

Neco: "Noch einmal herzlich willkommen."

13 junge Frauen und Männer sitzen bei Neonlicht in einem Stuhlkreis im Probenraum des Theaters. Die Paten des Projekts - der Regisseur Neco Çelik und die Publizisten Mely Kiyak - wollen wissen, wie weit alle mit ihren Ideen sind - mit ihren Straßenumfragen, Filmaufnahmen und Inszenierungen. Als Philipp dran ist, der einzige im Raum ohne ausländische Wurzeln, druckst er etwas rum.

Philipp: "Die Angst die ich habe, ist dass von manchen Leuten das wie eine Verteidigungsrede aufgenommen werden könnte. Kannst Du zwei Absätze nicht einfach vorlesen. Sagst Du in dem Text auch dass Du Uwe Mundlos bist. Also erklärt sich der Text von selbst?"

Phillip nickt selbstbewusst. Wenig später stößt Amanda zu der Gruppe. Von ihrer Idee, als menschlicher Döner aufzutreten, sind Mely und Neco, die Paten, sofort begeistert.

Mely: "Unsere Teilnehmer haben begriffen, dass Rechtsterrorismus eine gesellschaftliche Angelegenheit ist. Und sie sind auch ein Teil der Gesellschaft und deshalb ist es auch ihre Angelegenheit.

Und es war in den ersten Treffen auch so, dass viele das Bedürfnis hatten, andere zu Wort kommen zu lassen und dann begriffen haben, dass sie sich trauen können, selber zu denken und zuzulassen."