Marokko lehrt einen toleranten Islam
Als Marokko Anfang des Jahrhunderts einen ersten Terroranschlag mit mehr als 40 Todesopfern erlebte, zog König Mohamed VI. Konsequenzen: Er ließ eine Imam-Schule gründen, in der die tolerante Version des Islam gelehrt wird. Auch Frauen werden dort ausgebildet.
Die Imam-Schule ist neu gebaut worden: Weitläufig und durchaus beeindruckend. Das riesige, eisenbeschlagene Holztor am Eingang steht weit offen.
Ein Brunnen plätschert auf dem Innenhof hinter der Eingangshalle, die mit Mosaiken, zwölf Säulen und Stuckverzierungen ausgestattet ist. Institut Mohamed VI – benannt nach Marokkos König, der diese Imam-Schule wollte.
Das Institut hat moderne Hörsäle, zwei Kantinen, eine Moschee, ein Fitnesscenter und einen Sportplatz. Und es steht neben den marokkanischen Imam-Anwärtern auch hunderten Studenten aus sechs anderen Nationen offen. Kostenlos. Marokko zahlt für alle. Auf die Frage, warum das Königreich dieses Geld investiert, antwortet Direktor Lazaar:
"Warum investiert die Welt Milliarden in Waffen zur Terrorismus-Bekämpfung? Marokko kämpft hier. Und die Welt sollte uns bei dieser geistigen Terror-Bekämpfung, beim Unterricht des richtigen Islam unterstützen."
Marokko nimmt für sich in Anspruch, einen toleranten, offenen Islam zu praktizieren. Gewissermaßen das Gegenstück zur strengen, wahhabitischen Schule aus Saudi-Arabien. Marokkos König wollte den wachsenden Einfluss dieses radikalen Religionsverständnisses eindämmen. Deshalb lehrt das Institut Mohamed VI. ein Islam-Verständnis, das Toleranz und Offenheit gegen Ausgrenzung stellt. Und genau das sollen Studenten aus Guinea, aus Frankreich oder aus Mali hier lernen.
Er muss Arabisch können und darf kein Extremist sein
Mohamed Sampi ist aus dem westafrikanischen Guinea hierher geschickt worden:
"Unsere Eltern haben diese Interpretation des Islam gelernt. Dann kam der Einfluss aus Saudi-Arabien, wo eine andere Interpretation vorherrscht. Und jetzt kehren wir, die wir hierhin geschickt wurden, wieder zu dem Islam zurück, der die richtigen Regeln lehrt."
Sampi hat ein Auswahlverfahren in Guinea absolviert. Dabei überprüfte eine Gruppe Religionsgelehrter, ob er den Koran auswendig kann. Ob sein Arabisch für die Ausbildung ausreichend ist. Und wohl auch, ob er kein Extremist ist – aber das sagt Mohamed Sampi nicht so offen. Sampi glaubt, dass er andere überzeugen könne von dieser toleranten Version des Islam. Aber Sampi sagt auch, er persönlich kenne in Guinea niemanden, der extremistisch denke.
Morgan Gallet ist aus Frankreich in die marokkanische Imam-Schule gekommen. Auch er kennt keine Extremisten:
"Noch nie habe ich welche getroffen, sagt er 27-Jährige. "Die kommen nicht in die Moschee."
Direktor Lazaar erzählt von einer anderen Erfahrung:
"Ich hatte sechs Studenten aus Mali hier, die kamen mit salafistischem Gedankengut. Sie waren nicht wirklich gefährlich, aber sie hatten diese Ideen. Sie sind später als Imame in ihr Land zurückgekehrt, wie alle anderen auch."
"Wie alle anderen auch" – das soll heißen: Als Prediger eines toleranten, offenen Islam. In Marokko selbst dient die Imam-Schule auch als Kontroll-Organ. Wer zu den etwa 45.000 Predigern im Königreich gehören will, muss hier seine Ausbildung durchlaufen. Auch diejenigen, die schon seit Jahren als Imam wirken. Wo sie dann predigen dürfen, entscheidet in Marokko das staatliche Religionsministerium, sagt Direktor Lazaar. Und nicht nur das:
"Bei uns kennt der Staat diejenigen, die freitags predigen. Diejenigen, die Imame sind. Sie werden gewissermaßen vom Staat entsandt. Überschreitet jemand die Grenzen des staatlichen Religionsverständnisses – dann muss er ausgeschlossen werden."
Das geht in Marokko, weil der König dort gleichzeitig ganz offiziell der "Kommandant der Gläubigen" ist. In westafrikanischen Staaten ist das anders. Sidou Nourou Gueye ist aus Mali in die Imam-Schule gekommen:
"Bei uns ernennt der Staat nur die Imame der großen Moscheen in der Hauptstadt Bamako. In den anderen Regionen werden die Imame von den Bürgern ausgesucht, von den Leuten im jeweiligen Stadtviertel – so geht das bei uns."
In Mali finden die Imame keinen Job
Mehr als 200 Imame aus Mali sind bisher in Marokko ausgebildet worden. Aber wenn sie nach Hause kommen finden viele von ihnen keinen Job als Prediger. Weil der Staat sie nicht einfach in irgendeine Moschee kommandieren kann, schon gar nicht im unruhigen Norden Malis, wo sich die religiösen Extremisten tummeln.
Und dennoch glaubt der Direktor der marokkanischen Imam-Schule fest daran, dass die geistliche Botschaft seines Instituts langfristig Wirkung zeigen wird. Auch deshalb, weil an seinem Institut neben der Religion auch handfeste Berufe unterrichtet werden. Die Studenten aus den westafrikanischen Staaten lernen Grundkenntnisse in Elektrik, Informatiker, Landwirtschaft und Schneider-Handwerk. Damit sie neben ihrer Tätigkeit als Imam auch von etwas leben können:
"Wenn sie nach Hause kommen, gibt ihnen ihr Staat keinen Cent. Sie müssen also einen Beruf finden, von dem sie leben können. Und gleichzeitig als Imam arbeiten."
Die Idee dahinter ist: Die Imame sollen nicht auf die finanzielle Unterstützung eventuell radikaler Geldgeber angewiesen sein. Denn die könnten dann auch bestimmen, welche Botschaft der jeweilig Imam verkündet.
Und noch etwas Besonderes bietet die marokkanische Imam-Schule. Sie bildet Frauen aus. "Morchidate" heisst deren Beruf, das könnte man wohl als "Religionsberaterin" übersetzen. Diese Frauen arbeiten in Moscheen, in Familien. Sie bieten Gefängnisinsassen geistlichen Beistand an und arbeiten in Dörfern und Städten als Religionsberaterinnen. Richtige Imame dürfen sie nicht sein, so weit ist auch der tolerante Islam marokkanischer Prägung noch nicht. Elfrada Bouchra, eine marokkanische Studentin, meint dennoch: Die "Morchidate" spielen eine immer wichtigere Rolle:
"Ich kann Frauen Dinge fragen, die ein Mann niemals fragen dürfte. Auch ein Imam nicht. Das ist die Stärke der Morchidate."