Nackt im Dreck wühlen
"Terrorisms" ist ein internationales Theaterfestival in Stuttgart, auf dem der Nahostkonflikt, das Sarajewo-Attentat, das den Ersten Weltkrieg auslöste oder 9/11 behandelt werden. Das ist manchmal mühsam, sehr politisch und ein voller Erfolg.
Laue Sommernächte in Stuttgart... Vor dem Theater sitzen entspannte Menschen im Schlossgarten, aber nach Vorstellungsende preschen Polizei- und Feuerwehrwägen mit Martinshorn durch die Menge. Ein bisschen bestellte Realityshow muss sein bei diesem Festival, das die verschiedensten europäischen Theater miteinander ins Gespräch bringen will.
Das Terrorismus-Thema ist bewusst sehr weit gefasst. Die Israelis beschäftigen sich mit der zweiten Intifada, Oslo steigt die Menschheitsgeschichte hinab in den Modder und Dreck, der Belgrader Beitrag geht vom Attentat von Sarajewo aus, das den Ersten Weltkrieg auslöste. Und der Stuttgarter Intendant Armin Petras, der das Festival initiiert hat, kommt gerade aus Rumänien, aus Sibiu, wo er den "Nathan" inszenierte.
"Wir haben gesagt, zu welchem Thema können wir aus verschiedenen Theatern Europas gemeinsam etwas machen, und es war lustigerweise wirklich meine Idee, der ich gesagt hab: Terrorismus ist ein ganz zentrales Thema, was uns weiter in den nächsten Jahren beschäftigen wird. Und in dieser Sitzung, die vier Stunden gedauert hat, kamen wir auf diesen Arbeitstitel 'Terrorisms'."
Thematisch ist alles erlaubt
"Terrorisms" heißt dann auch, dass hier thematisch alles erlaubt ist, vom Staatsterrorismus bis zum Familienterror. Das Nationaltheater Oslo zum Beispiel stellt vier Schauspieler auf die Bühne, die großenteils nackt agieren und im Dreck wühlen, zynisch die Gegenwart reflektieren und sich im Rahmen eines Seminars zu den Anfängen der Menschheit zurücksehnen. Petras gibt freimütig zu, dass er das theatralisch interessant findet, aber auch ein bisschen ratlos ist.
"Sagen wir so: Ich find des ne Super-Schau, aber mir ist überhaupt noch nicht klar, wo hier der Bezug zu den Terrorisms ist."
Das macht aber nichts. Nach zweieinhalb Stunden Spieldauer stellt sich sowohl auf der Bühne als auch im Publikum eine wohlige Erschöpfung ein, man fühlt sich schon ein bisschen terrorisiert, aber auch soghaft hineingezogen wie in einen Wim-Wenders-Film. Und etwas angestrengt ist man auch – vom ständigen Lesen der Untertitel.
Ja, es gibt ein Sprachproblem. Und beileibe nicht nur ein linguistisches. Zwar haben alle Produktionen hier postmoderne Ansprüche, aber die Theater-Stile sind dann doch sehr unterschiedlich. Der serbische Beitrag "The Dragonslayers", die Drachentöter, von Milena Markovic rollt die traurige serbische Gegenwart anhand des Sarajewo-Attentäters Gavrilo Princip auf, aber in Wahrheit ist die Aufführung eine Versuchsanordnung für experimentelle Poesie, surreale politische Prosa und schräges Musiktheater, eine Art Avantgarde-Kabarett. Das kann man auch mit Untertiteln nicht wirklich nachvollziehen oder gar würdigen.
In Israel lebt man jeden Tag mit dem Druck des Nahost-Konflikts, und die meisten Israelis wollen das im Theater nicht unbedingt nochmals sehen. Und wenn, dann in anderer Form, sagt der Regisseur Shay Pitowsky, der Maya Arads Stück über eine Selbstmordattentäterin inszeniert hat: "God waits at the Station".
"Ich hab nach dem ästhetischen Schlüssel gesucht, um es nicht realistisch zu spielen. Es geht um Zeugenaussagen von Menschen und um ihre Träume. Videoaussagen, Realsituationen, und das muss sehr präzise sein."
"Eine Zeit voller Furcht"
Der Schlüssel ist natürlich: Stilisierung, Mythisierung. Differenzierung. Die Selbstmordattentäterin ist nicht strikt religiös, sie hat auch andere Motive. Sie ist auch in ihrer Gesellschaft an den Rand gedrängt. Das Stück spielt während der zweiten Intifada.
"Es war eine Zeit voller Furcht. Man konnte nicht Bus fahren oder in die Restaurants gehen. Wir erzählen die Geschichte einer Selbstmordattentäterin, die angeblich schwanger ist, und eines Soldaten, der sie den Checkpoint passieren lässt..."
Solche Fälle hat es tatsächlich gegeben: Die angeblich Schwangere hat eine Bombe am Bauch. Aber das Theater lässt beide Seiten zu ihrem Recht kommen, die in bedrückten Verhältnissen lebenden Palästinenser und Israelis mit ihren Ängsten.
Stuttgart selber hat einiges beizutragen zu diesem Festival. Am schönsten vielleicht ein kleines, manchmal auch etwas redseliges Stück, zwei Personen nur, von Carsten Brandau: "Wir sind nicht das Ende".
"Ich will, dass du ganz stark bleibst. Wie ich dich kenne... Mach, was du immer machen wolltest. Kopf hoch. Aber mit einem Ziel. Sei nie ziellos... Halte dich fest an was du hast, bis wir uns wiedertreffen. Und dann werden wir ein ganz schönes ewiges Leben haben. Ich habe dich nicht allein gelassen. Allah ist bei dir und mit deinen Eltern."
Das ist – im Stück - der Abschiedsbrief eines der Terroristen des 11.September an seine deutsche Freundin. Drei Jahre waren sie verheiratet, nie hat sie etwas gemerkt. Jetzt versucht sie, die Beziehung zu rekonstruieren. Mit der Power-Schauspielerin Birgit Unterweger wird das ein wirklicher Beziehungskrieg, der private Dschihad.
So ist das Festival am Ende dann doch politischer, als es anfangs schien. Und die Zusammenarbeit zwischen den beteiligten fünf Theatern wird weitergehen...