Terrorismus gebannt, doch Bürger entrechtet

Von Sandra Petersmann · 02.03.2011
Der fast 40-jährige Bürgerkrieg in Sri Lanka hat bis zu 100.000 meist zivile Todesopfer gefordert. Kein Wunder, dass der Weg zum Frieden ein weiter ist. Und mit Mahinda Rajapakse hat Sri Lanka einen Präsidenten, mit dem der Ausnahmezustand die Regel und Demokratie die Ausnahme ist.
Seit dem militärischen Triumph über die tamilischen Rebellen schwimmt Sri Lanka auf einer Welle des singhalesischen Nationalismus. Die Singhalesen sind die größte Bevölkerungsgruppe auf der Insel. Präsident Mahinda Rajapakse strotzt vor Selbstbewusstsein – wie hier im Exklusiv-Interview bei Al Jazeera im Mai des vergangenen Jahres, am ersten Jahrestag des Sieges über die LTTE.

Rajapakse: "Die Menschen können endlich wieder frei vom Norden in den Süden reisen und umgekehrt. Sie lernen wieder, einander zu vertrauen. Das ist der Fortschritt, den wir brauchen."

Rajapakse hat nach der Zerschlagung der tamilischen Befreiungstiger im Mai 2009 keine Zeit verloren. Er zog die Präsidentschaftswahl vor und gewann haushoch, während sein Herausforderer nach einem zweifelhaften Verfahren im Gefängnis sitzt.

Auch die Parlamentswahl entschied das Präsidenten-Lager anschließend zu seinen Gunsten und setzte schnell eine entscheidende Verfassungsänderung durch: Rajapakse darf sich jetzt so oft wiederwählen lassen wie er will. Der Präsident bestreitet, dass Sri Lanka auf dem Weg zur Diktatur ist. Das sei alles Propaganda der Opposition und bezahlter Medien.

Mahinda Rajapakse hat viele dutzend Verwandte und Günstlinge in den Schaltzentralen der Macht untergebracht – seinen Bruder zum Beispiel im Verteidigungsministerium.

Rajapakse: "Hören Sie, das Ganze Land ist eine riesige Familie. Das Volk hat sie gewählt. Und wenn die Rajapakses nicht liefern, dann schmeißt das Volks sie raus."
Der tamilische Gemüsehändler Mohan in Colombo sieht die Sache etwas anders. Er beklagt sich über die grenzenlose Macht der Regierung und die ständig wachsende Zahl der Minister, während die Lebenshaltungskosten explodieren. Und die verheerenden Monsunfluten Anfang des Jahres haben die Preise noch mehr in die Höhe getrieben, ergänzt Taxifahrer Perumal:

"Der Krieg auf Sri Lanka ist vorbei, ja. Aber jetzt leiden wir unter einem Wirtschaftskrieg."

In der ehemaligen Kampfzone im Nordosten der Insel kommen Wiederaufbau und Reintegration nur schleppend voran. Im Kernland der tamilischen Minderheit haben Armee und Rebellen in einer erbarmungslosen Entscheidungsschlacht zwischen Januar und Mai 2009 nachweislich abscheuliche Verbrechen begangen. Präsident Rajapakse verhindert eine unabhängige Untersuchung.

Rajapakse: "Das ist eine innere Angelegenheit. Wir kümmern uns selber darum. Ich habe eine Kommission ernannt und wenn es tatsächlich Verbrechen gab, dann werden die Leute zu uns kommen und sich beschweren, und wir werden das dann untersuchen."

Er hat die Kommission handverlesen und ihren Arbeitsauftrag begrenzt. Niemand könne dafür bestraft werden, den Terrorismus besiegt zu haben.

Menschenrechtler, Oppositionelle und kritische Journalisten werden gezielt eingeschüchtert oder verschwinden spurlos - so wie Prageeth Eknelygodia. Seit über einem Jahr fehlt jedes Lebenszeichen von dem bekannten Cartoonisten.

Hana Ibrahim, Journalistin: "Wenn unsere Sicherheitskräfte eine Terrorgruppe wie die LTTE besiegen können, dann gibt es keinen Grund, warum sie nicht auch sein Verschwinden oder den Angriff auf eine Fernsehstation aufklären können."

Hana Ibrahim hat eine Demonstration für den vermissten Kollegen mitorganisiert. Die Regierung hat ihre Zeitung "Sunday Standard" im März 2007 geschlossen.

Hana Ibrahim, Journalistin: "Vielleicht hat es früher tatsächlich Gründe gegeben, uns zu kontrollieren, aber das ist doch jetzt vorbei. Wir sollten unser Handwerk frei praktizieren dürfen."

In Sri Lanka gilt der Ausnahmezustand unvermindert weiter. Doch den meisten Singhalesen scheint das egal zu sein. Die tamilische Minderheit im zerstörten Norden Sri Lankas muss sich aus eigener Kraft ein neues Leben aufbauen. Ihre Träume von Gleichberechtigung, Teilhabe und Autonomie spielen politisch keine Rolle - genauso wenig wie ein staatliches Versöhnungsprogramm.