Terrorismus und das "Ende der Geduld"

Brauchen wir mehr Wehrhaftigkeit gegen den Terror?

Polizisten versuchen in London, die Menschen vom Ort des Attentats am Samstagabend fernzuhalten.
Müssten unsere Gesellschaften wehrhafter sein? Das wird nach dem erneuten Terroranschlag von London verstärkt diskutiert. © dpa/picture-alliance/Matt Dunham
Stefan Weidner im Gespräch mit Dieter Kassel |
Wenn Politiker wie Theresa May jetzt das "Ende der Geduld" mit dem islamistischen Terror verkünden, spielt das den Terroristen in die Hände, meint der Islamwissenschaftler Stefan Weidner. Denn deren Ziel sei die Spaltung der westlichen Gesellschaften.
"Enough is enough" - der britischen Regierungschefin Theresa May riss nach dem jüngsten Anschlag in London der Geduldsfaden. Die konservative Politikerin kündigte eine härtere Gangart im Umgang mit Islamisten an. In Deutschland trat der Konzertveranstalter Marek Lieberberg mit einer Wutrede eine ähnliche Diskussion los, nachdem das Festival "Rock am Ring" am Samstag wegen Terrorgefahr vorübergehend geräumt wurde.

Westen nimmt den Terrorismus nicht ernst genug

Der Publizist und Islamwissenschaftler Stefan Weidner hält von solcher Rhetorik wenig: "Im Grunde spielen diese Leute den Terroristen in die Hand", sagte er im Deutschlandfunk Kultur. Denn das Ziel der Terroristen sei es, die westlichen Gesellschaften zu spalten. "Man will die muslimische Minderheit in Europa isolieren und damit einen solchen Druck auf diese Minderheit aufbauen, dass sich mehr oder weniger sukzessive alle diesen Hardlinern anschließen. Das ist die bekannte Taktik aller Terroristen. Das galt für Al-Qaida, und es gilt jetzt für den IS."
Andererseits scheine der Westen das Problem des Terrors tatsächlich immer noch nicht ernst zu nehmen, indem er immer noch versuche, den Terrorismus mit rein polizeilichen oder überwachungstechnischen Mitteln zu bekämpfen, räumte Weidner ein.
Der Journalist, Schriftsteller und Übersetzer Stefan Weidner hält am 16.09.2011 im Friedenssaal im Rathaus in Osnabrück eine Laudatio.
Der Journalist, Schriftsteller und Übersetzer Stefan Weidner © picture-alliance / dpa / Friso Gentsch

Bürgerkriege "in den Griff bekommen"

Aus seiner Sicht sind für eine erfolgreiche Bekämpfung des Terrorismus zwei Dinge notwendig: Zum einen müsse man die Bürgerkriege in verschiedenen Ländern der islamischen Welt "in den Griff bekommen", so Weidner. "Das ist ganz zentral. Solange wir das nicht schaffen, wird der Terror nicht aufhören."
Zum anderen müssten die im Westen lebenden Muslime intergriert werden. "Wobei wir, wie gesagt, eine völlige Kontrolle und eine völlige Integration nicht haben können und vielleicht auch nicht wollen. Denn Integration kann natürlich auch bedeuten, dass wir die Menschen einfach versuchen zu manipulieren beziehungsweise so stark zu beeinflussen, dass wir die Freiheitsrechte einschränken."
(uko)

Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Der Konzertveranstalter Marek Lieberberg hat damit angefangen: Nach der Unterbrechung von "Rock am Ring" am Freitagabend teilte er mit, er verliere jetzt langsam die Geduld. Das hat er in einer mehr oder weniger Wutrede gesagt. Sehr viel sachlicher, wie das so ihre Art ist, zumindest vom Klang der Stimme her, hat Theresa May dies Ganze formuliert nach dem Terroranschlag am Samstag in London.
Da hat sie nämlich gesagt, sie verliere jetzt die Geduld mit der Geduld, und vom Bauch her mag man ja versucht sein, den beiden zuzustimmen, aber wenn man diese Formulierung mit der Geduld mal vom Bauch weiter nach oben bis ins Gehirn wandern lässt, dann fragt man sich doch, was damit eigentlich gemeint sein soll. Haben wir bisher zu viel Geduld gehabt mit religiös motiviertem Terrorismus, und was soll sich denn nun eigentlich ändern? Genau darüber wollen wir mit Stefan Weidner sprechen. Er ist Autor, Journalist, Übersetzer und Islamwissenschaftler. Schönen guten Morgen, Herr Weidner!
Stefan Weidner: Guten Morgen, Herr Kassel!

"Theresa May ist als Hardlinerin bekannt"

Kassel: Wenn Sie dieses Gerede von der Geduld und vom Ende der Geduld auch mal bei sich schon ins Gehirn wandern lassen, was kommt da bei Ihnen an? Können Sie verstehen, was die beiden und andere, die Ähnliches sagen, damit überhaupt meinen?
Weidner: Sie haben es ja schon ausgedrückt: Es ist sehr verwunderlich, dass eine Regierungschefin sogar sagt, sie hätte bisher Geduld walten lassen. Besonders bei Theresa May glaubt man das eigentlich nicht, denn sie ist in Großbritannien als Hardlinerin bekannt, und das gilt eigentlich für den ganzen Westen. Geduld hat man doch mit dem Terrorismus eigentlich nicht mehr gehabt oder sollte man eigentlich nicht gehabt haben, insofern verwundert diese Aussage sehr und diskreditiert eigentlich die bisherige Politik gegenüber dem Terrorismus. Also das ist wirklich sehr eigenartig, und man weiß nicht genau, was sie uns eigentlich damit sagen wollte.
Kassel: Was glauben Sie denn, wie kommen solche Äußerungen bei den Terroristen, also sagen wir mal beim sogenannten IS und anderen überhaupt an?
Weidner: Ich glaube, das interessiert die Hardliner in der islamischen Welt, die echten Terroristen, die Terroristen vom IS, nicht wirklich. Man muss auch sagen, ich habe gestern ein bisschen auch die arabische Presse durchgelesen: Die breitere Öffentlichkeit ist davon auch nicht sehr beeindruckt. Man hat eigentlich zu viele eigenen Probleme in der arabischen Welt zurzeit, zumal die meisten Terroropfer ja tatsächlich es in der islamischen Welt gibt, in der islamischen Welt, in Syrien, in Irak, im Jemen, in Ägypten natürlich auch, in Libyen. Dort finden die wahren Auseinandersetzungen statt, und von daher hat man für dieses gewisse Selbstmitleid und diese Nabelschau, die der Westen praktisch führt, nicht sehr viel Verständnis.

"Man will die muslimische Minderheit isolieren"

Kassel: Marek Lieberberg hat im Zusammenhang mit diesem Zitat vom Ende der Geduld auch ganz klar gesagt, er verliere langsam die Geduld mit den Muslimen, und damit meinte er, glaube ich, doch eher die in Deutschland, und Theresa May hat ja auch deutliche Worte gefunden, was Extremismus unter Muslimen in Großbritannien ankommt. Wie kommt das denn bei diesen Menschen an, dieses Ende der Geduld?
Weidner: Ja, das ist natürlich ein großes Problem, dass die Muslime im Allgemeinen, von denen die große Mehrheit nun tatsächlich mit dem Terror nichts zu tun hat, vor allen Dingen hier in Deutschland oder in Europa, dass die nun in das Fahrwasser der Terroristen geraten, und das ist ja auch die Taktik der Terroristen, darum geht es ja: Man will die muslimische Minderheit in Europa isolieren und damit einen solchen Druck auf diese Minderheit aufbauen, dass sich mehr oder weniger sukzessive alle diesen Hardlinern anschließen. Das ist die bekannte Taktik aller Terroristen. Das galt für al-Qaida, und das gilt jetzt für den IS, und also im Grunde spielen diese Leute den Terroristen in die Hand. Das muss man ganz klar sagen.
Nun muss man von der anderen Seite sagen, dass natürlich der Westen politisch tatsächlich zu versagen scheint. Man nimmt das Problem des Terrors nicht wirklich ernst insofern, als man immer noch versucht, es mit rein polizeilichen oder überwachungstechnischen Mitteln zu bekämpfen. Theresa May sagte ja, man müsse das Internet überwachen, die Kommunikationskanäle, all das müsse man jetzt kontrollieren. Erstens, wurde das ja schon gemacht, zweitens, wird man diese Informationskanäle zwischen den Muslimen in Großbritannien oder in Deutschland oder im Westen allgemein und den Radikalen in der islamischen Welt, in den Orten, wo sie sitzen, in Syrien, wo sie eine freie Hand haben, weil diese Orte rechtsfreie Räume sind, das wird man nicht ohne Weiteres kappen können, sodass sich am Ende natürlich die Frage stellt, wie gehen wir am besten damit um.

Plädoyer für Verhandlungen mit den Taliban

Ich denke, Sigmar Gabriel hat da am Wochenende was sehr Kluges gesagt: Er hat gesagt, wir müssen mit den Taliban verhandeln, so bitter das ist – zumindest für das afghanische Problem –, das können wir vielleicht damit lösen, wir müssen mit Feinden verhandeln, wir können nicht mit unseren Freunden verhandeln, denn mit Freunden verhandelt man nicht, man verhandelt mit Feinden. Gerade für Afghanistan scheint mir das klügere Rezept, wie gesagt, so bitter das ist. Mit dem IS kann man natürlich nicht verhandeln, der hat kein klares politisches Programm, abgesehen davon, dass die Bilanz des IS wirklich keine Verhandlung zulässt.
Dann muss man sich eben fragen, wie geht man mit den Muslimen im eigenen Land um, wie kann man diese Menschen besser integrieren, und da ist die neoliberale Politik, die der Westen seit vielen, vielen Jahren, wenn nicht Jahrzehnten betreibt, natürlich verheerend gewesen. Wir hören es jetzt bei Theresa May, die unter starken Druck gerät, weil sie Polizeikräfte abgebaut hat, die man jetzt bräuchte, aber es ist ja nicht nur eine Polizeifrage, es ist auch eine Frage des Sozialstaates und so weiter, der, wie gesagt, sukzessive abgebaut worden ist, und damit erleichtert man natürlich nicht die Arbeit der Integration.

"Jeder Spinner kann sich auf diese Ideologie berufen"

Kassel: Rein theoretisch bräuchte Theresa May ja Ergebnisse bis übermorgen, weil dann die Wahlen stattfinden in Großbritannien, aber sagen wir mal: kurz und sogar mittelfristig, kann man überhaupt etwas tun gegen diesen Terrorismus? Ich meine, letzten Endes sagen westliche Politiker ja auch immer wieder, es ist keine Frage, ob es weitere Anschläge geben wird, es ist nur die Frage, wann und wo.
Weidner: Ja, also wir beobachten ja zum einen, dass dieser Terrorismus, zumindest in London, jetzt immer in gewisser Hinsicht unprofessioneller wird. Einerseits hatten wir diesen sehr professionellen Anschlag in Manchester, der, wie wir ja gehört haben, nur durch äußere Hilfe möglich war. Es gab direkte Kontakte nach Libyen.
Wie das jetzt ist, wissen wir nicht, aber es ist klar, dass jemand, der mit einem Auto Fußgänger überfährt, das kann wirklich jeder machen, das kann auch ein Amoklauf sein. Insofern kann jeder Spinner sich natürlich auf diese Ideologie berufen, wenn er gerade in der Laune ist, anderen Schaden zuzufügen oder sich selber umzubringen. Man muss also einerseits das Problem in der islamischen Welt lösen, insofern, als man natürlich die Bürgerkriegsregionen, die man hat, und in denen dieser Terror sich absetzen und eine Ruhezone finden kann, wie in Libyen, wie in Jemen, wie in Afghanistan, wie in Syrien vor allem, diese Bürgerkriege muss man natürlich in den Griff bekommen. Das ist ganz zentral. Solange wir das nicht schaffen, wird der Terror nicht aufhören.
Das andere Feld, unser eigenes Feld, auf unserer Seite, ist natürlich wirklich die Integration, wobei wir, wie gesagt, eine völlige Kontrolle und eine völlige Integration nicht haben können und vielleicht auch nicht wollen, denn die Integration kann natürlich auch bedeuten, dass wir die Menschen einfach versuchen zu manipulieren beziehungsweise so stark zu beeinflussen, dass wir die Freiheitsrechte einschränken.
Kassel: Herzlichen Dank! Das war der Autor, Übersetzer, Journalist und Islamwissenschaftler Stefan Weidner über das am Wochenende mehrfach ausgesprochene Ende der Geduld und die Frage, was es vielleicht wirklich bedeuten könnte.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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