Terrorvorwurf in Ruanda

Ein Held wird zum Staatsfeind

06:25 Minuten
Paul Rusesabaginaim mit Mund-Nasen-Schutz im Porträt
Der ehemalige Hotelmanager Paul Rusesabagina gilt als Kritiker des ruandischen Präsidenten Paul Kagame. Das ist lebensgefährlich, sagt Gerd Hanke. © picture alliance / AP / Uncredited
Gerd Hankel im Gespräch mit Stephan Karkowsky |
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Früher wurde Paul Rusesabagina gefeiert, denn während des Völkermords in Ruanda 1994 soll er viele Menschen gerettet haben. Der Film "Hotel Ruanda" zeigt sein Wirken. Warum er jetzt vor Gericht steht, erklärt der Völkerrechtler Gerd Hanke.
Stephan Karkowsky: Ruanda gilt als Afrikas Musterland im Kampf gegen Corona. Die Fallzahlen sind niedrig, getestet wird viel, eine Maskenpflicht herrscht sogar draußen beim Besuch der Nationalparks, man will da nämlich eine Ansteckung der seltenen Berggorillas verhindern.
Hierzulande denken viele bei Ruanda noch immer an Bürgerkrieg und Genozid, 1994 verewigt im Kinofilm "Hotel Ruanda". Held des Films ist der ehemalige Hotelmanager Paul Rusesabagina. Genau der muss sich in Ruanda gerade vor Gericht gegen Terrorismus verantworten. Warum das so ist, frage ich den Ruandaexperten Gerd Hankel, der Völkerrechtler am Hamburger Institut für Sozialforschung ist. Vom Helden zum Staatsfeind. Wie kam es zu diesem Prozess?
Gerd Hankel: Paul Rusesabagina hat, wie Sie sagten, über 1200 Menschen in Ruanda vor der Vernichtung gerettet. Er hat ein Buch mit dem Titel "Ein gewöhnlicher Mensch" geschrieben. Dieses Buch zeigt seine Lebensgeschichte auf und zeigt auch, warum er zu einem Kritiker des ruandischen Regimes geworden ist, dem er vorwirft, die Opposition systematisch auszuschalten und alle Macht in ihren eigenen Händen zu konzentrieren.
Er sagt am Ende des Buches, die Melodie ist die gleiche geblieben, nur die Tänzer sind ausgetauscht worden. Das heißt, wir haben nach dem Völkermord dieselbe problematische Konstellation wie davor.
Das gefiel dem ruandischen Staat natürlich nicht. Rusesabagina musste das Land verlassen, er ging nach Belgien, erhielt auch die belgische Staatsangehörigkeit und dann weiter in die USA, wo er eine Green Card bekam. Er blieb aber weiter ein heftiger Kritiker. Im August 2020 konnte man feststellen, dass die ruandischen Strafverfolgungsbehörden ihn festgenommen haben. Man erfuhr dann sukzessive, dass er wohl von Abu Dhabi aus, wo er sich aus geschäftlichen Gründen aufhielt, nach Ruanda entführt worden war. Jetzt wird ihm dort der Prozess gemacht.

Rusesabagina rief zum bewaffneten Kampf in Ruanda auf

Karkowsky: Er ist unter anderem wegen Terrorismus angeklagt. Was ist denn an diesen Vorwürfen dran, ist das nur ein reiner Schauprozess?
Hankel: Rusesabagina ist in einer politischen Bewegung aktiv, die sich "Ruandische Bewegung für den demokratischen Wandel" nennt. Zu dieser Bewegung gehört ein militärischer Arm, eine nationale Befreiungsarmee. Für diese nationale Befreiungsarmee hatte er in einem Videoclip vor einiger Zeit gesagt, dass der ruandische Staat mit allen Mitteln bekämpft werden müsse. Er hat also zum bewaffneten Kampf aufgerufen.
Dieses Video existiert, das wird im heute vorgehalten und man sagt, bitte, es hat Angriffe auf ruandische Einrichtungen gegeben, es hat mehr als ein Dutzend Tote gegeben, dadurch, dass Sie für diese Gruppierung Partei ergriffen haben, haben Sie diese ganzen Verbrechen gefördert, Sie sind eigentlich der Hintermann. Das ist etwas, was man ihm vorwirft. Es wird sehr schwer, da rauszukommen.
Filmszene aus "Hotel Ruanda" mit dem Schauspieler Don Cheadle 
In "Hotel Ruanda" spielte Don Cheadle die Rolle des Hotelmanagers Paul Rusesabagina.© Imago / United Archives
Karkowsky: Sie waren dabei, als der Film "Hotel Ruanda" in Kigali uraufgeführt wurde. Damals wurde Rusesabagina noch als Held gefeiert. Wenn wir mal von diesen möglichen Aufrufen zur Gewalt und dem Video absehen, was existiert, liegt denn der Hotelmanager mit seiner Darstellung der Lage in Ruanda und seiner Kritik an der Regierung richtig?
Hankel: Ich denke ja, er liegt absolut richtig. Diese Regierung hat eine Art Monopol auf die Deutung der Vergangenheit. Es gibt heute zwei große Tabus in Ruanda: Zum einen, inwieweit hat die Befreiungsarmee, die heute die Staatsmacht stellt, zur Entstehung einer genozidalen Stimmung vor 1994 beigetragen. Denn der Völkermord war die extreme Spitze eines Bürgerkriegs. Darüber wird überhaupt nicht diskutiert, darüber zu diskutieren, bedeutet mehrere Jahre Gefängnis.

Kritik am ruandischen Regime ist berechtigt und gefährlich

Das zweite Tabu ist, wie viele Hutu wurden während des dreimonatigen Völkermords umgebracht? Hier gehen ernsthafte Schätzungen von etwa 100.000 aus. Das ist ein Tabu. Ein weiteres Tabu ist, was geschah danach vor allem im Kongo, wo die Zahl der Toten wahrscheinlich über eine Million beträgt oder mehrere Millionen. Auch das ist ein absolutes Tabu. Darüber kann man nicht reden.
Die Kritik hat Rusesabagina auch nicht alleine, auch der Friedensnobelpreisträger von 2018, der Kongolese Mukwege, ist wie viele andere auch der gleichen Meinung. Die Kritik ist schon berechtigt, aber sie zu äußern, ist ein gefährliches Unterfangen in Ruanda.
Paul Kagame im Porträt
Ruandas Präsident Paul Kagame gehe hart gegen Oppositionelle vor und schrecke auch vor Entführungen nicht zurück, sagt Gerd Hanke.© Imago / ITAR-TASS / Anton Novoderezhkin
Karkowsky: Nun kennt man die Entführung von Völkermördern und Schwerverbrechern. Aber die Entführung eines Oppositionellen, um ihn zu Hause wegen Terrorismus anzuklagen, das ist schon ein sehr drastisches Mittel. Welches Signal will das Regime damit senden?
Hankel: Das Regime sagt damit ähnlich wie Russland, Saudi-Arabien, die Türkei: Wer uns kritisiert, sei es auch vom Ausland aus, wir kriegen euch, ihr werdet zur Verantwortung gezogen. Das hat auch eine US-amerikanische NGO, Freedom House, in einem unlängst erschienenen Bericht herausgestellt, wo Ruanda auf eine Stufe mit Russland und mit Saudi-Arabien gestellt worden ist. Kritiker des ruandischen Staates zu sein, ist sehr gefährlich, lebensbedrohlich.

Nur finanzielle Mittel entziehen hilft als Strafmaßnahme

Karkowsky: Das EU-Parlament hat die Entführung und den Prozess gegen Rusesabagina scharf kritisiert, was könnte die Staatengemeinschaft noch tun?
Hankel: Die Antwort in Ruanda war darauf, dass gestern das ruandische Parlament sich gegen jede Einmischung in die inneren Angelegenheiten verwahrt hat. Es hat die Resolution des EU-Parlaments energisch zurückgewiesen. Das Einzige, was man machen kann, ist nicht das Beharren auf die Beachtung von Menschenrechten. Das sind Dinge, die kennt jeder afrikanische Staatschef, also auch Paul Kagame. Man muss die finanzielle Unterstützung reduzieren. Das ist das Einzige, was aus meiner langjährigen Erfahrung heraus funktioniert.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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