Anne Huffschmid, Wolf-Dieter Vogel, Nana Heidhues, Michael Krämer (Hg.): TerrorZones - Gewalt und Gegenwehr in Lateinamerika
Verlag Assoziation A, Berlin 2015
256 Seiten, 18 Euro
Mittelamerikaner suchen verschleppte Angehörige
Wie reagiert die Bevölkerung in Lateinamerika auf die grassierende Gewalt der Drogenkartelle und der Mafia? Oder wie wehren sich die Angehörigen der 25.000 verschleppten Menschen in Mexiko? Diesen Fragen widmet sich der Band "TerrorZones".
Gott sei Dank sei das mit den 43 passiert. Dieser Satz, ja dieser erleichterte Ausruf in verzweifelter Lage stammt von einer Polizistenfrau, die seit vier Jahren ihren Mann vermisst. Und Anne Huffschmid, eine der vier Herausgeber, zitiert ihn, um zu beschreiben, wie vor gut einem Jahr in Mexiko aus alltäglicher Gewalt ein Fanal wurde.
Entführung von Lehrerstudenten war ein Fanal
43 junge Leute waren in der Nacht vom 26. auf den 27. September von Polizisten verhaftet und verschleppt worden. Die Studenten eines Seminars für Landschullehrer hatten an einer Demonstration in der Kreisstadt Iguala im Bundesstaat Guerrero teilgenommen. Seither sind sie verschwunden, bis auf den entstellten Leichnam eines der Kommilitonen.
Die Entführung löste nicht nur landesweit Proteste aus, sondern mobilisierte Familien, sich selbst auf die Suche nach verschwundenen Angehörigen zu machen. Und sie waren erfolgreich. Auf Friedhöfen wie in der Landschaft fanden sie Grabstellen mit den Überresten unbekannter Toter.
Forensische Mediziner unterstützen Angehörige
Unterstützt wurden sie von forensischen Anthropologen, die gleichermaßen Archäologen, Kriminalisten, Pathologen, Biologen, Genetiker und Sozialforscher sind und akribisch Spuren lesen, deren Information Eltern, Ehepartner oder Kinder von der Qual des Nichtwissens befreien.
25.000 Personen gelten in Mexiko offiziell als verschleppt. Und 15.000 Körperteile warten in den Leichenschauhäusern auf eine Identifizierung. Eine nationale Gendatenbank soll dabei helfen.
Die junge Disziplin staatlich unabhängiger forensischer Anthropologen entstand in Argentinien, wo sie den "Müttern der Plaza de Mayo", die im Zentrum der Hauptstadt Buenos Aires demonstrierten, bis heute hilft zu fahnden, was mit denen geschehen ist, die von der Militärjunta politisch verfolgt wurden.
Nach deren Vorbild entstand auch eine andere Mütterinitiative, die jedes Jahr einen Marsch durch Mittelamerika organisiert, um auf das Schicksal von Migranten aufmerksam zu machen, die gen USA gezogen, aber nie angekommen sind. Das Erinnern kann ein sehr politischer wie ein sehr persönlicher Widerstand gegen den Terror sein.
Totenehrung wird zum Widerstand gegen Terror
Vom Beispiel einer kolumbianischen Kleinstadt am Rio Magdalena berichtet die Schriftstellerin Patricia Nieto. Dort bergen Fischer Leichen, die bis zu 200 Kilometer flussabwärts gespült wurden, und beerdigen sie auf ihrem Friedhof, während andere Bewohner die namenlosen Toten adoptieren und ihre Gräber pflegen.
Der Protest richtet sich gegen einen Staat, der seine Bürger nicht schützt, der kriminelles Treiben der Mächtigen straflos duldet, nicht verhindert, dass Politiker, Polizisten und Unternehmer Geschäfte mit der Mafia machen.
Selbst dort, wo Selbstverteidigungskräfte oder Gemeindepolizisten eine aktive Gegenwehr bilden, so erläutern die Autoren, verwischen in diesem Milieu die Grenzen zwischen Opfern und Tätern – wie anderorts, wo Paramilitärs krude Interessen ihrer zwielichtigen Auftraggeber durchsetzen.
Opfer wird, wer sich zum Gegner macht oder dem Drogenhandel in die Quere kommt, an dem sich Macht demonstrieren oder vom dem sich Geld erpressen lässt, auch wer zum Sklaven gemacht werden kann. Mal sind es wahllos Frauen, Migranten oder indigene Landsleute, mal gezielt Menschenrechtsaktivisten.
Selten kommen sie wieder frei, meistens werden sie ermordet, selten demonstrativ als Tote zur Schau gestellt, meistens irgendwo verscharrt. Eine beeindruckende Analyse der TerrorZones.