Terry Eagleton: "Literatur lesen"

Literaturtheorie in sexy

Eine Frau sitzt am 10.06.2016 in Berlin zwischen den Säulen am Alten Museum und liest ein Buch.
Eine Frau sitzt am 10.06.2016 in Berlin zwischen den Säulen am Alten Museum und liest ein Buch. © dpa / picture alliance / Paul Zinken
Von Katharina Döbler |
"Literatur lesen - eine Einladung" ist die Literaturtheorie des britischen Professors Terry Eagleton. Das mag erst einmal etwas dröge klingen - es gelingt Eagleton aber, seine Theorie so voller Leichtigkeit zu entfalten, dass sie völlig staubfrei daherkommt.
Der Brite Terry Eagleton ist ein äußerst fleißiger Publizist: Fast jedes Jahr erscheint in Großbritannien ein neues Buch von ihm, dazu kommen zahlreiche Essays in renommierten Blättern wie der London Review of Books. Er ist Literaturprofessor, aber der Öffentlichkeit hat er sich fast noch mehr als streitbarer Marxist und Verteidiger der Religion (er ist Katholik) bekannt gemacht. Als witziger, scharfzüngiger Kulturkritiker knöpft er sich gerne große Themen vor wie das Phänomen Fußball ("Opium für das Volk") oder den Atheismus, nebenbei wird auch die ganze Postmoderne erledigt.
Auf Deutsch erschienen in den letzten fünf Jahren Abhandlungen über "Das Böse", den Marxismus ("Warum Marx recht hat") und über Religion und Kultur ("Der Tod Gottes und die Krise der Kultur").

Ein Leitfaden für Leser

Das aktuelle Buch "Literatur lesen" ist ein für Eagletons Verhältnisse eher harmloses Werk: Es ist ein Leitfaden für Leser, in dem seine Literaturtheorie (die er schon in den 1980er Jahren zu einem Sachbuchbestseller verarbeitet hat) zur praktischen Anwendung für Lesezirkel und Einführungsseminare aufbereitet ist.
Als der unterhaltsame Lehrende, der er auch sein kann, führt er ein in die verborgenen Geheimisse von Romananfängen und erklärt die Kunst der Figurenführung in Roman und Drama. Er tut das mit so stupender Leichtigkeit, dass selbst grundlegende Binsenweisheiten der Literaturwissenschaft fast staubfrei und wie frisch gedacht erscheinen.
In seiner Beschreibung der großen Umbruchs vom realistischen Erzählen des 19. Jahrhunderts zu den neuen, weniger selbstgewissen Verfahren der literarischen Moderne wird deutlich, worum es ihm geht: die Geschichten, Figuren und Methoden der Literatur in Verbindung zu bringen mit der Gesellschaft, die sie hervorbringt. Mit Marx etwas verkürzt gesagt: Das Sein bestimmt das Bewusstsein – nicht nur der Autoren, sondern auch der Figuren, die sie schaffen und der Leser, die sie deuten. Auf der Grundlage dieser sozialen und kulturgeschichtlichen Gemeinsamkeit, die eine völlige Originalität ausschließt, ist Literatur, nach Eagleton, eine Art Übereinkunft im Rahmen einer erlernbaren Kulturtechnik. So simpel würde er es allerdings nicht ausdrücken.

Ein schön poliertes Besteck

Ein großer Nachteil für Leser im deutschen Sprachraum ist allerdings, dass Eagletons Bezugsrahmen fast ausschließlich die angelsächsische Literatur ist. Auch wenn die rezensierende Leserin einige der großen Werke zwischen Hamlet und Harry Potter kennt, werden ihr wohl manche Feinheiten und Anspielungen entgangen sein.
Dennoch: Ein schön poliertes, scharfes und nützliches Besteck für genüssliche Lektüren liegt hier bereit.

Terry Eagleton: Literatur lesen. Eine Einladung
Aus dem Englischen von Holger Hanowell
Reclam Verlag, Stuttgart 2016
268 Seiten, 24,95 Euro

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