The Man Who Killed Don Quixote
Spanien, Frankreich, Belgien, Portugal, Großbritannien 2018
Regie: Terry Gilliam
Mit Adam Driver, Jonathan Pryce, Stellan Skarsgård u.a.
Länge: 134 Minuten
"Wir sind Träumer und Pragmatiker"
11:05 Minuten
Endlich kommt "The Man Who Killed Don Quixote" in die Kinos - nachdem Terry Gilliam fast 30 Jahre mit dem Stoff gekämpft hat. Der Monty-Python-Mitbegründer sagt: "Don Quijote und Sancho Pansa sind zwei Seiten unserer Existenz."
Susanne Burg: Wie fühlen Sie sich, und was hat Sie beim Projekt immer weitermachen lassen?
Terry Gilliam: Ich fühle mich alt und fertig und müde. Nächstes Jahr wird sich der Beginn des Projekts zum 30. Mal jähren. Das ist doch verrückt. Ich bin verrückt und dumm. Sich so lange da ranzuschmeißen. Die Frage ist natürlich auch: Warum habe ich weiter gemacht? Andererseits: Warum erklimmen die Menschen den Mount Everest? - Weil er da ist. Und so bin ich auch. Ich nehme meinen Kopf und haue damit so lange gegen die Wand, bis ich sie zum Einsturz bringe.
Susanne Burg: Was hat Sie denn ursprünglich an Don Quijote interessiert?
Terry Gilliam: Ich war nicht so sehr an ihm interessiert, vielmehr war er an mir interessiert. Er hat mich gefunden, mich am Hals gepackt und mich hoch und heilig schwören lassen, ihn wieder zum Leben zu erwecken.
Aber es geht ja immer auch um Don Quijote und Sancho Pansa. Das ist ein Duo. Zwei Seiten unserer Existenz. Wir sind Träumer und Pragmatiker. Wer nur pragmatisch ist, ist ein Langweiler, und wer nur träumt, landet letztlich im Irrenhaus.
Susanne Burg: Im Zentrum des Films steht Toby, ein gescheiterter Filmemacher, der einen Werbedreh für eine Versicherung macht. Aber als ihm ein fliegender Händler eine Raubkopie einer Cervantes-Verfilmung anbietet – und sich das als Tobys eigener Studentenfilm herausstellt – flüchtet er vom Set und macht sich auf in die Hügel von La Mancha. Wie viel Ihrer eigenen Erfahrung der vergangenen 30 Jahre ist in die Figur von Toby eingeflossen?
Terry Gilliam: Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob diese Erfahrungen noch in Toby sind oder ob es sich nicht mehr in die ganze Struktur des Films übertragen hat. Nachdem das Projekt 2000 kollabiert ist, habe ich mich mit meinen Drehbuchautoren fatalistisch über unsere Taten gebeugt und wir haben uns gegenseitig bemitleidet. Da entstand die Idee, Teile des Films in die Gegenwart zu fügen.
Vieles wurde so einfacher, z.B. weil wir nun auch die Figur der Dulcinea besser fassen konnten. Bei Cervantes war sie eine üppige Bauerstochter, mit leicht dirnenhaften Zügen. Aber wir wollten sie anders zeichnen, neben Toby als moderne junge Frau, voller Leben und Träume. Eben eine junge Schauspielerin, deren Träume aus dem Ruder laufen. Und so hatten wir plötzlich unsere Figuren entwickelt. Und am Ende wird Dulcinea noch zum Sancho Pansa, was wollen Sie denn mehr vom Leben?
"Ich bereue nichts"
Susanne Burg: Toby geht zurück in das Dorf, in dem er zehn Jahre zuvor den Studentenfilm gedreht hat. Der Film hatte teilweise drastische Folgen für die Dorfbewohner. Der Don-Quijote-Darsteller ist beispielsweise verrückt geworden und glaubt, er sei wirklich Don Quijote und reitet verkleidet durch die Gegend. Sie, Terry Gilliam, sprechen da ja im Film auch die Verantwortung eines Regisseurs an, keine verbrannte Erde zu hinterlassen. Bereuen oder bedauern Sie rückblickend irgendwelche Entscheidungen, die Sie als Regisseur getroffen haben?
Terry Gilliam: Nein, ich bereue nichts. Aber einige der Ideen zum Film entstanden aus meinen Erlebnissen während des Drehs zu "Die Ritter der Kokosnuss". Wir rückten damals mit dem ganzen Team aus London nach Schottland in einem kleinen Ort namens Doun an. Und während der Dreharbeiten geschah so viel: Ganze Ehen gingen auseinander, Kinder wurden gezeugt, die halbe Dorfbevölkerung wanderte nach London aus, um eine Karriere im Filmgeschäft anzufangen.
Ich habe mich schon damals gefragt, wer hier die Verantwortung trägt. Sind wir wirklich Schuld oder ist das einfach der Lauf der Dinge? Welchen Einfluss haben Dreharbeiten auf unser Leben? Aber letzten Endes übernehme ich keine Verantwortung dafür, was damals in Doun geschah.
Susanne Burg: Sie haben mal gesagt, jede Katastrophe habe auch etwas Gutes. Sie könnten sich dadurch immer auf etwas Neues freuen. Nun haben Sie dieses riesige Projekt beendet. Was stellen Sie an ohne die täglichen Katastrophen, die es zu bewältigen gilt?
Terry Gilliam: Ich bin schon noch im Loch, vielleicht nicht mehr lange. Man weiß ja nie, wann die Inspiration anklopft. Aber worauf ich mich am meisten freue, sind Ferien mit meiner Frau. Wir haben da ein Haus in Italien, das wir beide seit zwei Jahren nicht mehr besucht haben. Das will ich ändern. Und dann gibt es auch noch meine Enkelin, der Sonnenschein in meinem Leben. Und ich verbringe so gerne Zeit mit ihr. Ihr einfach beim Wachsen zuzusehen, ist großartig.
Interessanterweise war das gar nicht so intensiv mit meinen eigenen Kindern. Damals war ich auch so beschäftigt und habe das an mir vorbeiziehen lassen. Vielleicht hat das auch was mit meinem Alter zu tun. Sie wissen, ich bin im dritten Akt, der Vorhang fällt bald und da nimmt man solche Dinge intensiver wahr.
Werbung als Falle
Susanne Burg: Wäre es auch eine Option für Sie, Werbung zu drehen – so wie Toby?
Terry Gilliam: Nein! Sie scherzen! Ich bekomme zwar Angebote, aber ich hasse Werbespots! Das letzte Mal habe ich was für Nike zur Fußball-WM 2002 gemacht. Finanziell großartig. Für zehn Drehtage bekam ich mehr Geld als ein Jahresgehalt beim Film. Sie merken, es ist verführerisch, aber auch eine Falle.
Ich habe so viele talentierte Regisseure gesehen, die im Werbebusiness versackt sind. Es ist kreativlos, keine Arbeit mit Ideen, nur die Frage "Wie kann ich dreilagiges Toilettenpapier verkaufen?", "Dieses Hundefutter wird ihr Leben verändern!" und so ein Unsinn. Ich mag das nicht. Und meine Filmfigur Toby ist jemand, der Träume verkauft, und Don Quijote ist jemand, der Träume lebt. Darin liegt ein fundamentaler Unterschied.
Ich bin ja in den USA aufgewachsen, und ein Grund, weshalb ich die Staaten verlassen habe, war, dass ich in einer Welt lebte, in der ich nicht mehr unterscheiden konnte zwischen dem, was ich fühlte, und dem, was mir die Werbung suggerierte, was ich zu fühlen habe. Da ging ich am Strand bei Sonnenuntergang mit meiner britischen Freundin spazieren, Möwenkreischen, Wellenrauschen und ich war verliebt. Oder war ich es nicht? Dachte ich vielleicht nur, ich sei verliebt, weil ich das in der Werbung sah, dass es so ist, wenn man verliebt ist? Diese Irritation finde ich grausam und versuche, ihr deshalb aus dem Weg zu gehen.
Susanne Burg: Wenn man sich Ihre Filme ansieht, dann fällt auf, dass immer wieder Ritter auftauchen. Welche Rolle spielen Ritter in Ihrem Leben? Wollen Sie auch ein Ritter sein?
Terry Gilliam: Ja, als ich 14 Jahre alt war. Klar, Ritter waren in all den Märchen, die ich als Kind so geliebt habe. Ich bin mit Grimms Märchen aufgewachsen. Ritter, Feen, Wälder, Prinzen und Königinnen – das alles wollte ich auch mal sehen und erleben. Deshalb wollte ich immer nach Europa, um die ganzen mittelalterlichen Schlösser und Burgen zu sehen, die die Heimat dieser Märchen waren.
Da schwingt auch eine Sehnsucht nach Einfachheit mit. Wir können Gut und Böse unterscheiden. Könige sind Könige, Ritter sind edel und gut und versuchen den Frieden zu bewahren. Das hat sich bei mir so verfestigt, dass ich diesen Gedanken gar nicht mehr entkommen kann.
"Es ist eine sehr infantile Welt geworden"
Susanne Burg: Brauchen wir heute wieder mehr Ritter?
Terry Gilliam: Ritter oder irgendetwas Ähnliches. Das brauchen wir dringend. Ich habe nämlich keine Ahnung, was aus der Welt geworden ist. Die Büchse der Pandora wurde geöffnet, Wahnsinn und Chaos überall, wo Sie hinsehen, keine Struktur, keine Halteseile. Es ist eine sehr infantile Welt geworden. Der mächtigste Mann der Welt ist ein Kind oder verhält sich wie eins.
Es sind wirklich seltsame Zeiten. Und die Unsicherheit treibt ihre Blüten, wir wenden uns unseren Stämmen zu, ziehen uns zurück. Wenn die Nation nicht mehr ausreicht, werden es kleinere Einheiten. Kleine hermetisch abgeschlossene Gruppen, die nicht mehr miteinander kommunizieren. Social Media ist da auch kein Ausweg. Man kann über Social Media nicht kommunizieren, nur etwas sagen und auf das Gesagte reagieren. Intentionen, Kontext, das alles geht verloren. Aber nur das beschreibt unsere Welt.
Das führt dazu, dass Missverständnisse entstehen, dass man sich nicht mehr traut, etwas zu sagen. Wir gehen durch die Welt, halten unseren Kopf schön tief, bloß nicht auffallen.
Witze über Gott
Susanne Burg: Sie sagen in "The Man Who Killed Don Quixote" ja auch: Man kann im Filmbusiness eigentlich nur mit Humor überleben.
Terry Gilliam: Nicht nur im Filmgeschäft, sondern auch im Leben allgemein. Ich verstehe gar nicht, wie das gehen soll. Die Welt ist so absurd geworden, wie kann man da nicht ins Lachen verfallen? Das ist doch das Problem: Die Menschen sind so gereizt geworden. Entweder man hat recht oder nicht. Menschen haben Angst, Witze über gewisse Dinge zu machen, weil sie einen Shitstorm befürchten. Für mich gilt: Es gibt nichts, worüber man keinen Witz machen kann.
Wissen Sie, an die Universität konnte ich nur dank eines presbyterianischen Stipendiums. Ich sollte Missionar werden. Aber alle meine Dozenten und Priester waren immer sauer auf mich, weil ich immer Witze über Gott gemacht habe. Und ich habe immer geantwortet, wie groß ist denn dieser Gott, wenn er sich nicht mal einen Witz gefallen lässt. Und es ist ja letztlich nicht Gottes Problem, sondern das Problem seiner Stellvertreter und Hüter auf der Erde. Und wenn er so mächtig ist, wieso müsst ihr ihn vor mir beschützen? Vor mir, der doch nur Witze macht. Kommt schon ... werdet erwachsen!
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