Der aggressive Sound zum Brexit
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Die Londoner Band Test Department wird oft mit den Einstürzenden Neubauten verglichen. Nach 20 Jahren haben sie mit "Disturbance" wieder ein Album aufgenommen. Was an Punk und Industrial revolutionär war, wird hier in etwas Zeitgemäßes verwandelt.
Graham Cunnington von Test Department: "Die Politik kehrt heute wieder an die extremen Jahre des Kapitalismus zurück, die von Reagan und Thatcher in den 80er-Jahren eingeführt wurden. Mit dieser Politik konnten wir uns nie identifizieren. Heute sind wir am Endpunkt dieser Entwicklungen angekommen. Sie sind nicht aufrechtzuerhalten. Die Spaltungen in der Gesellschaft werden immer extremer. Es geht ja nicht nur um den Brexit oder um Trump. Die Menschen in Europa und der ganzen Welt protestieren dagegen."
Deshalb melden sich Test Department nach fast 20 Jahren Pause mit dem neuen Album "Disturbance" zurück. 1981 gehören Graham Cunnington und Paul Jamrozy mit ihren drei Mitstreitern zu den Mitbegründern der britischen Industrial Music. Die Industriebrachen am Rande Londons machen sie damals zu ihrer Instrumentenschmiede.
Graham Cunnington: "Wir wollten mit Test Department das, was an Punk revolutionär war, in einem neuen Sound präsentieren. Ohne Gitarren. Wir waren arbeitslos und pleite und nahmen als Instrumente einfach das, was wir finden konnten. Wir haben in Deptford im Süden Londons gelebt, und dort gab es viele verlassene Fabriken und Müllplätze. Da fanden wir jede Menge Metallschrott, aus dem wir unsere Instrumente gebaut haben. Dazu kamen unsere Stimmen. Daraus haben wir unsere eigene Ästhetik entwickelt."
Musik im Dienst der Arbeiterklasse
Mit leeren Fässern, Kanistern und Stahlrohren schaffen sie einen aggressiven, maschinenhaften Sound und stellen ihn in den Dienst der Arbeiterklasse. Antriebskraft von Test Department ist von Anfang an ihre Wut über – in ihren Augen – unhaltbare politische Zustände. 1984 verschweißen sie auf dem Album "Shoulder To Shoulder" harsche Industrial-Sounds mit Chorgesängen walisischer Minenarbeiter und der Rede eines Gewerkschafters.
"Für uns war der Bergarbeiterstreik 1984 wie ein englischer Bürgerkrieg. Da konnte man nicht Zaungast sein, sondern musste aufstehen und sagen, was falsch war. Das hat uns stark politisiert. Alles, was danach geschah mit den konservativen Regierungen in Großbritannien und den Kriegen im Mittleren Osten, hat uns nur darin bestärkt, Musik zu machen, die die Zeit reflektiert, in der wir leben. Und mit der wir zeigen, dass wir der Regierung kritisch gegenüberstehen."
Bedrohliche Klänge und martialisches Getrommel
Und daher klingt auch das neue Album wie der Soundtrack zum Brexit. In den düster bedrohlichen Klangcollagen und dem martialischen Getrommel scheinen sich die politischen Spannungen und Risse zu spiegeln, die heute Großbritannien beherrschen. Test Department haben ihr sonisches Spektrum um sinfonische Streicherarrangements, komplexe Keyboardklänge und sogar tanzbare Techno-Rhythmen erweitert, ohne im Geringsten an subversiver Kraft und Glaubwürdigkeit einzubüßen. Zudem stecken ihre Soundexperimente, bei denen sie auch ihre Instrumente Marke Eigenbau einsetzen, voll von engagierter Protestpoesie. Ganz konkret in dem Titel "Speak Truth To Power".
"Die Worte für das Stück habe ich zur Zeit der schrecklichen Grenfell-Brandkatastrophe geschrieben. Ich ging zu den Grenfell Towers in London und sah die Verzweiflung der Menschen. Die Autoritäten haben unglaublich langsam reagiert. So viele Menschen sind dort gestorben, andere haben alles verloren. Viele Anwohner haben Essen und Kleider für die Notleidenden gesammelt und sie bei sich aufgenommen. Die Behörden haben monatelang überhaupt nichts getan."
"Was um uns herum passiert, ist düster"
Die eigentlich etwas veraltete Industrial Music von Test Department hört sich auf "Disturbance" erstaunlich zeitgemäß an. Wohl auch, weil ähnlich experimentelle Klänge heute in progressiver elektronischer Musik und im Hip-Hop ebenso zu finden sind. Trotzdem sind die sinisteren Stahlgewitterklänge, mit denen Test Department die Welt schwarz zeichnen, nicht gerade leicht zu ertragen. Aber das ist die politische Situation auch nicht. Doch da besteht Hoffnung, meint zumindest Graham Cunnington:
"Als Menschen müssen wir Hoffnung haben. Wir sehen, was ideologisch passiert und wie der Planet zerstört wird. Aber wir hoffen, dass alles besser wird. Wir sehen die Dinge nicht negativ. Wir haben eine positive Lebenseinstellung. Wir arbeiten auch als Sozialarbeiter, wenn wir nicht Musik machen. Wir versuchen, das Leben anderer Menschen zu verbessern. Aber wir sind auch ein Spiegel dessen, was um uns herum passiert. Und das ist wirklich düster."