Tête-à-tête mit Adorno
Sex, Adorno, Rock'n'Roll – das sind die Hauptzutaten für diesen knallbunten, pornografischen Graphic Novel über die 68er. In dem wird Adorno mal eben Bundespräsident, Gewalt dient der sexuellen Stimulation und Professoren schreiben Porno-Drehbücher. Nicht alles ist frei erfunden.
"1. Tagesordnungspunkt: Wer besorgt den Shit für morgen? 2. Tagesordnungspunkt: Wer vögelt mit Dörte und wer mit Monika? 3. Tagesordnungspunkt: Wo findet die nächste Demo statt?"
Oh-mein-Gott! Eine post-68-geborene Feministin würde den quietschbunten Comicband wohl am liebsten in die nächste Ecke pfeffern. Was für eine Story: Hermann C. Trollschack, Fährmann an einem Seitenarm der Elbe, entdeckt eines Tages seine Traumfrau Kunigunde am anderen Flussufer. Das Drama nimmt seinen Lauf, als Trollschack beim Sex schlapp macht und den politischen Kampf als persönliches Aphrodisiakum entdeckt: Als er die örtliche NPD-Mannschaft zerlegt und bluttriefend zurücklässt, schwillt sein bestes Stück auf beängstigende Ausmaße an. Sex und Revolte gehen fortan Hand in Hand, Trollschack kapert eine Pan Am-Maschine und fliegt nach Berlin, wo seine Talente von einer Gruppe Filmstudenten der Film- und Fernsehakademie entdeckt werden. Sie küren ihn zum Pornostar:
"Trollschack fickt sich durch zehn künstlerisch wertvolle Zielgruppenfilme, deren Drehbücher von Professoren und TV-Redakteuren geschrieben werden."
Wow. So viel Testosteron auf so wenig Seiten. Träumt weiter, Jungs!
Aber Moment, so einfach ist es nicht: Die grellbunt im Stil der Pop-Art gezeichnete Graphic Novel enthält mehr "Wahrheit", als man glauben mag. Der Autor Helmut Wietz bewarb sich einst selbst an der Deutschen Film- und Fernsehakademie in Berlin – mit den ersten 30 Seiten dieses Comics. Die Arbeit daran musste jedoch erst einmal ruhen, weil Wietz als Student mit wertvollen Pornofilmen wie "Die glatte Diebin" beschäftigt war, dessen Drehbuch ein FU-Professor und Adorno-Schüler geschrieben hatte. Erst mit der Liberalisierung des Sexualstrafrechts wurde das Geschäftsmodell unrentabel. Auch Trollschack beendet seine Porno-Karriere und zieht weiter nach Frankfurt, zu den "Gralshütern der Dialektischen Aufklärung", zu einem Tête-à-tête mit Adorno, Horkheimer und Habermas. Denn es gibt (neben Sex) ein weiteres großes Thema, das Trollschack umtreibt:
"Die widerliche Koexistenz von Tätern und Opfern der Nazi-Zeit in der BRD lässt mich die Frage stellen, was kann Mann/Frau dagegen tun?"
"Der Tod von Adorno" ist in jeder Hinsicht dermaßen überzogen, gnadenlos, wahnwitzig, dass man Trollschacks sexistisches Macho-Gehabe kopfschüttelnd durchgehen lässt. Denn im Comic spritzen nicht nur Blut und Sperma, der Autor nimmt seine ganze Generation unters Seziermesser und liefert eine erbarmungslose Satire auf die "gesellschaftsverändernden Phrasen" der 1968er. "Der Ekel vor der Generation der Eltern war groß", schreibt Wietz in seinem Nachwort und lässt seinen Helden im Comic ein ganz anderes Deutschland begründen: Trollschack und seine Freunde besetzen den Deutschen Bundestag und ernennen Theodor W. Adorno zum Bundespräsidenten. Trotzdem gibt es ein böses Ende, als Adorno seine erste Rede im Bundestag versaut und beim Anblick der blauen Blume stirbt, dem Symbol der Romantik. Auch Trollschack sprengt sich in die Luft, als seine geliebte Kunigunde ein Baby gebiert, das Adorno teuflisch ähnlich sieht.
Die letzten 30 Seiten seines Comics hat Helmut Wietz erst vierzig Jahre später im Jahr 2012 fertig gestellt. So treffen im Heft grobe Letraset-Raster im Stil Roy Lichtensteins auf Photoshop-gefertigte Seiten von heute. Dem Lesespaß tut das keinen Abbruch, das Heft ist purer Sex, Adorno und Rock'n'Roll. Helmut Wietz liefert eine grelle, selbstironische Hommage, die einen unverschämten Kontrapunkt zur sonst oft theorielastigen Geschichtsschreibung über die deutsche Jugendrevolte setzt: Ein pornographisches, testosterongeschwängertes, radikal überzeichnetes - und vielleicht gerade deshalb angemessenes - Porträt der 68er-Generation.
Besprochen von Tabea Grzeszyk
Oh-mein-Gott! Eine post-68-geborene Feministin würde den quietschbunten Comicband wohl am liebsten in die nächste Ecke pfeffern. Was für eine Story: Hermann C. Trollschack, Fährmann an einem Seitenarm der Elbe, entdeckt eines Tages seine Traumfrau Kunigunde am anderen Flussufer. Das Drama nimmt seinen Lauf, als Trollschack beim Sex schlapp macht und den politischen Kampf als persönliches Aphrodisiakum entdeckt: Als er die örtliche NPD-Mannschaft zerlegt und bluttriefend zurücklässt, schwillt sein bestes Stück auf beängstigende Ausmaße an. Sex und Revolte gehen fortan Hand in Hand, Trollschack kapert eine Pan Am-Maschine und fliegt nach Berlin, wo seine Talente von einer Gruppe Filmstudenten der Film- und Fernsehakademie entdeckt werden. Sie küren ihn zum Pornostar:
"Trollschack fickt sich durch zehn künstlerisch wertvolle Zielgruppenfilme, deren Drehbücher von Professoren und TV-Redakteuren geschrieben werden."
Wow. So viel Testosteron auf so wenig Seiten. Träumt weiter, Jungs!
Aber Moment, so einfach ist es nicht: Die grellbunt im Stil der Pop-Art gezeichnete Graphic Novel enthält mehr "Wahrheit", als man glauben mag. Der Autor Helmut Wietz bewarb sich einst selbst an der Deutschen Film- und Fernsehakademie in Berlin – mit den ersten 30 Seiten dieses Comics. Die Arbeit daran musste jedoch erst einmal ruhen, weil Wietz als Student mit wertvollen Pornofilmen wie "Die glatte Diebin" beschäftigt war, dessen Drehbuch ein FU-Professor und Adorno-Schüler geschrieben hatte. Erst mit der Liberalisierung des Sexualstrafrechts wurde das Geschäftsmodell unrentabel. Auch Trollschack beendet seine Porno-Karriere und zieht weiter nach Frankfurt, zu den "Gralshütern der Dialektischen Aufklärung", zu einem Tête-à-tête mit Adorno, Horkheimer und Habermas. Denn es gibt (neben Sex) ein weiteres großes Thema, das Trollschack umtreibt:
"Die widerliche Koexistenz von Tätern und Opfern der Nazi-Zeit in der BRD lässt mich die Frage stellen, was kann Mann/Frau dagegen tun?"
"Der Tod von Adorno" ist in jeder Hinsicht dermaßen überzogen, gnadenlos, wahnwitzig, dass man Trollschacks sexistisches Macho-Gehabe kopfschüttelnd durchgehen lässt. Denn im Comic spritzen nicht nur Blut und Sperma, der Autor nimmt seine ganze Generation unters Seziermesser und liefert eine erbarmungslose Satire auf die "gesellschaftsverändernden Phrasen" der 1968er. "Der Ekel vor der Generation der Eltern war groß", schreibt Wietz in seinem Nachwort und lässt seinen Helden im Comic ein ganz anderes Deutschland begründen: Trollschack und seine Freunde besetzen den Deutschen Bundestag und ernennen Theodor W. Adorno zum Bundespräsidenten. Trotzdem gibt es ein böses Ende, als Adorno seine erste Rede im Bundestag versaut und beim Anblick der blauen Blume stirbt, dem Symbol der Romantik. Auch Trollschack sprengt sich in die Luft, als seine geliebte Kunigunde ein Baby gebiert, das Adorno teuflisch ähnlich sieht.
Die letzten 30 Seiten seines Comics hat Helmut Wietz erst vierzig Jahre später im Jahr 2012 fertig gestellt. So treffen im Heft grobe Letraset-Raster im Stil Roy Lichtensteins auf Photoshop-gefertigte Seiten von heute. Dem Lesespaß tut das keinen Abbruch, das Heft ist purer Sex, Adorno und Rock'n'Roll. Helmut Wietz liefert eine grelle, selbstironische Hommage, die einen unverschämten Kontrapunkt zur sonst oft theorielastigen Geschichtsschreibung über die deutsche Jugendrevolte setzt: Ein pornographisches, testosterongeschwängertes, radikal überzeichnetes - und vielleicht gerade deshalb angemessenes - Porträt der 68er-Generation.
Besprochen von Tabea Grzeszyk
Helmut Wietz: "Der Tod von Adorno"
Graphic Novel
Walde + Graf bei Metrolit Verlag, Berlin 2013
72 Seiten, 22 Euro
Graphic Novel
Walde + Graf bei Metrolit Verlag, Berlin 2013
72 Seiten, 22 Euro