"Teufelin mit Kopftuch" oder "Allahs weibliche Hoffnung"

Von Mona Naggar |
Amina Wadud gehört zurzeit wohl zu den prominentesten Vertreterinnen des islamischen Feminismus. Für viele ist sie eine mutige Reformerin, für andere eine nicht ernst zunehmende Theologin. Ein öffentliches Freitagsgebet, das sie in einer Kirche in New York im März 2005 geleitet hatte, machte sie weltberühmt.
Einige Muslime beschimpfen sie als "Teufel mit Kopftuch" oder als "feministische Fundamentalistin". Für andere bewegt sie sich längst außerhalb des Islam. Das öffentliche Freitagsgebet, das die Frauenrechtlerin vor drei Jahren in New York geleitet hat, war für die meisten muslimischen Gelehrten ein Skandal. Amina Wadud ist 56 Jahre alt und lebt heute in der Nähe von Berkeley, in Kalifornien. Nicht immer trägt sie ein Kopftuch. Denn eine religiöse Verpflichtung für Frauen sich zu bedecken, kann sie aus dem Koran nicht herauslesen. Das Tuch ist für sie nichts weiter als ein kulturelles Ausdrucksmittel. Zum Interview erscheint Wadud in Rastalocken. Die Afroamerikanerin nimmt sich das Recht, als Frau, als Gläubige und als Islamwissenschaftlerin den Koran neu zu lesen:

"Als graduierte Studentin in den Vereinigten Staaten, da war ich schon Muslimin geworden, habe ich angefangen mit dem koranischen Text zu arbeiten. Ich stellte fest, dass islamische Kulturen, Geschichte und Gesetze nicht immer damit übereinstimmten, was ich unter dem Text als geoffenbartes Wort Gottes verstand. Ich wollte herausfinden, was passiert, wenn ich als Frau den Koran lese. Welche Dinge sind darin wichtig für mich und welche stellen eine Herausforderung dar. Ich habe Textanalyse betrieben, hermeneutische Methoden angewendet. Im Koran steht, dass er für alle Zeiten, für jeden Ort und für alle Menschen gültig ist. Wenn ich das ernst nehme, was heißt das dann für mich, als Frau und als Afroamerikanerin. Ich konnte damals nicht ahnen, dass meine Studien später weite Kreise ziehen werden."

Für Amina Wadud besteht kein Zweifel, dass der Koran die Geschlechtergerechtigkeit in allen Lebensbereichen vorsieht. Als Grundlage ihrer Überlegungen nimmt Wadud die koranische Schöpfungsgeschichte. Darin ist zu lesen, dass Gott beiden, Mann und Frau, die Statthalterschaft auf Erden übertragen hat. Muslimsein oder diese Statthalterschaft akzeptieren verpflichtet jeden Menschen, nach der Auffassung von Wadud, sich an der Verwirklichung der von Gott vorgesehenen Harmonie zu beteiligen. Konkret würde das heißen, die Gläubigen sollten an der Schaffung einer sozial gerechten Gesellschaft für alle arbeiten. Für die muslimische Feministin aus den USA ist das heilige Buch ein ethischer Wegweiser und kein Gesetzesbuch. Damit widerspricht sie einen jahrhunderte alten Konsens islamischer Gelehrter. Verse aus dem Koran, die von der Überlegenheit des Mannes handeln, müssten vor den damaligen patriarchalen gesellschaftlichen Strukturen verstanden werden und heute nicht mehr als Grundlage für Gesetze herhalten. Zu diesen Versen gehört etwa das Züchtigungsrecht des Ehemannes, die Bestimmung, dass die Zeugenschaft einer Frau nur halb so viel zählt wie die Zeugenschaft eines Mannes oder die Aussage, dass die Männer über den Frauen stünden:

"Die traditionelle Interpretation des Verses 'Die Männer stehen über den Frauen' besagt, dass die Männer die Frauen und ihre Angelegenheit kontrollieren dürfen. Damals für die Menschen im siebten Jahrhundert auf der arabischen Halbinsel mag das plausibel erschienen sein. Aber heute sind Frauen sowohl in muslimischen als auch in nichtmuslimischen Kontexten wirtschaftlich unabhängig. Im Falle einer Heirat bringen sie ihre Fähigkeiten und ihre Arbeit mit in die Ehe ein. Die traditionelle islamische Vorstellung von Heirat besagt, dass die Frau ihren Körper einbringt. Mit dem Heiratsvertrag verfügt der Mann über die Sexualorgane der Frau. Diese Vorstellung ist noch sehr stark verbreitet. Wenn ich ein modernes Wort benutze, dann würde ich sagen, dass die Vorstellung von Familie demokratisiert werden muss. Wenn Koranverse im Widerspruch zu der vollen Statthalterschaft der Frauen stehen, dann können sie nicht angewendet werden."

Amina Wadud konzentriert sich bei ihren Reformbemühungen ausschließlich auf den Koran. Mit der sogenannten Sunna, mit der großen Sammlung von Aussprüchen und Taten, die dem Propheten Muhammed zugeschrieben werden beschäftigt sie sich nicht. Die Islamwissenschaftlerin meint lediglich, wenn sich Aussprüche Muhammeds mit dem Koran widersprechen, dann können sie heute keine Gültigkeit besitzen.

Waduds Studien gehören zu den Standardwerken des islamischen Feminismus. Sie dienen Gläubigen von Indonesien bis Ägypten, die den Islam von innen heraus reformieren wollen, als Grundlage. Auffällig ist allerdings, dass nur eine kleine Minderheit von Frauen sich im islamischen Diskurs öffentlich gegen die patriarchal geprägte Deutung des Islam zur Wehr setzt:

"Ich glaube das liegt daran, dass Frauen eine sehr enge Beziehung zu ihren Familien haben. Und wenn sie sich nun für die Gleichberechtigung engagieren, dann werden sie sehr schnell Schwierigkeiten mit ihrer engsten Umgebung bekommen. Um des lieben Friedens in der Familie, lassen es viele sein."

Amina Wadud hat viele Jahre Islamwissenschaften an der Universität von Virginia unterrichtet. Die islamisch geprägte Welt kennt sie von langen Studien- und Arbeitsaufenthalten. Aber nicht etwa die klassischen Zentren der islamischen Gelehrsamkeit in der arabischen Welt haben sie inspiriert und neue Impulse für ihre Auseinandersetzung mit dem Islam gegeben, sondern die Peripherie. Zusammen mit Gleichgesinnten gründete sie in Malaysia "Sisters of Islam", eine Organisation, die sich innerhalb des islamischen Diskurses vehement für Frauenrechte einsetzt. Auf einer ausgedehnten Vortragsreise durch Südafrika wurde sie in Kapstadt gebeten die Freitagspredigt in einer Moschee zu halten. Das hat sie ermutigt Jahre später das berühmt gewordene Freitagsgebet in New York zu leiten. Aber die stärkste Triebfeder für den Kampf um Geschlechtergerechtigkeit im Islam bleibt ihre persönliche Geschichte:

"Mein Vater war ein methodistischer Prediger. Ich bin in einer Umgebung aufgewachsen mit einem sehr stark ausgeprägten Unrechtsbewusstsein und die Vorstellung Gott irgendwie mit Unterdrückung zusammen zu bringen, war mir völlig fremd. So etwas gab es bei uns nicht. Hinzu kommt, dass ich sehr bewusst die Zeit der Aufhebung der Rassentrennung erlebte. Ich bin 1952 geboren. Da waren die Schulen noch nach Schwarz und Weiß getrennt. Wir waren Teil der Bürgerrechtsbewegung und der Black Power Bewegung. Diese Bewegungen gaben vor, dass deine Menschenrechte nicht missachtet werden dürfen. Mein Vater und ich waren beim berühmten Marsch von Martin Luther King nach Jackson dabei. Als ich dann zum Islam kam, wurde mir klar, dass eine ähnliche Bewegung, aber in Bezug auf Geschlechtergerechtigkeit notwendig war. Sehen Sie, mein afroamerikanisches Erbe hat mich sehr stark beeinflusst."