Texte aus dem Augenblick
In diesem Herbst wird dem Triester Schriftsteller Claudio Magris der "Friedenspreis des Deutschen Buchhandels" verliehen. Wer bislang vor allem seine epochalen Essay-Bände kannte - zur Donau, den Illusionen der Moderne oder zum Literatur gewordenen Mythos der k.u.k.-Monarchie - wird vorliegendes Büchlein leicht für ein Nebenwerk halten. "Ein Nilpferd in Lund" ist vorderhand eine Sammlung von Augenblickstexten, entstanden während und nach diversen Reisen, die Magris unter anderem nach Spanien, in den Iran, in die Lausitz und nach Vietnam geführt haben.
Wer erfahren möchte, wer dieser menschenfreundliche und heilsskeptische Autor ist, dieser polyglotte und dennoch nie eitel auftrumpfende Universalgelehrte, der sollte tatsächlich mit der Lektüre dieser Reisebilder beginnen. Und jene, die sich bereits für Kenner von Magris´ Werk halten, können erneut staunend erfahren, wie gut sich all dies verträgt: Modester, ja oftmals heiterer Stil und enorme Ernsthaftigkeit, eigene Entdeckerlust und ein souveränes Sich-Zurücknehmen angesichts all derer, die bereits vor ihm geschrieben haben und gereist sind.
Claudio Magris, Germanistik-Professor, dessen Muttersprache Italienisch ist, hat keineswegs Disparates willkürlich zusammengefügt. Seine Miniaturen warten weder mit steilen Thesen auf, noch stilisieren sie die Welt á la artifiziellem Gonzo- oder Feuilleton-Journalismus. Stattdessen begibt er sich auf die Spuren von Don Quijote und bettet in die sinnliche Beschreibung spanischer Landschaften seine Reflexionen über die Relativität des Fortschritts. Im Prag der 1993 gerade entschwundenen Tschechoslowakei denkt er über die Einsamkeit des Dichter-Präsidenten Vaclav Havel nach, im Nachwende-Warschau über die Janusköpfigkeit von Stadt-Restaurierungen:
"Totalitarismen vernichten das Gedächtnis, doch auch jener schnelle Wechsel der dynamischen, opulenten Gesellschaften, die den Individuen so viele Möglichkeiten für Freiheit und geistiges Wachstum bietet, neigt dazu, die Erinnerung auszureißen und die Geschichte ins Museum zu verbannen."
In Hannover besucht der Autor das halbvergessene Grab einer "Frau Kestner, geborene Buff" - die niemand anderes war als Goethes Lotte. Das Titel gebende Nilpferd in einem schwedischen Kindermuseum gemahnt ihn an den stets zu früh endenden Zauber kindlicher Wahrnehmung, während er im Vietnam der Gegenwart voller Überraschung die Schönheit von Ho Chi Minhs Gefängnis-Gedichten entdeckt – jenseits aller klassenkämpferischen Hybris.
"Klassische Gedichte, Abendhimmel und hoch fortziehende Wolken, eine Flöte und eine Frau in der Einsamkeit, das Individuum – weder hochfahrend im Zentrum noch unbedeutend oder nebensächlich – am richtigen Platz in der Natur."
Ein Satz, pars pro toto für dieses Buch: Milde und aufmerksam, in keiner Zeile renommierend, und doch den aufmerksamen Leser für sich einnehmend in dieser typischen Magris-Mischung aus Vernunft und Schönheit, Intellektualität und Poesie. Diese Reisebilder sprechen in Zimmerlautstärke von den schmerzlichen Wundern unserer Existenz.
Besprochen von Marko Martin
Claudio Magris: Ein Nilpferd in Lund. Reisebilder.
Aus dem Italienischen von Karin Krieger.
Carl Hanser Verlag, München 2009, 222 S., 17, 90 Euro
Claudio Magris, Germanistik-Professor, dessen Muttersprache Italienisch ist, hat keineswegs Disparates willkürlich zusammengefügt. Seine Miniaturen warten weder mit steilen Thesen auf, noch stilisieren sie die Welt á la artifiziellem Gonzo- oder Feuilleton-Journalismus. Stattdessen begibt er sich auf die Spuren von Don Quijote und bettet in die sinnliche Beschreibung spanischer Landschaften seine Reflexionen über die Relativität des Fortschritts. Im Prag der 1993 gerade entschwundenen Tschechoslowakei denkt er über die Einsamkeit des Dichter-Präsidenten Vaclav Havel nach, im Nachwende-Warschau über die Janusköpfigkeit von Stadt-Restaurierungen:
"Totalitarismen vernichten das Gedächtnis, doch auch jener schnelle Wechsel der dynamischen, opulenten Gesellschaften, die den Individuen so viele Möglichkeiten für Freiheit und geistiges Wachstum bietet, neigt dazu, die Erinnerung auszureißen und die Geschichte ins Museum zu verbannen."
In Hannover besucht der Autor das halbvergessene Grab einer "Frau Kestner, geborene Buff" - die niemand anderes war als Goethes Lotte. Das Titel gebende Nilpferd in einem schwedischen Kindermuseum gemahnt ihn an den stets zu früh endenden Zauber kindlicher Wahrnehmung, während er im Vietnam der Gegenwart voller Überraschung die Schönheit von Ho Chi Minhs Gefängnis-Gedichten entdeckt – jenseits aller klassenkämpferischen Hybris.
"Klassische Gedichte, Abendhimmel und hoch fortziehende Wolken, eine Flöte und eine Frau in der Einsamkeit, das Individuum – weder hochfahrend im Zentrum noch unbedeutend oder nebensächlich – am richtigen Platz in der Natur."
Ein Satz, pars pro toto für dieses Buch: Milde und aufmerksam, in keiner Zeile renommierend, und doch den aufmerksamen Leser für sich einnehmend in dieser typischen Magris-Mischung aus Vernunft und Schönheit, Intellektualität und Poesie. Diese Reisebilder sprechen in Zimmerlautstärke von den schmerzlichen Wundern unserer Existenz.
Besprochen von Marko Martin
Claudio Magris: Ein Nilpferd in Lund. Reisebilder.
Aus dem Italienischen von Karin Krieger.
Carl Hanser Verlag, München 2009, 222 S., 17, 90 Euro