Textilindustrie

"So billig kommt ihr nicht davon!"

Protest in der Hamburger Fußgängerzone: Die Textilien werden oft unter schlimmern Bedingungen hergestellt.
Protest in der Hamburger Fußgängerzone: Die Textilien werden oft unter schlimmern Bedingungen hergestellt. © Axel Schröder
Von Axel Schröder |
Mehr als 1000 Menschen kamen bei dem Einsturz der Fabrik Rana Plaza ums Leben, in der auch deutsche Bekleidungsunternehmen wie KiK und H&M herstellen ließen. Betroffene haben jetzt in Deutschland für Entschädigung und gegen die Arbeitsbedingungen demonstriert.
Shila Begum ist müde. Morgens um neun sitzt die Überlebende mit schweren Lidern in einem prächtigen kleinen Konferenzraum im Hamburger Rathaus. Eine kleine Frau, über Hemd und Hose trägt sie ein rotes Tuch. Nur kurz fällt ihr Blick auf die lederbezogenen Wände, die reich verzierte Decke. Stefan Herms, im Rathaus zuständig für internationale Beziehungen, empfängt die 26-jährige frühere Näherin, ihre Begleiterin von der Textilarbeiter-Gewerkschaft und ihre deutschen Unterstützer. Helfen kann er nicht. Aber Herms hört sich ihre Geschichte an.
Shila Begum: "Es war ein achtstöckiges Gebäude. Ich habe im achten Stock gearbeitet. Plötzlich gab es einen großen Lärm, ein Dieselgenerator war angesprungen. Dann gab der Boden unter meinen Füßen nach. Am Kopf traf mich eine Nähmaschine, Gebäudeteile fielen mir auf den Unterleib. Die zwei Hilfsarbeiter neben mir waren sofort tot. 16 Stunden war ich eingeklemmt und wurde dann erst ins Krankenhaus gebracht. Und erst nach sieben Tagen kam ich wieder zu Bewusstsein."
Entschädigungszahlungen sind viel zu niedrig
Ein Jahr nach dem Unglück ist klar: auf dem Baugrund der "Rana-Plaza“-Fabrik hätte niemals ein achtstöckiges Gebäude stehen dürfen. 200.000 Textilarbeiter gingen gegen die miserablen Arbeitsbedingungen auf die Straße, die Behörden schlossen sofort 18 Textilfabriken in Bangladesch. Shila Begum unternimmt ihre Reise durch Europa, um auf die großen Handelsketten Druck auszuüben. Sie sollen endlich in den Fonds einzahlen, der den Überlebenden von Rana Plaza helfen soll. Die bisherigen Entschädigungszahlungen sind viel zu niedrig, erzählt Shila, umfasst mit der linken Hand die Schiene am rechten Arm. Seit dem Unglück kann sie ihn nicht mehr spüren, nicht bewegen.
"Nach dem Unglück werde ich wahrscheinlich nie wieder als Näherin arbeiten können. Nicht mal meinen eigenen Haushalt kann ich führen. Ich bin auf die Hilfe anderer angewiesen. Ich habe 70.000 Taka als Entschädigung bekommen. Umgerechnet sind das 650 Euro. Aber allein für den Arzt und Medikamente gebe ich 1.000 bis 2.000 Taka aus."
Anderthalb Stunden dauert der Empfang im Hamburger Rathaus. Dann geht es nach Draußen. Genau dorthin, wo die Produkte aus den Billiglohnfabriken verkauft werden. Zu "Benetton“ in der Hamburger Mönckebergstraße und zu "KiK“ in St. Georg, gleich neben dem Hauptbahnhof. Shila und Gewerkschafterin Safia Parvin und fünf deutsche Aktivisten halten ein Transparent: "So billig kommt ihr uns nicht davon!“ steht darauf. Frauke Banse vom Netzwerk Inkota erklärt per Megafon, wie viel Geld in den schon bestehenden Entschädigungsfonds eingezahlt werden muss:
Frauke Banse: "Hier werden mindestens 40 Millionen US-Dollar gebraucht. Und KiK hat bisher nur 500.000 US-Dollar hier einbezahlt. Das ist nicht genug. Und je mehr hier eingezahlt wird, desto würdiger können die Überlebenden und Hinterbliebenen des Unglücks von Rana Plaza leben!"
Vor der KiK-Filiale liegt ausgebreitet ein schwarzes Tuch auf dem Pflaster. Darauf ein Dutzend roter Grabkerzen.
Vorleserin: "Wir trauern um die Toten in Textilfabriken in Bangladesch. Wir trauern um die Toten beim Einsturz der Rana Plaza-Fabrik, in der auch für KiK produziert wurde. Wir trauern mit den Hinterbliebenen …"

"So billig kommt ihr nicht davon!" - Demonstranten fordern Entschädigung für die Opfer von Rana Plaza
"So billig kommt ihr nicht davon!" - Demonstranten fordern Entschädigung für die Opfer von Rana Plaza© Axel Schröder
Andere schauen lieber weg
Einer nach dem anderen legt Blumen auf das schwarze Tuch. Eine Handvoll Passanten bleibt stehen. Andere schauen lieber weg, suchen in den Kleiderständern von KiK nach Angeboten. Eine Jungen-Jeans für 7,99 Euro, ein quietschbuntes Kinder-T-Shirt für 1,99 Euro, modischer Rock: 9,99 Euro. Die Kundschaft des Discounters eilt mit Einkaufstaschen an der Klein-Demo vorbei. Äußern möchte sich dazu niemand, nur eine alte Dame bleibt stehen, ist bereit:
"Also ich finde, helfen muss man schon. Nur nicht übertreiben. Unsere Kinder haben auch manchmal nichts. Zum Beispiel Hartz IV… Können auch nicht alles haben, was sie möchten. Und immer ist das Hemd dem Körper näher als die Jacke!"
Die Frau geht weiter. Jetzt ist Shila Begum mit ihrem Redebeitrag an der Reihe. Frauke Banse hält ihr das Megafon, Shila Begum ist wieder hellwach:
Eine halbe Stunde dauert die Demo, dann, um 17 Uhr sinken Shila Begum und die Gewerkschafterin Safia Parvin erschöpft auf die Stühle eines Straßencafés gleich neben dem Discounter, vor sich dampfende Teetassen. Den deutschen Konsumenten macht sie keinen Vorwurf:
Safia Parvin: "Ich freue mich, dass die Menschen unsere Produkte kaufen. Auf diese Menschen bin ich nicht sauer. Sauer bin ich auf die Importeure, die möglichst wenig Geld ausgeben und möglichst große Gewinne machen wollen. Für die Fabrikbesitzer und für uns bleibt dann kaum etwas übrig. - Nein, die Menschen sollen weiter unsere Waren kaufen."
Safia Parvin lächelt breit. Nickt rüber zur müden Shila Begum. Hamburg war ihre letzte Station, nach Kundgebungen in den Niederlanden, Italien, in Frankreich. Die beiden Frauen verabschieden sich. Machen aber vorher noch Halt am Kleiderständer von KiK. Bei den T-Shirts, Hosen und Hemden zum kleinen Preis, zu Dumpinglöhnen.
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