Faire Löhne von der Farm bis zur Fabrik
Um ein Oberhemd herzustellen, braucht es etwa 140 Arbeitsschritte. Die Bauern, Färber, Spinner oder Näher arbeiten unter miesesten Bedingungen und werden erbärmlich entlohnt. Das soll sich in Indien bald ändern.
Der Bundesstaat Gujarat im Norden Indiens. Von der Industriemetropole Ahmedabad geht es mit dem Wagen auf der Landstraße 947 nach Westen, Richtung Pakistan. Felder wechseln sich in der flachen Landschaft mit lockerer Bebauung ab. Ein Hirte zieht mit einer Herde Ziegen vorbei, eine Gruppe Wasserbüffel steht auf einem Feld.
Und immer wieder Baumwollsträucher. Aus den Kapseln quellen die weißen, weichen Fasern, aus denen ein Großteil unserer Kleidung besteht - ob T-Shirts oder Jeans. Es ist Erntezeit für das sogenannte weiße Gold. Deswegen sind Rossitza Krüger, Kuldeep Singh Chauhan und Shivaprassad Shetty heute unterwegs – immer auf der Spur der indischen Textilbetriebe.
"Wir konzentrieren uns auf Organisationsfreiheit und existenzsichernde Mindestlöhne, weil wir dafür stehen. Der Pilot ist in Indien, weil es hier die ganze Produktionskette gibt. Es ist jetzt der Start. Wir sind interessiert an ersten Erfahrungen und Ergebnissen und dann machen wir weiter, Land für Land."
Rossitza Krüger, eine sportliche Mitvierzigerin, ist Textilingenieurin und hat für eine Prüffirma gearbeitet, bevor sie zu Fairtrade International gewechselt ist – einer Dachorganisation des Fairen Handels mit Sitz in Bonn. Chauhan hat Landwirtschaft studiert und für verschiedene Nichtregierungsorganisationen wie Oxfam gearbeitet.
Heute arbeitet der Inder beim Produzenten-Netzwerk Asien & Pazifik mit mehr als 200 Mitgliedskooperativen, wo er die Baumwollfarmer betreut. Shiva, ein Agrarexperte, hat sich schon vor vielen Jahren als Prüfer selbstständig gemacht. Seit Jahren reist der Inder kreuz und quer durch Asien und prüft, ob Farmer organische oder soziale Standards einhalten. Jetzt arbeiten die Drei an einem Projekt bei dem Fair Trade International Neuland betritt: eine faire Produktion von Textilien.
Spinnen, färben, weben, wirken
Der Weg der Baumwolle vom Feld bis zur Näherei ist lang. Die Fasern werden gesponnen und gefärbt, verwebt oder gewirkt und dann die Stoffe genäht. Nach den schweren Unglücken in Pakistan 2012 und in Bangladesch 2013 stehen die Nähfabriken besonders im Focus.
Zwar prangern Nichtregierungsorganisationen die miserablen Bedingungen in der Textilindustrie schon seit den neunziger-Jahren an, insbesondere die Kampagne für saubere Kleidung. Geändert hat sich an den Verhältnissen indes wenig. Dabei gibt es mittlerweile diverse Ansätze, mit denen die Einhaltung gewisser Mindeststandards gewährleistet werden sollen. Aber die beschränken sich meist auf die Nähbetriebe – das letzte Glied der Fertigungskette.
Fair Trade International konzentriert sich bislang auf landwirtschaftliche Erzeugnisse wie Kaffee, Kakao oder Baumwolle. Jetzt wagt sich die Organisation in die industrielle Fertigung von Textilien. Künftig sollen Verbraucher Bekleidung kaufen können, bei denen ein Siegel gewährleistet, dass alle beteiligten Beschäftigten einen existenzsichernden Mindestlohn erhalten, unter sicheren und gesunden Bedingungen arbeiten und sich organisieren können.
Das Pilotprojekt soll in Indien starten, weil hier alle Arbeitsschritte vorhanden sind, vom Färben, Weben und Schneidern. Drei Unternehmen aus Deutschland wollen das Pilotprojekt in Indien durchführen: "3 Freunde", "Brands Fashion" und "Melawear"- allesamt junge und kleine Firmen. Deswegen fahren die drei Experten für Baumwolle, Produktion und Arbeitsrechte zur ersten Stufe der industriellen Verarbeitung, wo Baumwollfasern und -kapseln getrennt werden. Entkörnung nennt sich dieser Vorgang.
Faire Textilproduktion – kann es die geben?
Nach zweieinhalb Stunden Fahrt erreichen sie ihr Ziel: ein Werk der Firma Omax mit einer Entkörnungsanlage für Baumwolle und einer Ölmühle. Rund 50 Leute arbeiten auf dem Gelände. Zu der Firma gehört auch eine Spinnerei mit rund 200 Beschäftigten, einige Autominuten entfernt.
Die Garne gehen unter anderem nach Bangladesch, in die Türkei und nach China. Nächster Ort ist Dhrangadhra, eine Stadt mit 75.000 Einwohnern. Die Hauptstadt Delhi ist gut tausend Kilometer entfernt.
"Hey nice to see you!”
Seit vier Generationen betreibt die Familie Patel das Baumwollgeschäft. Jayesh Patel und sein Neffe Milind bitten uns, auf einem der vier Diwane im Besprechungsraum Platz zu nehmen. Tee und Gebäck wird gereicht. Die Fabrikanten interessieren sich für den fairen Textilstandard – sie können sich vorstellen, mit ihrer Fabrik Teil einer Produktionskette zu werden, bei der in jedem Schritt ein existenzsichernder Mindestlohn gezahlt wird sowie sichere und gesunde Arbeitsbedingungen und Organisationsfreiheit gegeben sind.
Sie haben deswegen einer Bestandsaufnahme der Arbeitsverhältnisse zugestimmt. Was jetzt passieren wird, erklärt Shetty, der selbst aus dem Süden Indiens stammt. Der kräftige robuste Mann erhebt sich halb aus seinem Diwan und gestikuliert lebhaft.
Er werde Interviews mit Arbeitern und Angestellten führen, sich in der Fabrik und auf dem Gelände umschauen, Dokumente sichten und einen Report schreiben. Er hat eine große Bitte:
"Please be open and we can discuss the issues!”
Die Unternehmer haben zugestimmt, dass ein Journalist dabei sein darf, keine Selbstverständlichkeit in dieser Branche. Es ist der humorvolle Shetty, der mir einige Bedingungen stellt, wenn ich ihm bei seiner Arbeit über die Schulter schauen will.
Ich dürfe die Gespräche weder aufnehmen noch die Arbeiter fotografieren oder nach ihrem Namen fragen. Das mache er auch nicht, um die Arbeiter zu schützen. In seinem Bericht für die Fabrikanten der Firma Omax werde er auch jeden Bezug vermeiden, der Rückschlüsse auf eine bestimmte Person oder Gruppe zulasse.
Ängstliche Arbeiter, keine Gewerkschaften
Der Abladeplatz. Trotz winterlicher Jahreszeit hat es 35 Grad und es ist staubig. Fünf Arbeiter haben sich zum Schutz Tücher um Mund und Nase geschlungen. Zwei stehen auf einem hoch beladenen Wagen und schieben mit groben Rechen die Baumwolle herunter.
Vier Berge weißer flockiger Baumwolle liegen auf dem Platz, je ein gutes Dutzend Wagenladungen. Shetty spricht die fünf Arbeiter an und winkt mich nach einigen Minuten heran. Wir setzen uns in den Schatten des LKW. Shetty geht behutsam vor in solchen Situationen.
"Man nutzt grundlegende Aspekte der menschlichen Psychologie, um das Eis zu brechen. Man startet mit Fragen, wie: Woher kommt ihr her? Wie lange arbeitet Ihr? Wie ist das Essen? Was auch immer, ihr Familienleben – solche Fragen brechen gewöhnlich das Eis."
Sie stammen aus Bihar im Nordosten Indiens. Sie sind gemeinsam gekommen, ohne Familien. Zunächst reden nur zwei der fünf Schweiß getränkten Arbeiter. Die Situation ist für sie ungewohnt. Mit Unbekannten über ihre Arbeitsbedingungen zu reden. Später tauen die drei anderen auch noch auf. Der Letzte nimmt das Tuch ab. Shetty schaut nun allen ins Gesicht.
"Wir kommen so langsam zu den wichtigen Aspekten".
Nein, Kinderarbeit gebe es nicht. Ja, es habe ein Feuer in der Fabrik gegeben. Zu Schaden gekommen sei niemand. Nein, eine Gewerkschaft gebe es nicht und von einer Arbeitervertretung wüssten sie nichts.
Mehrfach wird das Gespräch gestört. Von einem älteren Herrn auf einem Moped, dem Qualitätsprüfer der Baumwolle. Von dem Vorarbeiter, der Shetty zwei weitere Arbeiter für das Interview aufdrängen will, was dieser ablehnt. Schließlich erklärt der Vorarbeiter das Gespräch für beendet. Nach einem Anruf beim Fabrikanten geht es weiter. Sind solche Störungen üblich?
"Das ist ziemlich normal. Wir müssen solche Situationen handhaben, aber manchmal gibt es Druck."
Trotz der Unterbrechungen fördert Shetty Interessantes zu Tage. So gibt es hier eine spezielle Form der Arbeitsorganisation. Mehrere kleine Gruppen sind mit einem Verleiher hier, der selbst als Leiharbeiter eine Funktion in dem Werk erfüllt. Der Verleiher der fünf Abladearbeiter heißt Santosh Kumar. Der 27-Jährige steht am Rand des Hofes.
"Ich bringe die Arbeiter her. Dann gehe ich von Unternehmen zu Unternehmen und frage, habt ihr Arbeit für mich? Ich habe zehn bis 15 Leute dabei und wir wollen alle gemeinsam arbeiten. Wenn die Firma einverstanden ist und mich bezahlt, fangen wir an."
Bezahlt wird ein Stücklohn
Die Entlohnung der Arbeiter erfolgt auf Tagesbasis oder nach einem Stücklohn. Wer Maschinen wartet oder säubert erhält 300 Rupien täglich. Macht bei 26 Arbeitstagen monatlich 7800 Rupien, umgerechnet rund 110 Euro. Das entspricht in etwa dem durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommen in Indien. Bei den Verladearbeiten erhält eine Fünfergruppe pro Lkw 700 Rupien. Monatlich hätten sie 6000 bis 8500 Rupien, erzählen sie – umgerechnet rund 85 bis 120 Euro. Warum machen seine Arbeiter unterschiedliche Angaben über ihren Verdienst?
"Es ist eben ein Stücklohn für jeden Lkw. Deswegen können die Arbeiter nicht genau sagen, wieviel sie im Monat verdienen, manchmal ist es mehr, manchmal weniger."
Shetty nimmt sich Zeit für lange Interviews mit den zwei Dutzend Arbeitern in der Entkörnungsanlage, jeweils ein bis zwei Stunden mit zwei bis fünf Arbeitern. Dann folgen Gespräche mit Angestellten aus der Buchhaltung, dem Verkauf und dem Management.
Währenddessen schaut sich der Mann in Jeans und Turnschuhen aufmerksam auf dem Gelände um. Ein Fahrer auf einem blauen Traktor rammt seine Schaufel in einen großen Berg Baumwolle, fährt dann zu einem Trichter von der Größe eines Lkw-Containers und schaufelt sie dort hinein.
"The cotton goes in the factory…”
Unterhalb des Trichters fängt ein Förderband die Baumwolle auf und transportiert sie weiter durch eine Maueröffnung in die eigentliche Fabrik.
Dort stehen in drei Reihen mehrere Dutzend Maschinen, in denen die Hauptarbeit stattfindet. Die Baumwollbüschel fallen in die Maschinen und werden zwischen Metallplatten gepresst. Die Maschinen ruckeln hin und her, Kapselreste fallen zwischen Metallstäben heraus.
Es ist laut: Shetty misst 92 bis 95 Dezibel. Staub fliegt durch die Luft. Am Wellblechdach, an den Metallstreben und an den Maschinen hängen Baumwoll-Bärte. Es gibt offene Keilriemen, Trichter und Gewinde. Dazwischen machen Frauen in Saris sauber. All diese Dinge notiert sich Shetty.
Am Rande des Fabrikgeländes steht ein dreistöckiger Betonbau. Hier wohnt ein Teil der Arbeiter. Einige Zimmer teilen sich mehrere Arbeiter, in anderen wohnen Arbeiter mit Familien. Hier ist gerade mal Platz für ein Bett, einen Tisch und zwei Stühle sowie eine Kochecke, alles klein, aber sauber.
Vor dem Haus haben Arbeiter eine Kochstelle in einem provisorischen Zelt untergebracht. Zwei Wände aus aneinander genähten Jutesäcken. Das Dach und die dritte Wand bildet eine ausgeblichene blaue Plane.
Ein Arbeiter hockt auf dem Erdboden, schält mit einem großen Messer Zwiebeln. Auf einem Feuer brodelt ein Topf. Zu Mittag gibt es Reis mit Zwiebeln und Gewürzen. Er koche für die Abladearbeiter, sagt der Arbeiter. Sechs bis acht Monate dauere die Saison.
Die Arbeit sei okay. Die Trennung von seiner Familie sei für ihn kein Thema. Sein Leben dreht sich um elementare Fragen. In Indien sind 40 Prozent der Menschen unter- oder fehlernährt. Shettys Herzlichkeit und Humor wirken Wunder, auch bei dem Abschlussgespräch mit Milind Patel bei dem er Klartext über die Zustände in der Anlage redet. Eine Stunde ist vergangen.
"Okay, kommen wir zum Wichtigsten, Gesundheit und Sicherheit. Den Lärm habe ich mit einem Gerät gemessen. Es gibt eine Regulierung durch das Arbeitsministerium in Gujarat. Maximal erlaubt sind rund 85 Dezibel bei einer achtstündigen Belastung. Gemessen habe ich 92 bis 93 Dezibel."
Shetty zeigt Fotos von den ungesicherten Stegen oberhalb der Maschinen und den offenen Antrieben. Besonders für die Frauen in ihren Saris sei die Gefahr groß. Sie könnten sich in den Maschinen verfangen und schwer verletzen.
Arbeiter sollen innerhalb von sechs Jahren einen Mindestlohn erhalten
Okay, dann der Lohnteil. Man habe einige der angestellten Arbeiter gesprochen, sie erhielten wohl den gesetzlichen Mindestlohn. Aber für die Leiharbeiter sei es für ihn unmöglich zu sagen, ob sie den Mindestlohn bekommen oder nicht.
Denn die Verleiher dokumentieren die Lohnzahlungen nicht. Zum Schluss geht es um die Gewerkschaften, die hier nicht vertreten sind. Im Laufe des Gesprächs ist der Unternehmer immer stiller geworden. Von Shettys Arbeit hängt viel ab – schließlich wünscht sich der faire Handel, dass die Firma sich nach dieser Vorprüfung auf den Textilstandard einlassen und die notwendigen Verbesserungen durchführen wird. Wie lange kann das dauern?
Rossitza Krüger sitzt in heller Stoffhose und kurzärmliger Bluse auf der Rückbank des Wagens, gleich neben Shetty und runzelt die Stirn.
"Wenn wir über notwendiges Training reden, eine bessere Dokumentation oder andere kleine Dinge, ist es eine Frage von Monaten. Aber wenn wir über neue Maschinen und Investitionen reden, was hier möglicherweise nicht der Fall ist, aber in anderen Produktionen, dann kann es Jahre bis zur Zertifizierung dauern."
Der weitere Weg führt entlang einer der großen Baumwollrouten in Indien, der Flug vom Norden in den Süden in den Bundesstaat Tamil Nadu. Hier liegt Tirupur, eine wahllos gewucherte Industriemetropole ohne jeden Charme. Einheimische sprechen vom T-Shirt-Mekka.
Eine Brücke führt über den Noyol einen der beiden Flüsse der Stadt. Nach Monaten der Trockenheit ist er nur noch ein Rinnsal, dessen Ufer von Müll gesäumt ist.
Kinder und Lehrer beim Unterricht in einer Montessori-Schule. Auf der Schulmauer aufgemalt sind Bilder fröhlicher Kinder, die einen Drachen steigen lassen. Eine von 15 Schulen der NGO Social Awareness & Voluntary Education, kurz Save. Deren Zentrale ist nebenan.
Arockiam Aloysius hat Save gegründet, um gegen Kinderarbeit zu kämpfen. Heute kämpft Save auch für bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeiter in Tirupur.
"Aloysius we are very happy to meet you and also than you help us also with the trade unions.”
Rossitza Krüger bedankt sich bei Aloysius für die Vermittlung von Kontakten zu drei indischen Gewerkschaften, die sie bei ihrem Aufenthalt in Tirupur treffen wird. In einigen Punkten seien die Verhältnisse in der hiesigen Textilindustrie besser als in Nachbarländern wie Bangladesch, betont Aloysius.
"Fabriken brennen nicht oder stürzen ein. Die Schlüsselfrage ist der Lebensstandard. 70 Prozent der Leute arbeiten 12 Stunden täglich, einige - 20 bis 25 Prozent - sogar 16 Stunden täglich, was illegal ist. 200 bis 300 Rupien verdient ein Arbeiter täglich, mancher Akkordarbeiter schafft 400 Rupien. Das bedeutet einen Monatsverdienst von 4000 bis 6000. Arbeiten zwei, sind es 12.000 oder lass es 13.000 Rupien sein. Save kalkuliert als notwendiges Minimum 18.000 Rupien monatlich."
Umgerechnet wären dies für eine Familie 256 Euro. Verdienen sollte dies nach Ansicht von Save ein Ernährer. Der faire Handel setzt dagegen für Tirupur einen existenzsichernden Mindestlohn für einen Arbeiter bei 14.033 Rupien an und geht in seiner Kalkulation davon aus, dass eine Familie 1,5 Stellen besetzt, was dann ein Einkommen von mehr als 21.000 Rupien – umgerechnet knapp 300 Euro - bedeuten würde. Noch ist die Realität weit davon entfernt in der Stadt.
"Wir haben 110 Slums ausgemacht, in denen rund 50.000 Familien leben."
Die Textilfirma SAGS Apparels gehört Ananthraman Ganesh und seinem Bruder. Hier arbeiten 300 Angestellte in drei Betrieben. Werk Nr. 1 besteht aus einer kleinen Halle und einem zweistöckigen Gebäude. Im ersten Stock ist der Nähbetrieb untergebracht. Auf einer Seite rattern zweireihig Nähmaschinen, auf der anderen Seite erledigen Arbeiterinnen die Qualitätskontrolle, entfernen Fadenreste von den T-Shirts. Hinter der Näherei geht es durch einen Flur zum Besprechungsraum.
Zertifikat für Fair-Trade-Standard ist begehrt
"We started with brands fashion from last six years.”
Brands Fashion ist eine der drei Firmen, die sich bereit erklärt haben bei dem Pilotprojekt von Fairtrade International mitzumachen. Im Besprechungsraum hängt auf zwei Kleiderstangen ein Teil ihrer Kollektion, darunter T-Shirts mit den Emblemen der Fußballvereine Union Berlin und VfB Stuttgart. An der Wand hängen eingerahmt Siegel von Textilstandards wie BSCI, GOTS oder von Walt Disney, die Ganesh hat. Warum braucht er noch einen weiteren Standard?
"Andere Standards wie BSCI oder SA8000 setzen bei der Näherei an. Beim Textilstandard geht es um Technik, Nachhaltigkeit und soziale Aspekte. Wenn du den Fair-Trade-Textilstandard hast, brauchst du keine andere Zertifizierung mehr, weil er einfach alles umfasst."
Was würde die Zahlung eines existenzsichernden Mindestlohns von 14033 Rupien – umgerechnet rund 200 Euro - für seinen Betrieb bedeuten? Ganesh, der sonst schnell redet, stockt kurz:
"Auf einen Schlag wäre es ein ziemlich großer Schritt. Aber sie geben uns sechs Jahre Zeit, es umzusetzen."
Die Freiheit der Gewerkschaften ist ein zentraler Aspekt im Textilstandard. Aber wie ist es um sie bestellt? Es ist dunkel, als Shetty ein Gebäude an der Hauptstraße betritt, vor dem eine rote Flagge weht mit den Initialen CITU, was für Center for Indian Trade Union steht.
Er trifft Prgsampaht, den Gewerkschaftssekretär. Der hagere Mann trägt ein grobes Seidenhemd und einen weißen Dhoti, das um die Hüfte geschlungene typische Beinkleid. Mehr als fünftausend Fabriken gibt es in der Stadt. In gerade einmal 25 Fabriken ist die CITU aktiv, die größte der acht vor Ort vertretenen Gewerkschaften.
10.050 Mitglieder habe die größte Gewerkschaft in der Stadt, wo Hunderttausende in den Betrieben arbeiten. Was ist der Grund für diese offensichtliche Schwäche der Gewerkschaften?
"Es gibt viele Arbeitsmigranten aus ärmeren Bundesstaaten. Sie sind oft schon zufrieden über Brot und Butter und kommen gar nicht auf den Gedanken, für ihre Rechte in einer Gewerkschaft zu kämpfen. Sie sprechen andere Sprachen, weswegen man sich schlecht mit ihnen verständigen kann und was auch eine Organisation erschwert."
Ein Fernseher läuft im Flur. Thema des Tages ist die Verurteilung der Politikerin Sasikala, die kurz davon stand die nächste Ministerpräsidentin des Staates Tamil Nadu mit seinen 72 Millionen Einwohnern zu werden. Nach 20 Jahren hat der Supreme Court, das oberste Gericht Indiens, entschieden: Die Politikerin muss wegen Korruption für vier Jahre ins Gefängnis.
Enge Bande zwischen der Geschäftswelt und der Politik sieht der Gewerkschaftssekretär als zentrales Hindernis für die Verbesserung der Lebensumstände der Arbeiter. Offensichtlich gibt es viele Hindernisse für faire Arbeitsverhältnisse entlang der Textilkette. Aber bald soll ein kleiner Anfang gemacht werden. Rossitza Krüger lächelt:
"Unser Ziel ist es, dass die Fertigungskette in ein bis zwei Jahren steht und die ersten Stücke im Verkauf sind. Ich denke das ist machbar, meine bescheidene Meinung, der Rest steht in den Sternen."