Textsammlung von Nikolaus Harnoncourt

Über Musik, Mozart und die Werkzeuge des Affen

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Der Dirigent bei der Arbeit: er fordert die Musiker mit einem Finger vor dem Mund zum leisen Spiel auf.
Einflussreicher Dirigent: Nikolaus Harnoncourt hat mit seiner Musikauffassung Generationen geprägt. © imago images / Leemage
Rainer Pöllmann im Gespräch mit Masche Drost |
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Nikolaus Harnoncourt war einer der Dirigenten, der dem Bereich "Alte Musik" zum Durchbruch verhalf. Mit seinem Orchester "Concentus Musicus" setzte er Maßstäbe. Postum sind nun 15 seiner Texte erschienen, darunter auch die titelgebende Rede.
Nikolaus Harnoncourt war einer der einflussreichsten Musiker der vergangenen Jahrzehnte. Er hat die Bibel der historischen Aufführungspraxis Ende der 80er-Jahre verfasst: "Musik als Klangrede". Das Buch war ein Schlüssel zu seinem Musizieren, es hat Wege zu einem neuen Musikverständnis aufgezeigt.
Mascha Drost: Der Dirigent hat sein Musikverständnis später immer wieder in Büchern dargelegt, in Aufsätzen, Essays, in persönlichen Betrachtungen. Vor vier Jahren ist Nikolaus Harnoncourt gestorben. Posthum erscheint jetzt ein neuer Band mit Aufsätzen und Reden. "Über Musik" der Titel - eher wenig originell. Der Untertitel aber lautet "Mozart und die Werkzeuge des Affen". Zu den Affen im Speziellen kommen wir noch. Aber worum geht es ganz allgemein? Reinhold Pöllmann sie haben den Band gelesen.
Rainer Pöllmann: Es sind insgesamt 15 Texte. Essays und Reden, entstanden zwischen 1965 und 2006. Beim Blick ins Inhaltsverzeichnis denkt man zunächst einmal: Das ist aber ein ziemliches Sammelsurium. Es gibt Texte über Spezialthemen der alten Musikpraxis, über Vibrato, über die Mitteltönigkeit, über die Klangästhetik Monteverdis, über das Cembalo.

Das Detail und das ganz Große

Aber dann eben auch Vorträge, vor allem über wirklich große Themen. "Über das Musikhören" ist einer überschrieben oder "Zeitgeist, Mode und Wahrheit". Es gibt beim Lesen dieser Texte, die aus ganz unterschiedlichen Anlässen entstanden sind, aber auch die ein oder andere Überschneidung, die ein oder andere Wiederaufnahme eines Themas. Oder sagen wir es freundlicher: Es wird natürlich schon auch deutlich, wofür Nikolaus Harnoncourt brennt und was ihm wirklich wichtig ist.
Mascha Drost: Zum Beispiel Mozart. "Mozart und die Werkzeuge des Affen" ist der Titel einer Rede von 1991 zum 200. Todestag Mozarts. Das war ein Komponist, der ihm so nah war, wie wenige.
Rainer Pöllmann: Dieses Mozart-Jubeljahr 1991 hat er zum Anlass genommen zu einer durchaus zornigen Rede, einem Einspruch gegen die Verwertung und Benutzung Mozarts, die natürlich damals genauso der Fall war, wie in diesem Jahr bei Beethoven. Die Musik ist ein Rätsel, so sagte er in diesem Vortrag, ein unerklärbares Geschenk aus einer anderen Welt und verweigert sich damit in seiner Auffassung natürlich aller Jubiläumsnutzbarkeit.
Der Dirigent sitzt mit einem aufgeschlagenen Buch in einem Garten.
Nikolaus Harnoncourt hat seine Erkenntnisse und Wünsche zur historsichen Aufführungspraxis auch schritftlich formuliert.© imago images / Leemage
Dass die Musik ein Rätsel ist, und ein unerklärbares Geschenk aus einer anderen Welt, ist auch eine etwas einseitige Betrachtung der Dinge. Aber es weist hin auf sein großes Thema, das sich durch dieses ganze Buch zieht. Das ist der fundamentale Gegensatz von Logik, einer Vernunft gesteuerten, rational bestimmten Logik und der Fantasie.
Vernunft versus Liebe, Logik versus Fantasie - das sind die Gegensatzpaare, die er aufmacht. Da versteigt er sich manchmal schon auch ein bisschen, man möchte sagen, ins allzu Idealistische. Schönheit und Wahrheit sind hier, und er meint in der Kunst, wohl fast identisch. Wenn es so schön wäre, kann man da nur sagen, dann wäre auch das Reich der Kunst natürlich ein sehr seliges.

Kunst - ein menschliches Medium

Mascha Drost: Dann heißt es "Mozart und die Werkzeuge des Affen". Welche Rolle spielt der Affe?
Rainer Pöllmann: Der Affe ist in dieser Argumentationslinie der Vertreter einer rein rationalen, zweckgerichteten Vernunft. Wenn man denn Vernunft sagen kann - aber vielleicht schon bei Primaten. Das Beispiel von Harnoncourt ist: ein Affe schlägt mit einem Stein eine Nuss auf, weil er an das Innere kommen will. Aber er käme nie auf die Idee, diesen Stein als sein Werkzeug mit einer Skulptur zu verzieren. Das macht für ihn das Wesen der Kunst aus. Da kommt dann das genuin Menschliche und eben das genuin Künstlerische zum Tragen.
Also der Affe ist das Gegenstück zum Künstler, beziehungsweise zu einer Menschheit, die die Kunst als Kunst ernst nimmt. Dieser Untertitel ist natürlich ein sehr schöner für das ganze Buch, auch ein sehr markanter. Aber der eigentlich wichtigste Text, für mich jedenfalls, ist ein anderer: Der mit "Zeitgeist, Mode und Wahrheit" überschrieben ist zum 75. Geburtstag der Salzburger Festspiele, der also auch wieder ein Jubiläum als Anlass nimmt und auch diese Jubiläumsfestrede eher bitter macht. Keine Festrede, sondern eine skeptische, pessimistische Bilanz, die er da zieht, auch der nazistischen Einvernahmung der Salzburger Festspiele gegenüber. Wo er auch tatsächlich einige große Fragen aufwirft.
"Was ist Wahrheit?" im Sinne von "Wie verändert sich künstlerische Wahrheit im Laufe der Zeit?" Wieso beurteilen wir heute bestimmte Musik auch der großen Komponisten, von Bach etwa, anders als die der Zeitgenossen? Wer hat recht? Das sind ewige Fragen. Das sind letzten Endes auch unbeantwortbare Fragen...
Mascha Drost: Beantwortet er sie denn?
Rainer Pöllmann: Er beantwortet sie nicht. Aber er kommt da immer wieder darauf zu sprechen, dass die Kunst eine ihr eigene Antwort gibt, die dann nicht mehr in der Begrifflichkeit einer menschlichen Logik oder Rationalität aufzufangen ist, sondern die eben ihre eigene Logik, ihre eigene künstlerische Ausdruckswelt hat.
Da kommt er dann doch immerhin auch in diesem Zusammenhang darauf zu sprechen, das nicht die konfliktfreie Schönheit und Wahrheit das Ziel und das Refugium der Kunst ist, sondern dass die Kunst das "Erregende, Erschütternde, Beglückende" sei für den Menschen und damit eben durchaus kein konfliktfreies Feld.

Schönheit ist nicht alles

Mascha Drost: Also große Plädoyers für die Kunst, die man jedem Musikmanager, jedem, der Musik als Produkt verkaufen möchte, nahelegen sollte?
Rainer Pöllmann: Unbedingt ja. Natürlich ist es auch ein bisschen aus der Zeit gefallen diese Argumentation. Also der Zynismus, der Verwertungszynismus ist im Bereich der Musik eher die Regel als die Ausnahme geworden. Aber gerade deswegen muss man auf solche Plädoyers doch immer wieder zurückkommen.
Der Dirigent schaut nach oben.
Stellte Überlegungen zum Verständnis von Kunst an: Der Dirigent Nikolaus Harnoncourt im Jahr 2006.© imago images / ZUMA Press
Noch ein Zitat: "Die Kunst und mit ihr die Musik ist ein wesentlicher Bestandteil des menschlichen Lebens. Sie ist uns geschenkt als Gegengewicht zum Praktischen, zum Nützlichen, zum Verwertbaren", sagt Harnoncourt. Das ist zweifellos heute so wahr wie zu seinen Lebzeiten.
Er weist aber auch darauf hin, wenn man diese künstlerische Sprache verstehen wolle, dann müsse man sie auch lernen. Womit wir bei einem ganz anderen Feld sind, das er nur am Rande streift, nämlich die musikalische Bildung.

Nikolaus Harnoncourt: "Über Musik. Mozart und die Werkzeuge des Affen"
Herausgegeben von Alice Harnoncourt
Residenz Verlag, Salzburg 2020
176 Seiten, 22,00 Euro

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