Vereint im Protest
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Seit Monaten protestieren in Thailand meist junge Menschen gegen die vom Militär kontrollierte Regierung. Sie fordern eine Reform der Monarchie und die Abschaffung der Majestätsbeleidigung. Dabei sind die Demonstrierenden vereint wie nie zuvor.
Der Widerstand gegen die Regierung nimmt zu: "Wir sind keine Prayut-Fans, auf ihn schimpfen können wir gut" – so heißt es im jüngsten Song der Gruppe "Rap against Dictatorship", der in Thailand verboten ist. "Rap gegen die Diktatur" liefert den Soundtrack zu den Protesten in Thailand. "Wir heben unsere Hand zum Dreifingergruß", singen die Musiker zum Beispiel und meinen damit das Erkennungszeichen der Demonstranten, das sie aus den Filmen "Die Tribute von Panem" übernommen haben.
Seit fast einem Jahr richten sich die Proteste von Zehntausenden Thailändern gegen die Regierung von Premierminister Prayut Chan Ocha, sie fordern eine neue Verfassung. "Wir haben keine Angst, wir gehen auf euch los" – so Rap against Dictatorship. Sie meinen damit auch die Monarchie, denn die Demonstranten fordern auch eine Einschränkung der Macht des Königs. "Ihr müsst weg, verzieht euch – Wir sind lauter als je zuvor" lautet der Schlachtruf der Rapper.
"Wir wollen keine Sklaven sein"
Neue Verfassung, Rücktritt der Regierung, weniger Macht für den König – eine weitere wichtige Forderung der Demonstranten ist mehr Transparenz, was die Finanzen des Königshauses angeht. König Rama X. hatte nach seinem Amtsantritt die Kontrolle über das Eigentum der Krone übernommen, mit einem Vermögen von geschätzten 30 bis 40 Milliarden Euro ist er einer der reichsten Monarchen der Welt.
"Wir können nicht überprüfen, was die Monarchie tut. So viele Fragen sind unbeantwortet, was ihre Besitztümer oder den Steuermissbrauch angeht", erläuterte diese Demonstrantin gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters.
Mit Plakaten und Sprüchen wie "Gib uns unsere Schätze zurück" – "Wir wollen keine Sklaven sein" standen Aktivisten im Herbst vor der Zentrale der Siam Commercial Bank in Bangkok – das Geldinstitut gehört zu rund 24 Prozent dem thailändischen König.
Es sind vor allem junge Leute, Schülerinnen, Schüler und Studierende, die auf die Straße gehen. Wieso, erklärt David Streckfuss, Autor des Buchs "Truth on Trial in Thailand".
Vor allem junge Leute wollen Veränderungen
"Die neue Generation ist in eine Situation hineingeraten, die sie unerträglich findet. Innerhalb ihrer Lebenszeit hat sie eine sehr repressive Diktatur erlebt, die Rückkehr von Wahlen und danach verschiedene Tricks der Regierung – durch die diejenige Partei, für die die jungen Menschen gestimmt haben, aufgelöst wurde. Sie erfahren eine Art politischer Erweckung und stehen einem Regime gegenüber, das sie als unrecht empfinden. Und ein Teil des Unrechtsregimes ist die Monarchie und die Rolle, die die Monarchie im politischen Diskurs in Thailand spielt."
Die Auflösung der Future Forward Partei vor gut einem Jahr gab den Anstoß für die Demonstrationen. Thailand hat eine lange Geschichte von Verfassungen, Staatsstreichen und Militärregimes: Seit dem Ende der absoluten Monarchie 1932 gab es 20 Verfassungen sowie mindestens ebenso viele versuchte und erfolgreiche Coups. Den jüngsten eben 2014, als die Streitkräfte die Premierministerin Yingluck Shinawatra stürzten.
Fünf Jahre herrschte die Militärregierung, im März 2019 gab es zwar Wahlen, aber die waren nicht wirklich frei noch fair, nur mit sehr viel Nachhilfe ist General Prayut Chan Ocha zum Premierminister geworden. Fast siebeneinhalb Millionen junge Thailänder konnten zum ersten Mal in ihrem Leben wählen, fast alle von ihnen setzen ihre Hoffnung auf die neue progressive Future Forward Partei des dynamischen Milliardärs Thanathorn Juangroongruangkit. Der blickt jetzt auf die Wahl und auf die Geschehnisse seitdem zurück und schreibt auf seiner Facebook-Seite:
Die geklaute Wahl
"Wir haben begonnen, an Politik zu arbeiten, eine neue zukünftige Partei zu gründen, um eine progressive Gruppe in der Gegenwart zu werden, weil wir glauben, dass Politik eine Frage der Möglichkeit ist. Wir glauben, dass Thailand eine Demokratie sein kann. Wir glauben, dass unsere Gesellschaft gleicher ist als sie ist. Wir glauben, dass unser Land besser sein kann als dieses."
Vor zwei Jahren holte Thanathorn aus dem Stand fast 18 Prozent der Stimmen. Doch in mehreren Urteilen, die Menschenrechtsorganisationen als manipuliert bezeichneten, wurde Future Forward, Vorwärts in die Zukunft, gestoppt: Das Verfassungsgericht erkannte Thanathorn den parlamentarischen Status ab, bald danach wurde die gesamte Partei per Gerichtsbeschluss aufgelöst
Jetzt soll auch Thanathorn wegen Majestätsbeleidigung vor Gericht kommen. Denn der 42-Jährige hatte in einem seiner zahlreichen Livebroadcasts Zweifel angemeldet, und zwar daran, dass die Pharmafirma Siam BioScience die Kenntnis und die Kapazitäten besitzt, genügend Impfstoff für Thailand herzustellen. Diese Firma gehört König Maha Vajiralongkorn.
Das Lese Majeste Gesetz sollte längst abgeschafft sein
Mit einer Verurteilung nach Artikel 112, dem Gesetz gegen Majestätsbeleidigung, steht Thanathorn aber nicht allein. Eine 64-jährige Steuerberaterin ist danach zu 43 einhalb Jahren Haft verurteilt worden, Menschenrechtler sind besorgt, dass das Lese Majeste zunehmend eingesetzt wird, um die Demonstranten einzuschüchtern. Schon vor der jetzigen Rekordstrafe waren Menschen für 25, 30 oder 35 Jahre ins Gefängnis geschickt worden, weil sie sich angeblich beleidigend gegenüber dem Königshaus geäußert hatten.
Rund 70 Teilnehmer oder Organisatoren der Demonstrationen müssen sich wegen dieses Gesetzes verantworten. Es sollte schon längst abgeschafft sein, fordern Aktivisten; es ist ein Relikt aus dem Römischen Reich und hat das Mittelalter überlebt, erklärt David Streckfuss.
"Der ursprüngliche Zweck war, dass der König oder der Monarch nicht in Rechtsstreitigkeiten verwickelt werden sollte, er hatte immer noch die Macht des Souveräns und sollte nicht abgelenkt werden von seiner Aufgabe, als souveräne Macht zu dienen. Im 19. Jahrhundert gab es einige Länder, in denen das Lese Majeste als Waffe eingesetzt wurde. Um die konstitutionelle Monarchie oder den konstitutionellen Monarchen zu verteidigen gab es beispielsweise in Deutschland in den 1880er- und 1890er-Jahren Tausende Anklagen wegen Majestätsbeleidigung."
Heutzutage wird es aber beispielsweise in Europa nur noch sehr selten eingesetzt und dann mit überaus niedrigen Strafen. Nicht so in Thailand. Es drohen zwischen drei und 15 Jahren Gefängnis, und zwar pro Vergehen – zwei Posts auf Facebook können also bis zu 30 Jahre Gefängnis bringen. Das UN-Menschenrechtsbüro forderte die thailändische Regierung darum im Dezember auf…
Unverhältnismäßige Strafen
"Das Lese Majeste zu novellieren und in Einklang mit dem Recht auf Meinungsfreiheit zu bringen nach Artikel 19 des internationalen Abkommens über bürgerliche und politische Rechte."
So Sprecherin Ravina Shamdasani. Bisher vergeblich. Vor zwei Wochen wurde einer der Anführer der Proteste, Penguin Parit Chiwarak vor Gericht geführt, und vor seiner Anhörung rief er: "Sie können mich einsperren, aber die Wahrheit können sie nicht einsperren. Die Wahrheit bleibt immer die Wahrheit, ob im Gefängnis, unter Folter oder vor der Hinrichtung."
Und damit hob er die Hand zum Dreifingergruß, dem populären Zeichen des Widerstands. Obwohl er noch nicht verurteilt ist, werden weder er noch andere Mitstreiter und Mitstreiterinnen in derselben Situation auf Kaution freigelassen. Die Gefängnisse sind voll – weshalb Thailand jetzt eine Erweiterung der Haftanstalten plant. Zu viele politische Gefangene sind im vergangenen Jahr im Laufe der Proteste hier gelandet. Der Justizminister sagte, sie wollten einen größeren Bereich suchen, der mehr Menschen aufnehmen könne – zur Bequemlichkeit aller. Das klingt wie Hohn.
Währenddessen gehen weiterhin Zehntausende auf die Straße, protestieren gegen die Regierung, gegen die Monarchie und für ihre Freunde:
Dass all unsere Freunde verhaftet wurden, ist unfair, sagt diese Studentin in Bangkok. Ich will dagegen aufstehen und der Regierung sagen: Egal, wie viele von uns ihr einsperrt, wir – und viele andere Menschen – werden weiterkämpfen.