Thankmar Freiherr von Münchhausen: "72 Tage. Die Pariser Kommune 1871 - die erste 'Diktatur des Proletariats'"
DVA Deutsche Verlagsanstalt, München 2015
528 Seiten, 24,99 Euro
Auch als ebook erhältlich
Die erste proletarische Experiment
Nach der Niederlage im deutsch-französischen Krieg 1870/71 brach in Paris ein Aufstand aus, aus dem die Pariser Kommune hervorging, ein revolutionärer Stadtrat. Von dieser "ersten Diktatur des Proletariats" erzählt Thankmar Freiherr von Münchhausen - farbig, detailreich und solide.
Ausgehend von einem Streit um die spanische Thronfolge, der rasch eskalierte, erklärte Frankreich am 19. Juli 1870 Preußen den Krieg. Es dauerte nur wenige Wochen, dann waren die französischen Truppen bei Sedan geschlagen und Kaiser Napoleon ein Gefangener des preußischen Königs.
Revolutionär gesinnte Nationalgardisten stahlen Hunderte Kanonen
Die verbündeten deutschen Armeen standen vor Paris, waren aber nicht stark genug, um gleichzeitig die Stadt zu erobern, das besetzte Gebiet zu sichern und die noch immer beträchtlichen französischen Streitkräfte endgültig zu besiegen.
Es kam zu einem Waffenstillstand, am 18. Januar 1871 wurde der preußische König zum deutschen Kaiser ausgerufen und Ende Februar in Versailles, wohin sich die französische Regierung zurückgezogen hatte, ein Vorfriedensvertrag geschlossen.
Gemäß dem Waffenstillstandsabkommen wurden die französischen Soldaten entwaffnet, nicht jedoch die Angehörigen der Nationalgarde. Unter ihnen waren viele revolutionär gesinnte Männer, die, spätestens seitdem sie im Februar aus den Beständen der Armee mehrere Hundert Kanonen gestohlen hatten, auch gut bewaffnet waren.
Kanonenstreit löste den Aufstand aus
Die Kanonen sollten als "Artillerie des Volkes" vor den Deutschen in Sicherheit gebracht werden, nachdem die kurz zuvor gewählte neue republikanische Regierung nicht gewillt war, den Kampf gegen das soeben gegründete Deutsche Reich fortzusetzen.
Die Auseinandersetzungen um die Kanonen wurden zum Auslöser des revolutionären Aufstandes, der als Pariser Kommune in die Geschichte eingegangen ist. 72 Tage lang, vom 18. März bis zum 28. Mai 1871, beherrschte ein revolutionärer Stadtrat Paris, dem eine ganze Reihe von Mitgliedern des Zentralkomitees der Nationalgarde, aber auch Anhänger der sozialistischen Internationalen Arbeiter-Assoziation angehörten.
Stadtrat für sozialgerechtes Gemeinwesen in Paris
Die stärkste Fraktion stellten die Parteigänger des Revolutionärs Blanqui, der als junger Mann schon an der Julirevolution von 1830 teilgenommen hatte. Sie alle einte das Ziel, die errungene revolutionäre Autonomie notfalls auch mit Waffengewalt gegen die französische Regierung zu verteidigen. In der kurzen Zeit ihrer Existenz versuchte die "Kommune" mit Hilfe zahlreicher Maßnahmen ein demokratisches und sozial gerechtes Gemeinwesen zu schaffen.
Die Pariser Kommune konnte sich kaum zweieinhalb Monate an der Macht halten, bevor sie von den Soldaten der französischen Republik besiegt wurde. Die Vergeltung der Eroberer überstieg jedes Maß. Während etwa 900 Soldaten umkamen, wurden zwischen 20.000 und 30.000 Kommunarden getötet und mehr als 10.000 zu Haftstrafen oder Verbannung verurteilt.
Die Wirkungsgeschichte bleibt weitgehend ausgespart
Für Friedrich Engels und Karl Marx, die führenden Theoretiker der Internationalen Arbeiterassoziation, war die Pariser Kommune die Geburtsstunde der Diktatur des Proletariats. Und August Bebel erklärte im Mai 1871 im Deutschen Reichstag, dass der Schlachtruf von Paris "Krieg den Palästen, Friede den Hütten" künftig der Schlachtruf des gesamten europäischen Proletariats sein werde.
Thankmar von Münchhausen, der viele Jahre lang als Auslandskorrespondent in Paris gelebt hat, liefert eine farbige und detailreiche Erzählung, die solide gearbeitet ist, der aber gelegentlich eine gewisse Straffung gut getan hätte. Der bedeutenden Wirkungsgeschichte der Pariser Kommune, auf die auch der Untertitel des Buches verweist, widmet der Autor leider nur ein kurzes Nachwort.