"The Crazy Never Die"

Von Tom Noga |
Hunter S. Thompson war einer der bedeutendsten Chronisten der 60er-Jahre und neben Tom Wolfe der wichtigste Vertreter des New Journalism, eines Journalismus, der die Grenzen von Realität und Fiktion auslotet.
Ausgezeichnet mit dem Deutschen Radiopreis 2012

Diese "Lange Nacht" erhielt den Deutschen Radiopreis 2012 in der Kategorie "Beste Sendung".

Aus der Begründung der Grimme-Jury:

"2005 erschießt sich Hunter Stockton Thompson, eine amerikanische Legende des neuen Journalismus. Aus seinem Leben, seiner Zeit und ihrem Zeit-Geist wird hier Radio-Magie pur, mit allen Klangmitteln dieser Welt. Fast drei Stunden spannender Entschleunigung und kreativer Transfusionen - in einem Schnitt quer durch die Schichten der Popkultur von zwei Jahrzehnten, die bis heute im Hören, Sehen, Fühlen und Empfinden maßgeblich sind. Ein bester Beweis dafür, was und wie Radio auch sein kann: eine ganz eigene Kultur."


Seinen Stil bezeichnete Hunter als Gonzo, nach einem amerikanisch-irischen Slangausdruck für den letzten Mann, der nach einem Saufgelage noch stehen kann. Gonzo ist streng subjektiv, Realität und Fiktion vermischen sich, der Autor wird Teil der Handlung, treibt sie sogar voran.

Hintergrund war der Gedanke, dass sich mit dem Aufkommen der Jugendkultur in den 60er-Jahren zahlreiche Phänomene nur von innen beschreiben ließen. So schrieb Hunter ein Buch über die Hells Angels, nachdem er ein Jahr lang mit ihnen herumgereist war.

Sein Hauptwerk war "Angst und Schrecken in Las Vegas", erschienen 1971. Darin ist die Wirklichkeit nur noch eine Folie, auf der sich eine abstruse, weitgehend fiktive Drogenstory abspielt - ein wirrer und irrer Abgesang auf die 60er-Jahre und die Idee eines offenen, jungen und gestaltbaren Landes.

Mit "Angst und Schrecken in Las Vegas" avancierte Hunter S. Thompson zur Ikone der Gegenkultur. Er schrieb, streng subjektiv versteht sich, über amerikanische Wahlkämpfe, goss Hohn und Spott über Fitness-Fanatiker und ließ sich in Kolumnen zu allem aus, was ihm gerade so in den Sinn kam - bis zum letzten Atemzug ein unbequemer Geist, exzentrisch, rebellisch, widersprüchlich.

Hunter S. Thompson (Wikipedia)

www.gonzo.org



.... Auch der radikalste Vertreter des "New Journalism", Hunter S. Thompson - erklärtes Vorbild der "Tempo"-Redaktion - kreierte seine eigene Marke: "Gonzo-Journalismus". Gonzo bedeutet im Italienischen soviel wie Einfaltspinsel und passt gut zu Thompsons Humor. Der selbsterklärte "Dr Gonzo" war ein unberechenbarer Draufgänger, der Waffen, Alkohol-Exzesse und grobe Scherze liebte. Helge Timmerberg schrieb über Thompson 1988 voller Respekt in Tempo: "Ein 'Gonzo-Journalist' ist jemand, der es zu mühsam findet, in einer durch und durch verrückten Welt so zu tun, als sei der Reporter der einzig Normale weit und breit." Thompson selbst erklärte sein Schreiben zu einer Methode, bei der sich der Autor so tief wie möglich in das Geschehen verwickeln lässt und sich so zum Teil - wenn nicht gar komplett - zum Zentrum der Geschichte macht. Beim "Rolling Stone Magazine" - wo Thompson in den 1970er-Jahren große Reportagen schrieb, war man sich sicher, dass viele Ereignisse ohne den Star-Reporter sogar niemals stattgefunden hätten. Der Autor war das Ereignis.
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Auszug aus dem Manuskript

" Johnny Depp: Wenige Minuten nachdem ich von Hunters Entscheidung erfahren hatte, seinem Leben ein Ende zu machen, rief ich Laila an, in dem lächerlichen Versuch, dem Geschehen so etwas wie Sinn abzutrotzen, was natürlich unmöglich war. "
Der Schauspieler Johnny Depp. In der Verfilmung von Hunter S Thompsons Bestseller "Angst & Schrecken in Las Vegas" aus dem Jahr 1998 spielte er die Hauptrolle: Raoul Duke, ein Alter Ego des Autors.

Laila ist die Produzentin des Films, Laila Nabulsi, eine enge Freundin von Hunter und seine ehemalige Geliebte.

" Johnny Depp: Wir weinten und trösteten uns gegenseitig, so gut es unter diesen schrecklichen Umständen halt ging. Plötzlich überkam uns eine Erkenntnis, als ob der Doktor selbst uns aus unserer trüben Stimmung reißen wollte. Im gleichen Moment platzte es aus uns heraus: "WAS MACHEN WIR NUN MIT DER KANONE" "Mein Gott... das Monument..." Wir waren beide ziemlich gut mit Hunters Erwartungen vertraut, und sie waren alles andere als klein. "Nix Mickriges!", lautete die gängige Anweisung unseres verstorbenen Freundes. Am nächsten Morgen fingen wir mit den Zeichnungen und dem Design an, der Bau des Monstrums erfolgte in den Wochen darauf. Er hatte gewünscht, dass seine Asche aus einem 150 Fuß hohen Monument mit einer Kanone darin in den Himmel über seiner geliebten Owl Farm geschossen wird.

Einfach? Keineswegs. Man riet mir, nicht allzu große Hoffnungen darin zu setzen, dass sich dieser Wunsch erfüllt. Nicht nur unmöglich, das ist verrückt, hieß es. Wir arbeiten weiter hart daran. Bei Recherchen fand ich heraus, dass die Freiheitsstatue 151 FUSS HOCH IST! Scheiße... dagegen würde Hunters Monument eben doch "mickrig" wirken. Unsere Stimmung änderte sich schlagartig. Details waren ihm wichtig, und mit diesem Details mussten wir uns befassen - und zwar pronto. Wir beschlossen, den Einsatz zu erhöhen: Das Design wurde geändert, das Monument sollte 153 Fuß hoch werden. Warum? Weil Hunter im Tod wie im Leben über den Amerikanischen Traum hinaus gehen sollte. Wenn für dein Auto ein Reifendruck von 2,3 vorgeschrieben ist, pflegte er die Reifen zur Sicherheit auf 6,0 Bar aufzupumpen. Sicherheit wovor? Das wusste nur er selbst. So war Hunter. "



Sold out
The Curse of Lono

Ralph Steadman, Hunter S. Thompson
Hardcover, Schuber,
Lono is back: Hunter S. Thompsons Kultbuch in einer neuen, limitierten Ausgabe



Hunter S. Thompson
Angst und Schrecken in Las Vegas
Eine wilde Reise in das Herz des Amerikanischen Traumes. Aus d. Amerikan. v. Tanja Schwaner .
2005 Heyne

Angst und Schrecken in der Schreibmaschine



Auszug aus dem Manuskript

"Angst und Schrecken in Las Vegas", Hunters Hauptwerk, ist die Geschichte von Raoul Duke und seinem Anwalt, Dr. Gonzo. Duke ist Reporter, für ein Sportblatt soll er in der Spielerstadt über das Mint 400 berichten, ein Motocrossrennen.

Doch die Beiden haben ihre eigene Agenda: Sie suchen den amerikanischen Traum - oder das, was Ende der 60er/Anfang der 70er, nach einem wilden Jahrzehnt also, in dem alles möglich schien, noch davon übrig ist. In Las Vegas geraten Auftrag und Plan in den Hintergrund, Raoul Duke und Dr. Gonzo versinken im Drogensumpf.

"The story in the end is not just about two guys taking a lot of drugs in Las Vegas", sagt David Felton. Der Musikjournalist hat in den 1970er Jahren mit Hunter S Thompson zusammengearbeitet.
"It is really one of the best descriptions of the end of the hippie movement, of a generation that had some many things going their way and finally failed in so many ways to bring about that spiritual and cultural change that we perhaps were all dreaming about. So it is a poignant epitaph to that movement."
"In dem Buch geht es nicht nur um zwei Typen, die sich in Las Vegas jede Menge Drogen rein pfeifen. Es beschreibt das Ende Hippie-Bewegung, einer Generation, die es nicht geschafft hat, die Veränderungen durchzusetzen, von denen wir vielleicht alle geträumt haben. Es ist der bittere Abgesang auf die Hippies."

"Angst & Schrecken in Las Vegas" erscheint 1971, zunächst als zweiteilige Serie in der Musikzeitschrift "Rolling Stone", 1972 dann in Buchform. Es ist Hunters S Thompsons drittes Buch, das zweite, das bis zu diesem Zeitpunkt veröffentlicht wurde. In den Feuilletons wird es verrissen, aber innerhalb der Jugendkultur erreicht es Kultstatus. Mit "Angst & Schrecken in Las Vegas" begründet Thompson die Pop-Literatur und etabliert sich selbst als Popstar unter den Schriftstellern.




Hunter S. Thompson
Der Fluch des Lono
Roman.
Heyne
Endlich! Hunter S. Thompsons legendäres Meisterwerk jetzt in deutscher Sprache
Hunter S. Thompson erhält den Auftrag, über den Honolulu-Marathon zu berichten: für ihn in erster Linie ein bezahlter Urlaub. Doch wie immer bei Thompson entwickelt sich die Reise zu einem durchgeknallten Trip, in den neben dem Marathon-Wahnsinn auch Surfer, Orkane, ein Riesen-Marlin und natürlich der hawaiianische Gott Lono irgendwie verwickelt sind. Der König des Gonzo-Journalismus beweist einmal mehr seine Meisterschaft: ein halluzinogenes Vergnügen.


Auszug aus dem Manuskript

"Renn um dein Leben, Sportsfreund, denn das ist alles, was dir bleibt. Die selben Leute, die in den 60er Jahren ihren Wehrpass verbrannten und in den 70er die Orientierung verloren, stehen nun auf Rennen. Als die Politik versagte und private Probleme sich als unlösbar erwiesen, nachdem McGovern untergegangen und Nixon direkt vor unseren Augen explodiert war... nachdem sich die Nation en masse der atavistischen Weisheit Ronald Reagans anvertraut hatte... ist endlich die Zeit gekommen, wo sich zeigt, wer Zähne hat und wer nicht... Was vielleicht das seltsame Spektakel zweier Generationen von politischen Aktivisten und sozialen Anarchisten erklären mag, die sich - zwei Jahrzehnte später - in Läufer verwandeln."

Noch zweimal kehrt Hunter S Thompson nach Hawaii zurück. Daraus entsteht "Lonos Fluch", sein letztes Buch im Gonzo-Stil.

"Lonos Fluch" hat seine starken Momente, ist insgesamt aber nur ein schwacher Aufguss einer einstmals neuen Art zu schreiben. Was sich bei Hunters Reportage über das Kentucky Derby frisch und unerwartet las und in den Büchern über Las Vegas und den Wahlkampf 1972 den Geist der Zeit spiegelte, klingt nun hohl und verkrampft. Kein Thema, kein Plot, keine Idee.

In den nächsten Jahren schreibt Hunter S Thompson Kolumnen für Tageszeitungen, über Sport, Politik, sein Leben in Woody Creek - was ihm halt durch den Kopf geht. Er arbeitet an der Veröffentlichung von "The Rum Diary", seinem ersten Roman, geschrieben 1962 in Puerto Rico. Und an der Verfilmung von "Angst & Schrecken in Las Vegas".

Die Hauptrolle, Raoul Duke, wird Johnny Depp spielen. Wie Hunter S Thompson stammt er aus Kentucky. Und er ist ähnlich exaltiert.

Johnny Depp: "Für Hunter war ich der Colonel. Ich nahm CDs für ihn auf, die wir dann im Auto hörten, wenn wir herum fuhren. "Spirit in the sky", "Mr. Tambourine Man", "Sympathy for the devil", "White Rabbit" - solche Sachen. Er liebte es. Wir fuhren herum, und er sang lauthals mit.

("Spirit in the sky" von Norman Greenbaum)

"When I die and they lay me to rest
Gonna go to the place that's the best
When I lay me down to die
Goin' up to the spirit in the sky
Goin' up to the spirit in the sky
That's where I'm gonna go when I die
When I die and they lay me to rest ..."


Johnny Depp: "Hunter erschien nur einmal am Dreh. Ich hielt ihn mehrmals täglich auf dem Laufenden, erklärte, was wir machten oder fragte nach, wenn ich wegen irgend etwas unsicher war. Dann kam der Moment, in dem die Bettdecke weggezogen wurde, wie man bei uns in Kentucky sagt - der Moment der Wahrheit. Sie flogen den Film nach Aspen, damit Hunter ihn sich ansehen konnte. Ich zitterte vor Angst, weil ich glaubte, er würde mich, nachdem er meine Darstellung gesehen hatte, ein Leben lang hassen. Nachdem er den Film gesehen hatte, rief ich ihn an. Ich sagte: "Okay, hasst Du mich nun?" "Scheiße nein, antwortete er, "der Film ist wie eine schaurige Trompete, die nach einem verlorenen Kampf über dem Schlachtfeld erklingt." Das waren seine Worte. Und ich dachte: Okay, dann haben wir etwas Reelles geschaffen."

Der Film floppt. Er spielt mit gut zehn Millionen Dollar nur die Hälfe der Produktionskosten ein und fällt bei der Kritik durch. Aber er ist die ideale Umsetzung des Buchs: verrückt, voller loser Handlungsstränge, immer wieder ins Groteske kippend. Und damit aus der Zeit gefallen.

("Mama told me not to come") von Three Dog Night
"The decision to flee came suddenly. Or maybe not. Maybe I planned it all along, subconsciously waiting for the right moment. The bill was a factor I think, because I had no money to pay for it. Our room service tabs were running anywhere between 29 and 236 dollars per hours. Incredible. How could it happen? But by the time I asked this question there was no one around to answer it. That rotten attorney of mine, Dr. Gonzo, was gone. - for 48 consecutive hours. He must have sensed trouble."
(Musik beginnt)


Johnny Depp: "Der Entschluss abzuhauen kam plötzlich. Oder vielleicht nicht. Vielleicht hatte ich es die ganze Zeit geplant - und nur unbewusst auf den richtigen Moment gewartet. Ein Grund war die Rechnung, glaube ich. Denn ich hatte kein Geld, sie zu bezahlen. Unser Zimmerservice lag irgendwo zwischen 29 und 36 Dollar pro Stunde - für 48 Stunden hintereinander. Wie konnte das passieren? Als ich diese Frage stellte, war niemand da, der mir hätte antworten können. Das Miststück von Anwalt war weg. Er muss geahnt haben, dass es Ärger gibt."


Bis zu Hunter S Thompsons Tod erscheinen noch acht Anthologien. Sie enthalten seine Artikel, seine umfangreiche Korrespondenz und seine Kolumnen.

Und er schreibt "Königreich der Angst", eine Art Autobiografie, die so sprunghaft und unzusammenhängend ist, wie sein ganzes Leben. Das Titelbild der amerikanischen Ausgabe zeigt einen füllig gewordenen Mann vor einem Schild mit der Aufschrift "no smoking" - rauchen verboten: Zigarette im Mundwinkel, Whiskyglas in der linken Hand, den Zeigefinger der rechten ausgestreckt.

Seine letzten Jahre verbringt Hunter S Thompson als kranker Mann. Nach einer Hüftoperation nahezu bewegungsunfähig, mit Kreislauf- und Herzproblemen. Am 20. Februar 2005 schießt er sich auf der Owl Farm in Woody Creek, Colorado, eine Kugel in den Kopf. In seinem Abschiedsbrief schreibt er:

Hunter: "Keine Spiele mehr, und keine Bomben. 67, das sind 17 Jahre nach 50. 17 mehr, als ich brauchte oder wollte. Entspann dich - es wird nicht weh tun."




Hunter S. Thompson
Königreich der Angst
Aus dem Leben des letzten amerikanischen Rebellen.
2006 Heyne
In seinen endlich auch auf Deutsch vorliegenden Memoiren lässt Hunter S. Thompson noch einmal sein turbulentes Leben Revue passieren. Von seinen Anfängen als aufsässiger Jugendlicher in Louisville über unzählige Exzesse bis hin zu seinen legendären politischen Aktivitäten ist Königreich der Angst nicht zuletzt eine gnadenlose Abrechnung mit der gegenwärtigen amerikanischen Administration.



"Königreich der Angst" ist das letzte Buch Hunter S. Thompson. Es liest sich wie eine Abrechnung - weniger mit seinem eigenen Leben als mit dem Land, das er inbrünstig liebte. Und - wie das enttäuschte Liebe so mit sich bringt - mindestens genauso intensiv hasste. Im wirklichen Leben hat der US-Schriftsteller das Handtuch geworfen. Das Buch strotzt noch einmal vor Wut und bitterem Humor.
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