"The Dissident" (2020) von Bryan Fogel ist jetzt auf allen gängigen Streamingplattformen erhältlich, darunter Amazon und iTunes sowie Kino on Demand und dem Bezahlsender Sky.
Doku-Thriller über die Ermordung Khashoggis
08:49 Minuten
Als über den Tod des saudischen Journalisten Jamal Khashoggi berichtet wurde, habe er rasch begonnen zu sondieren, erzählt Bryan Fogel: Ob er den Fall filmisch umsetzen kann. "Ich sah einen Thriller", erinnert sich der US-Dokumentarfilmer.
Der Fall beschäftigte im Herbst 2018 weltweit Politik und Medien – und dann auch den US-amerikanischen Regisseur Bryan Fogel: Jamal Khashoggi war ein bekannter saudischer Journalist der "Washington Post". Nachdem er das Konsulat Saudi-Arabiens in Istanbul aufgesucht hatte, wurde er vermisst. Zuletzt sah man ihn dort hineingehen, um Papiere für seine Hochzeit abzuholen. Von 13 Uhr bis 1 Uhr nachts wartete seine Verlobte Hatice Cengiz auf ihn - vergeblich. Jamal Khashoggi war tot.
Einsatz für ein offeneres Saudi-Arabien
Im Dokumentarfilm "The Dissident" geht Bryan Fogel, der 2017 für "Ikarus" den Oscar erhielt, der Ermordung des Journalisten nach, der sich für eine gerechtere und offenere Gesellschaft in seinem Heimatland Saudi-Arabien einsetzte. Er zeigt Interviews mit Menschen aus seiner unmittelbaren Umgebung, darunter seine Verlobte, türkische Polizeibeamte und der junge saudische Dissident Omar Abdulaziz, mit dem Khashoggi zusammenarbeitete.
Susanne Burg: Jamal Khashoggi war lange Zeit ein Reformer innerhalb des saudischen Regimes. Er war kein Revolutionär. Damit beginnen Sie auch den Film. Sie haben aber beschlossen, den Film "The Dissident" zu nennen. Warum?
Bryan Fogel: Für mich geht es bei dem Titel nicht nur um Jamal Khashoggi, sondern auch um Omar Abdulaziz und alle diejenigen, die für Menschenrechte in Saudi-Arabien kämpfen. Omar hat sich selbst immer als Dissidenten betrachtet, aber auch bei Khashoggi gibt es einen Punkt im Film, an dem er in seinen Zeitungstexten und Social-Media-Posts Stellung bezieht.
Er hätte das vielleicht Journalismus genannt, aber seine Aussagen wichen deutlich von den Standpunkten des Kronprinzen und Saudi-Arabiens ab. Es besteht eine gewisse Ironie darin, dass er sich selbst nicht als Dissidenten bezeichnet hat, aber aus der historischen Distanz werden wir ihn so sehen. Und das ist nicht schlecht.
"Ich sah einen Thriller"
Burg: Im Oktober 2018, nach dem Tod von Khashoggi, begann die Berichterstattung, auch über die verschiedenen Versionen seiner Todesursache. Wann haben Sie beschlossen, tiefer zu graben und einen Dokumentarfilm zu machen?
Fogel: Sehr, sehr schnell. Ich hatte nach einem neuen Projekt gesucht nach "Ikarus", meinem Film über Doping im Radsport, der dreieinhalb Jahre meines Lebens in Anspruch genommen hatte. Ich verfolgte im Oktober 2018 zwei Wochen lang die Berichterstattung über Jamal Khashoggis Tod, und der Fall erfüllte alle Kriterien, die ich als Filmemacher und Geschichtenerzähler interessant finde.
Die drei bis vier Monate danach waren für mich ein Sondierungsprozess. Ich habe recherchiert, ob ich Zugang zum Thema und zu den Menschen bekomme, um die Geschichte so zu erzählen, wie es mir vorschwebte. Ich sah einen Thriller und die Frage war, ob ich den Film auch so erzählen könnte.
"Vertrauen zu schaffen, dauert lang"
Burg: Sie haben den Zugang schließlich bekommen, haben es geschafft, mit Omar Abdulaziz Kontakt aufzunehmen, einem Dissidenten, der in Montréal in Kanada wohnt. Sie haben sich auch mit einem ägyptischen Freund von Khashoggi getroffen, mit Ayman Nour. Wie haben Sie es geschafft, diese Kontakte herzustellen und Vertrauen aufzubauen, sodass die Menschen bereit waren, sich mit Ihnen zu treffen?
Fogel: Vertrauen zu schaffen, dauert lang. Das ist wie in jeder menschlichen Beziehung. Ich habe Kontakt zu Hatice Cengiz aufgenommen, Khashoggis Verlobter. Sie hatte natürlich eine besonders schwere Last zu tragen und war erst nicht bereit zu reden.
Nach ein paar Wochen hat sie dann gesagt: 'Wenn du bereit bist, nach Istanbul zu kommen, dann können wir uns treffen und reden.' Ich bin hingeflogen, ohne Kamera. Ich habe fünf Wochen dort verbracht. Wir haben über Jamals Leben diskutiert, über das Filmprojekt, wie wir zusammen arbeiten können – und einige Monate später war sie bereit mitzumachen, und wir haben angefangen.
Bei Omar Abdulaziz war es ähnlich. Er stand im Auge des medialen Orkans nach Jamals Tod, und er trauerte. Aber er hat mich nach Montréal eingeladen, wir haben gesprochen und wir haben beschlossen, zu filmen. Ich habe Omar Kameras dagelassen und sechs Monate später hat er mir die Aufnahmen gegeben.
Auch mit der türkischen Regierung hat es ein Jahr gedauert, Vertrauen aufzubauen. Es gab ungefähr 50 oder 60 Treffen. Ich habe sieben Monate in Istanbul verbracht. Es hat also alles lange gedauert, aber dieses Vertrauen war die Grundlage für den Film.
"Das Transkript war für mich das Hitchcock-Element"
Burg: Die türkische Polizei hat Sie schließlich mit einer Abschrift der Aufnahmen versorgt von dem Tag, an dem Jamal Khashoggi ins saudi-arabische Konsulat in Istanbul gegangen ist. Was war Ihre Reaktion, als Sie das Transkript bekamen und lasen?
Fogel: Ja, ich habe diese Abschrift ein Jahr später bekommen. Die Abschrift hat bislang niemand sonst erhalten, außer den Geheimdiensten. Keine BBC, kein CNN. Auch das war ein langer Prozess.
Burg: Und als Sie die Abschrift gelesen haben, wie zentral war das, um ein Bild davon zu bekommen, was passiert ist?
Fogel: Das Transkript spielt eine wichtige Rolle im Film. Wir haben sechs Monate damit verbracht, diese ganzen Szenen in Form zu bringen. Es war sehr aufwendig, mit der Computer-Animation und der Montage, dem Sound und allem. Das war eine Entscheidung, denn das Transkript war für mich das Hitchcock-Element in der Geschichte. Ich war der Meinung, man muss nicht Jamal hören, aber wir wollten zum Leben erwecken, was da im Konsulat passiert ist, hoffentlich sehr nachfühlbar mit Sound, Licht und Motion Graphics und all den Techniken, die wichtig waren.
Ignoranz von G20 und UNO
Burg: Wie Sie im Film zeigen, sind 15 hochrangige saudi-arabische Delegierte nach Istanbul gereist, kurz bevor Khashoggi ins Konsulat gegangen ist. Darunter auch Saud al-Qatani, der frühere Vertraute von Kronprinz Mohammed bin Salman. Die Delegierten kamen alle aus der Entourage von bin Salman, aber der Kronprinz behauptete hinterher, nichts von dem Mord gewusst zu haben, und kam davon.
In dem Jahr nach dem Mord: Was hätten die EU, die USA, die UNO anders machen können, im Kampf um Aufklärung und Gerechtigkeit für Jamal Khashoggi?
Fogel: Was wir bei allen G20-Staaten und der UNO gesehen haben, ist ein mangelndes Interesse daran, Sanktionen gegen Saudi-Arabien zu verhängen oder irgendwelche sinnvollen Maßnahmen gegen das Land und den Kronprinzen zu ergreifen. Joe Biden hat nach seinem Amtsantritt einen US-Geheimdienstbericht veröffentlicht, der ganz klar sagte, dass bin Salman Strippenzieher der Ermordung war. Auch daraus folgten keine Konsequenzen.
Die Botschaft, die nicht nur die USA gesandt haben, sondern auch die vielen anderen Länder der G20 oder der EU und auch die vielen Finanzeinrichtungen, die Geschäfte mit Saudi-Arabien machen, oder die Streamingplattformen, ist, dass niemand Interesse daran hat, die Attentäter zu bestrafen oder Sanktionen zu verhängen.
Die Geschäftsinteressen sind einfach zu groß. Saudi-Arabien ist der größte Waffenimporteur der Welt. Und es sind die USA, Frankreich, Großbritannien und Deutschland, die diese Waffen an Saudi-Arabien verkaufen. Das ist die Realität, wenn es um sinnvolle Bestrafung geht.
Burg: Sie unterstützen Hatice Cengiz in ihrem Kampf um Gerechtigkeit. Gab es bislang Reaktionen aus Saudi-Arabien?
Fogel: Es gab keine Drohungen, und ich hoffe sehr stark, dass es dabei bleibt. Mir geht es gut.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.