"Trumps Destruktivität beruht auf Dummheit"
The National gelten als eine der wichtigsten Band der Gegenwart. Jetzt veröffentlichen die Amerikaner ihr Album "Sleep Well Beast" und fangen den Geist einer Nation im Umbruch ein. Marcel Anders hat mit Sänger Matt Berninger gesprochen.
"Amerikas Städte verändern sich ständig. Einfach, weil sie jung sind – wie Teenager. Insofern ist ihre Entwicklung viel deutlicher als bei den alten europäischen Zentren. In den 20 Jahren, die ich in New York gelebt habe, fühlte es sich so an, als wären es drei verschiedene Städte gewesen – und jetzt ist sie wieder anders. Was auch für mich gilt: Ich bin definitiv nicht mehr derselbe wie vor zehn Jahren."
Matt Berninger liebt es, über Veränderungen und Wandel zu philosophieren – gesellschaftlich, politisch, sozial. Das Steckenpferd des gelernten Grafikers, der lyrische Dreh- und Angelpunkt des neuen Albums und der Ansatz, der The National berühmt gemacht hat. Der sie aus dem Vorprogramm von R.E.M. in die Welt der Platinalben, Grammys und Arenen katapultierte und für ein Leben in Paris, Kopenhagen und Los Angeles sorgte - aber auch für gesteigertes künstlerisches Sendungsbewusstsein.
"Bei uns ist es nicht so, dass sich ein Song um dieses Thema dreht und ein weiterer um jenes, sondern sie handeln alle von Angst oder Liebe - oder Angst, eine Liebe zu verlieren. Genau wie von Höflichkeit und dem Mangel daran. Was auch heißt, dass da der ganze politische Kram einfließt. Denn der steckt in jedem von uns. Und ich kenne keinen Künstler, der das nicht aufgreift."
Den Zeitgeist reflektieren – dieser Aufgabe stellen sich The National mit einem ruhigen, sphärischen Breitwand-Sound, der von Klavier und Streichern lebt, auch mal in College Rock oder Electronica vorstößt und an Radiohead, Nine Inch Nails oder Roxy Music erinnert. Dabei bevorzugt die Band das getragene Midtempo, aus dem sie nur selten ausbricht. Und in den fragmentarischen Texten geht es um Entfremdung, Orientierungslosigkeit, Ohnmacht – und deren Überwindung.
Momentan erkennt man das wahre Amerika
"Wir sind in einer Phase, in der uns Trump eine Art Röntgenbild von Amerika vor die Nase hält – auf dem man den Krebs erkennt, der sich da gebildet hat. Den Rassismus, den Sexismus, die Gier, die Bosheit, den Schmerz und das Leid der Menschen, die von der Wirtschaft fallengelassen wurden. Denn wenn so viele so wenig vom allgemeinen Reichtum besitzen, ist das eine Schande. Und momentan erkennt man das wahre Amerika. Was einen positiven Effekt haben wird. Die Leute lassen bestimmt nicht zu, dass es noch einmal so weit kommt. Das hoffe ich."
Eigentlich ist Matt Berninger ein introvertierter Familienvater, Mitte 40. Doch wenn er sich in Rage redet, lässt er keinen Stein auf dem anderen. Dann kritisiert er die ferngesteuerten US-Medien, die Propaganda der Regierung, die Naivität seiner Mitbürger und hofft auf einen heilenden Nebeneffekt von Trumps Zerstörungswut. Deswegen, so Berninger, dürfe der Präsident nicht gestürzt werden. Er müsse vielmehr so viel Schaden anrichten, dass das alte, überlebte System bis auf die Grundmauern zerstört wird. Erst dann kann Neues entstehen.
"Trumps Destruktivität beruht nicht auf Rache, sondern auf Hilflosigkeit und Dummheit. Deshalb waren wir kurz davor, unser Album "Destruction" zu nennen. Im Sinne von Wiedergeburt und Wiederaufbau. Denn die USA, die wir zu verstehen glaubten, wurden zerstört. Und das ist etwas Positives. Der Mythos unserer Geschichte, der Mythos wie unser Land funktioniert und der Mythos des Kapitalismus wurde enttarnt."
Kunst bringt Licht ins Dunkel
Ein heilsame Selbstzerstörung, an deren Ende die uramerikanischen Werte umso heller strahlen. Damit korrespondiert auch das Artwork des neuen Albums - ein dunkles Haus im Dämmerlicht, in dem ein einziger Raum erleuchtet ist. Nämlich der, in dem The National arbeiten. Eine Metapher dafür, dass Kunst Licht ins Dunkel bringt. Und auch der Albumtitel hat Tiefe: "Sleep Well Beast" sind die Worte, mit denen Berninger seine kleine Tochter ins Bett bringt - und eine Warnung vor dem, was da heranwächst.
"Für mich ist das Biest die Jugend – zu der auch meine Tochter zählt. Diese Generation wird wenig erbaut über das sein, was wir ihr hinterlassen. Sie wird fragen: ´Wie konnte das passieren?´ Und es wird schwer, das zu erklären."
Ein Moment, vor dem sich Berninger fürchtet – und der ihn bereits zu neuen Stücken inspiriere. Bis sich an der politischen Situation in den USA tatsächlich etwas ändert, bleiben ihm nur die Flucht ins Private, ins kathartische Schreiben oder in milde Narkotika:
"Ein bisschen Marihuana und ein Glas Wein sorgen definitiv dafür, mich aus einem mentalen Tief zu befreien. In dem Sinne, dass sie meinen Geist stimulieren. Deshalb praktiziere ich das vor Live-Auftritten und beim Songwriting. Auch schon vor Donald Trump. Nur: Seit seiner Wahl musste ich die Dosis erhöhen, denn es ist eine dunkle Zeit für Amerika. Keine Frage."