The Notwist

"Alien Disko" bringt Unruhe nach München

Die deutsche Elektro-Rock-Trip-Hop Band "The Notwist" um die Brüder Markus und Michael Acher auf dem Rocken am Brocken Festival in Elend im Oberharz.
Markus Acher von der Band The Notwist auf dem Festival Rocken am Brocken © imago/Christian Grube
Von Andi Hörmann |
Junge innovative Bands haben es in München schwer. Nur wenige Veranstalter trauen sich, Konzerte und Tourneen zu organisieren. Mit dem Festival "Alien Disko" wollen die Band The Notwist und die Münchner Kammerspiele das Konzertgeschehen beleben.
"Ich bin der Markus, spiele Gitarre bei Notwist und, äh…"
Krude und kantig - sozusagen im Track-Format, die eigene Vorstellung. Markus, wer?
"Markus, Markus Acher. Genau."
Immer etwas zaudernd und doch von ganz eigenem Zauber. Das ist die Stimme hinter den großen Kompositionen der bayerischen Band The Notwist. Sie steht für das Experiment im Popformat: Genres werden nicht bedient, sie werden geschichtet.
"Wenn man eine Notwist-Platte hört, dann erkennt man das nach zehn, fünfzehn Sekunden spätestens. Es hat eine sehr, sehr eigene Handschrift", sagt Christoph Gurk.
Als ehemaliger Chefredakteur des Musikmagazins "SPEX" hat Gurk The Notwist schon etliche Male ziseliert und in Zeilen gefasst. Nun sind sie gemeinsam Teil des Kuratoren-Teams für das Festival "Alien Disko" an den Münchner Kammerspielen. Dort kümmert sich Christoph Gurk seit der Intendanz von Mathias Lilienthal um freie Theatergruppen und Musikveranstaltungen. Am 2. und 3. Dezember übernehmen The Notwist alle drei Spielräume des Theaters. Zwei Mal tausend Tickets stehen im Vorverkauf, eingeladen sind ein gutes Dutzend Musiker und Bands aus aller Welt - entdeckt beim Klicken durchs Internet, beim Durchstöbern von Plattenkisten, auf Konzertreise. Wie etwa das Duo Tenniscoats aus Japan mit ihren kindlich verzärtelten Folksongs.
"Da wir alle große Musikfans sind und ständig neue Platten kaufen und hören und neue Bands entdecken und uns total begeistern und da halt gucken und sehen: Berlin, Köln, Hamburg, aber kein München", sagt Markus von The Notwist.
Tour-Stopp München: Pusteblume. Endstation Sehnsucht. Seelenverwandte im Spirit, im Sound, im Suchen nach dem richtigen im falschen Leben.
Aus London kommen Jam Money: Auch sie nehmen die Geschwindigkeit aus der Zeit und verschachteln akustische Räume, machen Origami mit Klängen. Eine Heimat bietet diesen Musikern das Indie-Label von The Notwist: Alien Transistor.

Pop und Avantgarde aus den entlegensten Winkeln der Welt

"Eine Art Verstärker oder Empfänger für komische, ungewöhnliche, außergewöhnliche, fremde, seltsame Sounds oder Ideen oder Musik", meint Markus.
Nun also die "Alien Disko", im Theater des Jahres 2014, in den renommierten Münchner Kammerspielen: Pop und Avantgarde aus den entlegensten Winkeln der Welt auf den Brettern, die die Welt bedeuten. Sozusagen Musik-Musik als Theater-Theater: Die Klangsuche steht über der Perfektion, die Gesetzmäßigkeiten von präzisem Kunstwerk lösen sich auf in musikalische Aura.
"Ich finde, dass ein Theater - aber auch jede Art von Kultur - ohne Risiken anfängt, nur noch zu einer Formel zu erstarren", meint Christoph Gurk.
The Notwist haben ein Festival-Programm zusammengestellt, das nicht nur die Einflusslinien ihrer eigenen Musik zeigt, sondern auch ein Plädoyer für das Wagnis an sich ist, für Mut zum Experiment. Für kleine Konzertveranstalter in der bayerischen Landeshauptstadt bedeutet das ein finanzielles Risiko. Die Münchner Kammerspiele machen es möglich: Ein subventioniertes Stadttheater mit einem weltoffenen, experimentierfreudigen Intendanten. Matthias Lilienthal steht dafür gerade von vielen Seiten unter Beschuss: Zu wenig Schauspiel-Kunst, zu viel Performance-Kultur.
"Wir bringen sicherlich ein bisschen Unruhe in die Stadt München rein und in die Kulturlandschaft", meint Christoph Gurk. "Das ist jetzt auch nicht immer angenehm und muss man aushalten."

Ein Theater, das Grenzen niederreißt

Die Münchner Kammerspiele, ein zeitgemäßes Theater, das Grenzen niederreißt. Mit dem Festival "Alien Disko" spiegelt sich der neue Kurs der Kammerspiele ganz wundervoll auch auf popkultureller Ebene. The Notwist haben ein Programm der avantgardistischen Extraklasse zusammengestellt. Es könnte auch der Soundtrack zur Debatte über die Politik von Matthias Liliental und seinem Schauspielhaus sein: Pretiöse Perfektion war gestern, heute sind wir viele und wir sind fehlbar. Das klingt auch in der Musikauswahl der "Alien Disko" durch, mit der The Notwist der Bevölkerung den Spiegel vorhält.
"Alle reaktionären, patriotischen, konservativen Trends, die sind uns natürlich zutiefst zuwider", sagt Markus von The Notwist. "In der Kunst, die wir machen oder unterstützen, da soll das auch drin stecken: Eine Offenheit und ein Wille zum Grenzensprengen. Und eben sich nicht einengen lassen."
Hinter dem Konzept "Alien" steckt alles, womit sich die oftmals als bieder und brav verschriene Stadt München auseinandersetzten muss: Das Fremde und das Befremdliche. Die "Alien Disko" ist damit auch eine politische Veranstaltung. Und das Highlight ist tatsächlich ein Auftritt des legendären Sun Ra Arkestra, unter der Leitung von Marshall Allen. Ja, Sun Ra! Der kosmische Komponist, der Inbegriff einer grenzenlosen Kunst.
"Das Tolle an Sun Ra ist, dass er mit beiden Beinen auf der Erde, aber mit dem Kopf im Kosmos steckt", findet Markus.
Der Geist von Sun Ra, er wird in den ehrwürdigen Hallen der Kammerspiele erklingen. The Notwist beschwören ihn in München und münzen Sun Ras Afrofuturismus auf die jüngsten Wahlen in Amerika um:
"Wir wollen Donald Trump und Konsortien ins Weltall schießen."

Das Sun Ra Arkestra unter der Leitung von Marshall Allen spielt am Freitag, 2. Dezember 2016, als Headliner auf dem Festival "Alien Disko" in den Münchner Kammerspielen. Am 3. Dezember 2016 geben sich dann die Gastgeber The Notwist die Ehre. Neben Einzeltickets zu 39 Euro gibt es auch einen Festivalpass für 69 Euro.

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