Krach und Kitsch eines Popromantikers
Wenn Kanye West anruft und man sein Angebot zur Zusammenarbeit ablehnt, ist man entweder verrückt oder heißt Archy Ivan Marshall. Marshall kommt aus London, ist 23 Jahre und sagt, er könne eben nicht auf Befehl komponieren. Als King Krule aber hat er ein neues Album draußen.
"Jazz ist für mich wie Punk. Ich schätze daran besonders die Aggressivität."
Als Schüler ist Archie Ivan Marshall ein "troublemaker", einer der reihenweise aus den Schulen Südostlondons fliegt. "Woher dieser Zorn?", fragen sich seine Eltern, ein Künstlerpaar, und führen Klein-Archie an die Musik heran. Dort kanalisiert er seine Wut und schärft den Blick für das Abgehalfterte, für die Verlierer im reichen London, für die Nachtschattengewächse der Amüsierviertel. Die Stadt hat einen neuen Straßenpoeten.
"Man trifft auf sehr viele schräge Vögel in London. Da war zum Beispiel dieses Skater-Kid David von der South Bank - einer der talentiertesten Saxophonspieler, die ich kannte. Er ist leider gestorben. Was ich damit sagen will: Ich kann gar nicht anders, als über die Stadt und ihre Typen schreiben, weil dort all die Dinge passieren, die ich erlebe."
Mit 19 das Debüt als King Krule
Mit 15 veröffentlicht Marshall sein erstes Album, mit 19 das Debüt als King Krule. Bald werden Vergleiche mit Tom Waits, Nick Cave oder Joe Strummer von The Clash angestellt. Die kehlige Crooner-Stimme, die Charles-Bukowski-Themen, das alles von diesem jungen rothaarigen Bleichgesicht. Die Musik klingt dabei so vertraut wie ein Cool-Jazz-Klassiker von Chet Baker, aber auch so futuristisch wie aus dem Labor für angesagte Clubsounds. Mit dem Vater, der auch auf dem neuen Album zu hören ist, teilt King Krule die Liebe zu Schmalztollen und Post-Punk.
"Die Psychobillies der Rockgeschichte haben mich immer fasziniert. Alan Vega von Suicide ist wie Gott für mich. Ruhe in Frieden! Die Cramps finde ich fantastisch, sie haben mich sehr beinflusst. Ich würde sagen, dass Post-Punk am besten beschreibt, was ich mache."
Das zweite King-Krule-Album "The Ooz" folgt erneut dem dunklen Pfad in die Nacht. Doch dieses Mal erkundet King Krule nicht nur den Organismus der Großstadt, sondern auch seinen eigenen. Das Wort "The Ooz" hat er sich ausgedacht. Es kommt von "oozing", was soviel bedeutet wie "aussickern".
"Die Musik quillt aus mir heraus"
"Es geht um all die körperlichen Vorgänge, über die du keine Kontrolle hast. Haare sprießen aus deinem Kopf, im Hals bildet sich Schleim, deine Nägel wachsen, du musst pissen, scheißen und rotzen. Du kannst gar nicht anders. Was du aber sehr wohl kannst, ist dich diesen Auswüchsen stellen. Du schneidest dir die Haare, die Fingernägel und so weiter. Genau so ist es mit meiner Musik. Sie quillt aus mir heraus und ich kann ihr nur noch eine Form geben."
King Krule ordnet das Chaos aus Dub, Jazz, Rockabilly, Spoken Poetry und Hip Hop in 16 Songs. Er verzahnt sie so miteinander, dass daraus ein dampfender, mal hellwacher, mal unendlicher müder Organismus entsteht.
Mit "The Ooz" ist ihm das Kunststück gelungen, ein rabenschwarzes Album zu schaffen, das einen doch sofort ein Flugticket nach London lösen lassen möchte. All der Zorn, die zerbrochene Liebe, die kaputten Gestalten und die unappetitlichen Körpersäfte können nicht darüber hinwegtäuschen, dass King Krule ein großer Romantiker des zeitgenössischen Pop ist.