The Punch Brothers: "All Ashore"

Bissiger Kommentar auf unsere Zeit

The Punch Brothers bei einem Konzert in Louisville, Kentucky
Chris Thile (zweiter von rechts) mit den Punch Brothers bei einem Konzert in Louisville, Kentucky © dpa / picture alliance / Amy Harris
Von Juliane Reil · 25.07.2018
Musik kann Auskunft geben über unsere Ängste, Zweifel und Hoffnungen. Das neue Album der US-Band The Punch Brothers ist ein solches Stimmungsbild der westlichen Gesellschaft. Sänger Chris Thile vermisst unter anderem Empathie bei Politikern.
"Wie vielen meiner amerikanischen Landsleute blutet auch mir das Herz, wenn ich an die mexikanischen Familien denke, die an unserer Grenze getrennt wurden."
… meint Chris Thile, der beim Interview geschockt ist von den Ereignissen des Tages. Der Musiker ist selbst Vater eines zweijährigen Sohnes.
"Was für ein Verbrechen haben sie begangen? Ein besseres Leben für ihre Kinder zu wollen? Wo ist die Empathie dafür in unserer politischen Führung?"

Klassische Besetzung einer Bluegrass-Band

Zu neu sind diese Unmenschlichkeiten des amerikanischen Präsidenten, da war das Album schon fertiggestellt. Aber das politische Klima in den USA bestimmt trotzdem die Platte.
In seiner Heimat ist Thile mit seiner Band Punch Brothers ziemlich bekannt, während er hierzulande eher ein Geheimtipp ist. Das mag auch an den für eine Rockband ungewöhnlichen Instrumenten liegen. Thile selbst an der Mandoline zu hören, seine Bandkollegen an Bass, Banjo, Geige und Gitarre. Das ist die klassische Besetzung einer Bluegrass-Band – und damit uramerikanisch.
"Musikalische Stile sind für mich wie ein Art Dialekt oder Akzent einer Sprache, in der man bestimmte Dinge diskutiert. Amerikanische Akustikmusik und die Bluegrass-Band sind mein musikalischer Akzent – mein Streichquartett oder Symphonieorchester. Es ist die Struktur, die ich und meine Bandkollegen am besten verstehen."

Leichtigkeit und Galgenhumor

Die neun Songs auf dem neuen Album "All Ashore" nehmen ganz unterschiedliche Erzählperspektiven ein. In poetischen Texten singt Chris Thile einmal aus der Sicht eines Kindes, das seine vom Alltag überlasteten Eltern beobachtet. Ein anderes Mal schlüpft er in die Rolle eines privilegierten Mittelstandsbürgers, der sich Zeit für seinen Garten wünscht, aber nicht mal den angestellten Gärtner kennt. Nur ein Charakter taucht immer wieder auf – diplomatisch ungeschickt und machthungrig geht er sogar über Leichen.
Text und Musik sind ein bissiger Kommentar auf die Zeit. Schwierige Themen präsentieren die fünf Musiker stellenweise mit unverschämt swingender Leichtigkeit, was den Galgenhumor der Band beweist. Was auf Songlänge vergnügt beginnt, rutscht durch unvermittelte harmonische Wechsel manchmal auch in eine melancholisch-düstere Stimmung ab. Die Songs fügen sich nicht in das berechenbare Strophe-Refrain-Schema ein: Sie entwickeln sich rhapsodisch. Plötzliche Wechsel zu "krummen" Metren wie im Progressive Rock drücken Haltlosigkeit aus.

Bei Bach geborgt

Nichts scheint verbindlich. Das gilt auch für den Sound: Versatzstücke aus vielen verschiedenen musikalischen Welten tauchen auf, deren Konturen verschwimmen: Eingängige Rockriffs, Soli wie im Jazz, während der Gesang eher folkig erscheint: mal melodiös, dann wieder eine Art Sprechgesang. Dabei ist die Singstimme genauso wichtig wie die anderen Instrumente. Geborgt ist dieses Prinzip von Bach.
Chris Thile: "In seiner Musik kommen verschiedene Stimmen zusammen, ohne das eine unbedingt wichtiger als die anderen ist. Das ist eine Demokratie, die auch für die unsere Lebensweise heute relevant ist. Das Leben eines Mannes, einer Frau und eines Kindes aus Südamerika zum Beispiel sind nicht weniger wichtig als das Leben des Präsidenten der Vereinigten Staaten."
Der Albumtitel " All Ashore" – alles an Land – steht für den Wunsch, irgendwo irgendwann unversehrt ankommen zu wollen. Dass das in politisch instabilen Zeiten wie diesen kein Selbstgänger ist, reflektieren die Punch Brothers mit. Ihr Album ist das von Suchenden. Damit treffen sie den Zeitgeist ziemlich genau.
Mehr zum Thema