Hier stehen Autorinnen in der ersten Reihe
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Schriftstellerinnen werden immer noch weniger gewürdigt als männliche Autoren. Allison Devers will das ändern: Vor einem Jahr hat sie in London ihren Buchladen "The Second Shelf" eröffnet, in dem sie nur Werke von Frauen verkauft.
Zwei Dutzend Frauen sind gekommen, um den ersten Geburtstag von The Second Shelf zu feiern. Mehr hätten kaum Platz gefunden in dem kleinen Laden, der sich in einem Hinterhof vor dem Trubel des Londoner Innenstadtviertels Soho versteckt. Der Laden mag winzig sein, der Raum, den die Inhaberin Allison Devers hier für Frauen in der Literatur geschaffen hat, ist groß.
Die Autorin Nell Stevens liest aus einem ihrer Stücke vor: "To feel that touch is as important to the lover as sight and sound. To realise, it is not just the words on the paper that matter, but the paper itself."
Bibliophiler Schatz: eine Erstausgabe von Virginia Woolf
Nicht nur die Worte auf dem Papier sind bedeutsam, sondern auch das Papier selbst. Das will Allison Devers in ihrer Buchhandlung vermitteln. "Ich möchte zeigen, dass Werke von Schriftstellerinnen es genauso wert sind, gesammelt zu werden, wie die von Männern", sagt die 43-Jährige. Zum Beispiel eine Erstedition von Virginia Woolfs Debütroman "The Voyage Out":
"Das ist im Moment mein teuerstes Buch, 12.500 Pfund. Der Name ihrer Schwester steht im Einband. Ich musste es restaurieren lassen, weil es anfing auseinanderzufallen."
Neben signierten Erstausgaben aus der jüngeren Geschichte und ein paar Neuerscheinungen stehen Klassiker in den Regalen: Bücher von Jane Austen und den Schwestern Brontë, George Eliot, George Sand, Mary Shelley und Elizabeth Barrett Browning. George Eliot und George Sand sind männliche Pseudonyme, die sich zwei Frauen im 19. Jahrhundert geben mussten, um überhaupt von Männern gelesen und ernst genommen zu werden. Auch heute noch lesen Männer überwiegend keine Bücher von Frauen, erklärt Devers.
Literatur von Frauen ist vielerorts Bückware
Der Name ihres Ladens, The Second Shelf, spielt darauf an: Er geht auf einen Essay der amerikanischen Schriftstellerin Meg Wolitzer von 2012 zurück. Darin kritisiert Wolitzer, dass Buchläden Romane von Autorinnen als zweitrangig kategorisieren, unter dem Stichwort "Frauenliteratur" ins untere Regal verbannen. Wie aussagekräftig eine Kategorie sein kann, die so viele Autorinnen und ihre Geschichten umfasst, das ist ein Problem, dem sich auch Allison Devers stellen muss.
"Genauso wie sich nicht alle Frauen ähnlich sind, unterscheidet sich auch, worüber und wie wir schreiben" sagt Devers. "Gleichzeitig eint uns der Kampf um eine bessere Platzierung im Bücherregal. Das bringt uns hier im Laden zusammen." Aber führt ein Buchladen ausschließlich für Frauenliteratur nicht gerade weiter dazu, dass sie als etwas anderes – ein Nischenthema – angesehen wird? "In einer heilen Welt würden Frauen und Männer gleichbehandelt, und wir bräuchten keinen Laden speziell für Frauenliteratur", erwidert Devers. "Aber so ist es nun mal nicht."
Rezensionen, Ehrungen, Erlöse - überall liegen Männer vorn
Bücher von Frauen kosten im Schnitt 45 Prozent weniger als die von Männern. Das fanden Wissenschaftler vom Queens College in New York heraus, als sie die Preise von Neuerscheinungen in den USA von 2002 bis 2012 untersuchten. In Literaturzeitschriften und Feuilletons überwiegen Beiträge männlicher Rezensenten. Und obwohl Frauen inzwischen häufiger Buchpreise gewinnen als noch vor ein paar Jahren, werden sie immer noch seltener ausgezeichnet als Männer. Das hat später wiederum Einfluss auf den Wert einer Erstausgabe. Ein gefährlicher Kreislauf, sagt Devers:
"Wenn wir in unserer kapitalistischen Gesellschaft von Wert sprechen, meinen wir damit leider meistens den Wert in Dollar und Pfund. Diese Preisunterschiede signalisieren: Die Werke von Frauen sind wertlos."
Auch deshalb ist es Devers ein Anliegen, über die materielle Wertschätzung hinaus den Literaturkanon zu verändern. In einem Second-Hand-Laden fand sie etwa das Debüt von Miriam Tlali, der ersten schwarzen Schriftstellerin in Südafrika, die einen Roman veröffentlichte. Im Apartheid-Regime war er zunächst verboten und ist in Südafrika inzwischen vergriffen.
Vergriffene Bücher werden neu aufgelegt
"Ich war fasziniert von diesem Buch und wollte wissen, warum ich ihren Namen nicht kannte, obwohl sie es erst 1974 geschrieben hatte. Niemand hat nach ihr gesucht", sagt Devers. Sie kaufte alle Erstausgaben, die sie finden konnte: Einige wurden ihr von Bibliotheken wieder abgekauft, eine sogar von Harvard. "Hoffentlich heißt das, dass ihr Buch irgendwann wieder aufgelegt wird", sagt Devers, "vielleicht auch, weil ich auf ihr Werk aufmerksam gemacht habe."
Mit ihrer Arbeit ist Allison Devers in London in bester Gesellschaft: "The Second Shelf" ist längst nicht der einzige feministische Buchladen hier. "Persephone" legt vergriffene Werke von Frauen neu auf. "Pages" vertreibt Bücher von Autorinnen und Menschen mit nichtbinärer Identität. Nächstes Jahr soll das Pop-up "The Black Feminist Bookshop" eine feste Anschrift bekommen. Ist also seit Meg Wolitzers Essay 2012 etwas in Bewegung geraten?
"MeToo ist passiert", sagt Devers, "gleichzeitig ist mit Trump in den USA jemand im Amt, der Frauen misshandelt. Hier ist Boris Johnson schrecklich unfreundlich zu Frauen. Frauenrechte werden eingeschränkt. Und obwohl wir uns mehr Gehör verschaffen, ist die Negativität spürbar. Mein Laden ist ein positiver Ort, an dem wir die Anstrengungen von Frauen würdigen. Mehr und mehr Frauen wie Männern ist das ein Bedürfnis. Ich glaube, deswegen hatten wir ein gutes erstes Jahr."