Thea Dorn über Salman Rushdie
Man könne nicht auf jeden Rücksicht nehmen, der sich beleidigt fühle, sagt Thea Dorn über aktuelle Identitätsdebatten. Schon vor Jahren habe Salman Rushdie vor Zensur in einer freien Gesellschaft gewarnt. © imago / Panama Pictures / Christoph Hardt
Warnungen vor Wokeness
08:39 Minuten
Erstmals bespricht das „Literarische Quartett“ im ZDF Salman Rushdies „Satanische Verse“. Gastgeberin Thea Dorn sagt, das 1988 erschienene Buch spiele mit Dogmen und passe zu heutigen Identitätsdebatten. Von diesen zeigt sie sich alarmiert.
Zwei Wochen nach der Messerattacke auf den britisch-indischen Schriftsteller Salman Rushdie spricht die ZDF-Sendung „Das Literarische Quartett“ über dessen Roman „Die satanischen Verse“.
Es ist das erste Mal, seit das Buch 1988 erschien. Im Jahr darauf rief Irans oberster Geistlicher Ayatollah Chomeini mit einer Fatwa zur Tötung Rushdies auf – mit der Begründung, das Buch richte sich gegen den Islam und den Propheten. Seinerzeit hatte es die ZDF-Literatursendung - damals noch unter der Leitung von Marcel Reich-Ranicki - bei einem kurzen Statement belassen.
Den Ayatollahs sei es gelungen, "dass wir dieses Buch völlig falsch wahrnehmen", sagt "Quartett"-Gastgeberin und Autorin Thea Dorn. Das habe sie neben dem "entsetzlichen Attentat" auf Rushdie "am meisten schockiert".
Tatsächlich erzähle der Roman über Menschen, die ihre Heimat verlassen, über "hybride Identitäten". Er spiele mit Wirklichkeit und Dogmen.
Rushdie war der Zeit 30 Jahre voraus
Hier sieht Dorn einen deutlichen Bezug zu aktuellen Debatten über Identität und die so genannte Wokeness: "Das war seiner Zeit 30 Jahre voraus, das passt so in unsere Gegenwart."
Rushdie, der sich immer für die Meinungsfreiheit eingesetzt hat, habe auch in einer Rede 2012 deutlich gemacht, "dass eine freie Gesellschaft in sehr bedenkliche Gewässer kommt, wenn sie für Zensur Verständnis entwickelt".
Wenn Rücksicht zum Verstummen führt
Vor zwei Jahren hat Rushdie einen offenen Brief unterzeichnet: Dieser warnte davor, dass die Meinungsfreiheit nicht nur von Rechtpopulisten bedroht werde, sondern auch von einem linken, "identitätspolitischen Fundamentalismus".
"Wenn wir einmal dabei sind, dass wir auf jeden, der irgendwie anmeldet, er fühle sich beleidigt, Rücksicht nehmen wollen, verstummen wir", so Dorn. "Wir können letztlich auch nicht mehr reden." Sie beobachtet seit einer Weile auch einen "unglaublichen Sprachkrampf".
"Interessierte Gruppen versuchen dafür zu sorgen, dass bestimmte Bücher nicht mehr vorkommen, dass bestimmte Bücher für umstritten oder kontrovers gelten, ohne sich ernsthaft auseinanderzusetzen. Wir attackieren die Fantasie und gleichzeitig gibt es einen neuen Jargon, der Begriffe ausschließt, Begriffe tabuisiert, neue Begriffe, die sehr sperrig sind, erfindet."
Diese Art und Weise, wie wir uns der Welt nähern, alarmiere sie, betont Dorn. Sie selbst sei "vom Glauben abgefallen", als sie die "Verlautbarungen" des Ravensburger Verlags zu den "Winnetou"-Büchern gelesen habe.
Ravensburger hatte nach Rassismus-Vorwürfen zwei "Winnetou"-Kinderbücher aus dem Programm genommen. Das darin enthaltene romantisierende Bild sei "angesichts der geschichtlichen Wirklichkeit und der Unterdrückung der indigenen Bevölkerung" nicht akzeptabel, so der Verlag.
"Winnetou" als ein Märchen
Die Bücher gingen an der Wirklichkeit vorbei, unterstreicht Dorn, "Winnetou" habe immer ein "romantisierendes Bild des Wilden Westens, der Prärie mit vielen Klischees" vermittelt. "Mit romantisierenden Stereotypen arbeitet das Märchen fast immer."
Auch wenn andere Menschen es als verletzend empfinden, müssten Menschen angesichts der schlimmen Weltlage sich "woanders hinträumen" können: "Lass den Leuten bitte ihre Fantasie!"
(bth)
In der ZDF-Sendung "Das literarische Quartett" sprechen Thea Dorn, Vea Kaiser, Deniz Yücel und Adam Soboczynski über Salman Rushdies "Satanische Verse". Sendetermin ist der heutige Freitag, 26. August, um 23:45 Uhr. Das Video dazu steht bereits in der ZDF-Mediathek.