Eine große Liebesgeschichte
Ludger Engels hat "Brokeback Mountain" nach Annie Proulx in Aachen inszeniert. Es ist die erste Inszenierung der Oper über die schwulen Cowboys nach der Uraufführung in Madrid - das Publikum reagierte enthusiastisch auf die Leistung des Ensembles.
Der Berg ist immer da. Auch wenn die verliebten Cowboys Ennis und Jack ein bürgerliches Leben mit Frau, Kind und Haus versuchen, liegt der Brokeback Mountain im Dachgeschoss. Ein kleines Massiv, aber unvergessen. Denn von ihrer großen Liebe können die Männer nicht lassen. In der deutschen Erstaufführung der Oper "Brokeback Mountain" am Theater Aachen setzt Regisseur Ludger Engels auf symbolische Bilder und schauspielerische Direktheit.
Das passt perfekt zur komplexen, aber genau am Text arbeitenden Musik des 78-jährigen amerikanischen Komponisten Charles Wuorinen. Er hat vor allem Dialoge komponiert, kaum große Arien, die Sätze klingen natürlich. "Brokeback Mountain" ist keine der süffigen, post-puccinesken Literaturopern, die gerade häufig aus den USA kommen. Wuorinen ist ein Erbe der Avantgarde und der Zwölftontechnik. Aber er setzt sie erzählerisch ein, ohne große Hörhürden zu errichten. Schon im Vorspiel gelingt es ihm, mit reibungsvollen Bassklängen eine Ahnung der gewaltigen Bergwelt zu erzeugen, die über das Menschenmaß hinaus geht. Kazem Adbullah und das ausgezeichnete Sinfonieorchester Aachen erspüren Präzision und Sinnlichkeit dieser Musik.
Spiegelbilder erotischer Klischees
Bei der Uraufführung zu Beginn des Jahres in Madrid gab es anscheinend eine große Angst vor zu viel Sentimentalität. Die Geschichte spielte in einem weißen Raum mit Videoprojektionen. In Aachen hat Christin Vahl nun eine Drehbühne vor einer hohen Wellblechmauer entworfen, Bilder, die an amerikanische Farmen und Kleinstädte erinnern. Der Berg - Sinnbild der die Grenzen sprengenden Liebe - hat hier kaum Platz. Ein Gogogirl und ein Rodeoboy stolzieren zwischen den Szenen umher, Spiegelbilder erotischer Klischees, die an diesem Abend sonst keinen Platz haben. Denn Ennis und Jack sind zwei normale Männer, Underdogs, die sich mit harter Arbeit durchs Leben kämpfen. Und die sich eben lieben.
Ludger Engels idealisiert diese Liebe nicht. Er zeigt, wie die Familien und vor allem die Kinder leiden, die viel öfter im Bild sind als es das Libretto von Annie Proulx vorschreibt. Sie spielen, schauen zu, verstehen nicht, was passiert. Der Tenor Mark Omvlee als Jack und der Bassbariton Christian Tschelebiew als Mark singen und spielen das Liebespaar absolut glaubwürdig, mit versteckter Frustration, Momenten der Leidenschaft, Wut, Hoffnung, wilden Selbstzweifeln. Das Stück erzählt ihre Geschichte über 20 Jahre hinweg, von 1963 bis 1983, in einer Zeit als schwule Liebe in den USA erst noch verboten und später immer noch gesellschaftlich geächtet war. Zumindest im ländlichen Wyoming.
Doch Ludger Engels macht daraus kein Pamphlet zur Schwulenbefreiung. Das ist heute nicht mehr nötig, zumindest nicht in Deutschland. "Brokeback Mountain" ist eine bewegende Liebesgeschichte über ein Paar, das nicht zueinander kommt. Weil nicht nur gesellschaftliche Zwänge, sondern auch eigene Traumata im Weg stehen. Das Publikum reagierte enthusiastisch auf die geschlossene Leistung des wunderbaren Aachener Ensembles. Diese Aufführung ist ein weiterer Beweis für die große Kraft eines mittleren Musiktheaters, das über die Premiere hinaus interessante Spielplanbezüge herstellt. Denn in Aachen läuft gerade mit riesigem Erfolg Leonard Bernsteins "West Side Story", zu der es viele inhaltliche Bezüge gibt. Und manchmal glaubt man sogar, im Orchester kurze Tonfolgen aus dem Song "Somewhere" zu hören.