Jüdische Geschichte an authentischen Orten
Das Theater Altenburg erzählt mit "Cohn Bucky Levy – Der Verlust" die Geschichte jüdischer Familien, die seit Ende des 19. Jahrhunderts in der Stadt lebten - auf historischen Schauplätzen. Schauspieler aus dem Ensemble und aus Tel Aviv gehen auf Spurensuche auch heutiger Erfahrungen von Ausgrenzung.
Ioachim Zarcuela: "Onkel Gerhard, ich versteh’s nicht: Das hier ist doch unser zu Hause!"
Shair Kabaha: "Zu Pessach und Weihnachten komme ich zu Besuch. Aber hierbleiben? Pah!"
Ioachim Zarcuela: "Ich würde vor Heimweh eingehen!"
Öykü Oktay: "Du bist wirklich ein Mama-Kind!"
Ioachim Zarcuela: "Na, das sagt genau die Richtige!"
Shair Kabaha: "Zu Pessach und Weihnachten komme ich zu Besuch. Aber hierbleiben? Pah!"
Ioachim Zarcuela: "Ich würde vor Heimweh eingehen!"
Öykü Oktay: "Du bist wirklich ein Mama-Kind!"
Ioachim Zarcuela: "Na, das sagt genau die Richtige!"
Theaterprobe in Altenburg im Osten Thüringens. Eine Gruppe Schauspieler erarbeitet für das Stück "Cohn Bucky Levy – Der Verlust" eine Familienszene, die um 1930 genau hier in Altenburg, genau in diesem Haus, in dieser großbürgerlichen Wohnung spielt. Das Haus steht lange leer – und doch kann man die Grandezza vergangener Zeiten noch spüren – im Parkett, in den riesigen verglasten Flügeltüren zwischen den Salons, im Stuck an den hohen Decken. In diesen Räumen hat zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Familie Levy gewohnt – als Teil einer Familiendynastie der Familien Cohn, Bucky und Levy, die ab 1890 in Altenburg siedelte und mit großem Engagement und Erfolg das größte Kaufhaus am Platz betrieb. "Rastlos vorwärts" war der Werbespruch des Geschäfts. Und entsprechend hoch war der Horizont der Familie.
Öykü Oktay: "London!"
Meshi Elbar: "Ach – mieses Wetter!"
Meshi Elbar: "Also, wo waren wir?"
Öykü Oktay: "London!"
Meshi Elbar: "Ach – immer noch mieses Wetter!"
Öykü Oktay: "New York! Kapstadt!"
Ioachim Zarcuela: "Wo liegt Kapstadt?"
Öykü Oktay: "Amsterdam!"
Ioachim Zarcuela: "Amsterdam in den Niederlanden?"
Stimme: "Paris!"
Stimme: "Oder lieber gleich nach Santiago de Chile?"
Meshi Elbar: "Ach – mieses Wetter!"
Meshi Elbar: "Also, wo waren wir?"
Öykü Oktay: "London!"
Meshi Elbar: "Ach – immer noch mieses Wetter!"
Öykü Oktay: "New York! Kapstadt!"
Ioachim Zarcuela: "Wo liegt Kapstadt?"
Öykü Oktay: "Amsterdam!"
Ioachim Zarcuela: "Amsterdam in den Niederlanden?"
Stimme: "Paris!"
Stimme: "Oder lieber gleich nach Santiago de Chile?"
London? New York? Kapstadt? Wohin soll die Reise gehen? Die Frage ist 1930 noch eine touristische. Wenige Jahre später eine des Überlebens.
Meshi Elbar: "Spree-Athen! Besser schnell nach Paris oder nach London oder Zürich. Oder lieber gleich nach Santiago de Chile …"
Regisseur: Internationalität bei dem Stück zwingend erboten
Die Schauspieler sind – unter anderem – ein in Rumänien geborener Deutscher, zwei Palästinenser und zwei Juden aus Israel, eine Türkin. Für Schauspieldirektor und Regisseur Bernhard Stengele ist Internationalität ohnehin immer eine Selbstverständlichkeit – hier aber sei sie einfach zwingend geboten.
"Das erste ist: Ich wollte nicht ein Stück über jüdisches Leben machen, wenn nicht Juden beteiligt sind, Weil, ich habe einfach in mir niemals diese Art von Ausgrenzung erfahren. Aber ich glaube, auch in der dritten Generation weiß jeder Jude auf der Welt, was es bedeutet. Selbst wenn man assimiliert ist, gut aufgenommen ist, bleibt man doch immer ein Jude, ob man will oder nicht, ob man das selber so definieren würde oder nicht. Das ist der erste Grund gewesen.
Und der zweite war dann, dass, wenn wir Parallelen zur heutigen Zeit ziehen wollen, und das müssen wir, damit wir wach bleiben und nicht geschichtsvergessen sind, dann müssen wir auch über die aktuelle politische Situation in Israel reden. Und das ist eine ausgesprochen spannende Auseinandersetzung. Weil die palästinensischen Künstler sich in dem Schicksal der jüdischen Familien durchaus wiederfinden können."
Ganz wichtig ist Stengele dabei: Es geht in Altenburg bei "Cohn Bucky Levy" nicht um den Holocaust, sondern um Ausgrenzung und um Verlust. Darum, was es bedeutet, selbstverständlich in einer Gesellschaft zu leben und plötzlich abgesondert, ausgestoßen zu werden. Es geht um den Verlust von Heimat, aber in der Perspektive auch um den Verlust, den wir in Deutschland erlitten haben, als wir einen Teil unserer Mitbürger vertrieben und vergasten. Es geht um die Leerstellen in einer Stadt, in einem Land, in unserem Leben.
"OK, let’s go! Die Leute kommen rein, just do it, die Twins …"
Buchgrundlage basiert auf jahrelanger Recherche
Ein lokaler Autor, Christian Repkewitz, hat die Geschichte der Familien Cohn, Bucky und Levy in jahrelanger Arbeit recherchiert und ein Buch über sie geschrieben. Auf seinem Buch basiert das Stück. Er beschreibt den wirtschaftlichen Aufstieg der Familie, deren enormes soziales Engagement in Altenburg, die künstlerischen Aktivitäten, die Hauskonzerte. Aber er dokumentiert auch die massiven antisemitischen Angriffe der rechten Presse schon ab 1931. Er zeigt die immer stärkere Ausgrenzung, körperliche Gewalt und gnadenlose Ausplünderung der wohlhabenden Familie, die sechstägige Haft von Albert Levy im November 1938 im KZ Buchenwald, die das Familienoberhaupt psychisch zerbrach. Kfir Livne, ein 28-jähriger Schauspieler aus Jaffa, spielt in dem Stück Albert Levy.
"I must say that in Israel I´m used to speak about the Holocaust only one day in the year, on Memorial Day. And here we are discussing this for two months. And I have some moments – it’s so hard for me, you know!"
In Israel würde er nur einmal im Jahr, am Holocaust-Gedenktag, über den Völkermord an den Juden sprechen. Hier aber ginge es zwei Monate lang täglich darum. Albert Levys Ehefrau Franziska wird von Christiane Nothofer verkörpert. Ein Großonkel der Schauspielerin war ein großer Nazi.
"Der war Gauleiter und Stellvertretender HJ-Stabsführer. Das wird auch im Stück stattfinden. Und das war für mich zum Beispiel Wahnsinn, das meinen israelischen Kollegen zu erzählen."
Kfir Livne fiel es anfangs schwer, damit umzugehen.
"For me in the beginning it was really hard!"
"Das ist ja eigentlich was, was man nicht so gerne erzählt, wenn man so jemanden in der Verwandtschaft hat wie diesen Großonkel. Aber ich merke, dass es für mich etwas sehr Befreiendes hat, dass eine so lebendige Auseinandersetzung ist und ich nicht mehr so dieses Gefühl aus der Schule hab, so ein diffuses Schuldgefühl, dass aber gar nicht so sehr ans eigene Erleben angebunden ist. Und da habe ich das Gefühl, dass ich da jetzt eine Stufe weiter bin in der Auseinandersetzung, dass es mehr eine Verantwortung ist, die ich jetzt spüre, statt irgendeiner diffusen Schuld."
Drei Generationen tragen an Last der Geschichte
"I need to say that until today I had this perspective of the victim and the suffering that the Jews had, the Jewish people. And I understood that this burden that the Jewish people is carrying until today, I think this burden is something that the German people is carrying, too, in another, very different way – maybe guilt or … I felt many different things people here think about that, but for sure it is something that three generations later we all carry! We all define ourselves by this. We all think about the future considering that past. And for me it is a feeling that we are doing to create another future, give people this questions. And it’s very special to me."
Bislang habe er den Holocaust immer aus der Perspektive des jüdischen Leids und der Opfer gesehen, erzählt Kfir Livne. Hier aber habe er gesehen, dass auch die Deutschen eine Bürde mit sich herumtragen, eine Bürde der Schuld. Drei Generationen nach dem Holocaust trügen wir – auf der einen oder anderen Seite – an der Last der Geschichte. Daraus müssten wir gemeinsam lernen.
"Ich erhoffe mir, dass es den Zuschauern so ähnlich gehen wird, wie es mir ergangen ist. Also, die werden ja dann auch unter uns sein, die Zuschauer, wir haben zwei Hochzeiten, die die mitfeiern werden …"
Stimme: "Mosche …"
Stimme: "Mosche …"
Stimme: "… we Israel!"
Stimme: "… we Israel!"
Stimme: "Mosche …"
Stimme: "… we Israel!"
Stimme: "… we Israel!"
Bernhard Stengele: "OK, let’s do the whole thing again! And take your time for the beginning and all starting this situation …"
Authentischer Ort soll Geschichte näher bringen
Das Spiel in den historischen Räumen der Familie, am authentischen Ort, soll den Besuchern die Geschichte näher bringen, näher als üblich im Theater.
Marianne Hollenstein, die Bühnenbildnerin, sorgt für die Räume und für künstlerische Installationen. Sie führt in den großen Saal hinter dem Wohnhaus.
"So, das ist noch nicht geräumt, aber da ist dann unsere Bühne. Das ist der ganz große Saal; und das fängt dann an mit einer jüdischen Hochzeit hier drin. Wahrscheinlich werden wir die Stühle ringsum stellen und gar nicht unbedingt die Bühne gebrauchen, damit man auch tanzen kann."
Ioachim Zarcuela: "56"
Shair Kabaha: "56 …"
Shair Kabaha: "56 …"
Währenddessen übt Ioachim Zarcuela mit dem Palästinenser Shair Kabaha die deutsche Aussprache.
Ioachim Zarcuela: "56"
Shair Kabaha: "56 …"
Shair Kabaha: "56 …"
Und der Regisseur Bernhard Stengele bekommt langsam kalte Füße.
"Also, es gibt Momente, da bin ich so beglückt über das, was wir hier machen! Und dann gibt es Momente, wo ich denke: Boah, wir haben noch zwei Wochen! Die Kollegen aus Israel, die lernen Deutsch, und wir machen, und dann muss das Stück entstehen an diesen kuriosen Plätzen. Und es ist jetzt kalt, es ist immer kalt, der Frühling kommt nicht. Das heißt, ich kann an den Originalschauplätzen nicht anderthalb Stunden proben! Weil, dann sind wir durchgefroren und gehen wieder rein … Also, es ist eine sehr aufregende Zeit, dass muss ich sagen!"
Die Biografien der Altenburger Familien Cohn, Bucky, Levy endeten entweder in New York, Kapstadt, London, Buenos Aires – oder in Theresienstadt, Sobibór, Treblinka oder Auschwitz. Gut 20 ihrer Nachfahren werden zur Premiere des Theaterstücks über ihre Familiengeschichte nach Altenburg reisen.