Theater in der Provinz
Schlussakkord im Mondlicht: Beim Jahrmarkttheater von Bostelwiebeck sind alle Kulissen echt. © Deutschlandradio / Hilde Weeg
Dorfdämmerung auf der Freilichtbühne
05:28 Minuten
Das Jahrmarkttheater im winzigen Dorf Bostelwiebeck bei Lüneburg findet seine Themen vor der Haustür: Abwanderung, sterbende Höfe, neue Lebensentwürfe. 2021 gab es für diese Wiederbelebung des Volkstheaters den Theaterpreis des Bundes.
Etwas chaotisch geht es zu, wenn fünf Menschen spielen sollen, aber weder Text, noch Ort, noch Kostüme finden. Ein Fuchs, eine miese Intrigantin und andere Mächte haben ihren Anteil daran beim Spiel um das Verschwinden. Ein Pandemiestück, der Bedrohung der Theater in dieser Zeit gewidmet.
Ein altes Hofensemble lebt auf
Gespielt wird mit viel Fantasie, die ein altes Hofensemble zum Leben erweckt, in Bostelwiebeck: 46 Einwohnerinnen und Einwohner, viel plattes Land drumherum, eine halbe Stunde von Lüneburg entfernt. Das Publikum ist mittendrin, mal unterm Zeltdach an Biertischen, mal vor der Scheune, mal mit Sitzhockern und Kopfhörern im Dorf unterwegs.
Geformt werden die Stücke von Regisseur Thomas Matschoß und seiner Partnerin Anja Imig, Kostümbildnerin und Ausstatterin. Beide hatten bundesweit an vielen Bühnen gearbeitet, bevor sie bewusst diesen Ort ausgewählt haben, um eigene Vorstellungen umsetzen.
Budenzauber im Kuhstall
Doch woher kommt die Bezeichnung "Jahrmarkttheater"? "Unsere allererste Produktion war 2004, wo heute die Hafencity in Hamburg ist", erzählt Matschoß. "Da haben wir den 'Jahrmarkt des Abschieds' gemacht, daher stammt der Name. Ich finde ihn sehr passend, weil wir direkt sind, also nicht abgehoben."
Seit 14 Jahren spielen sie auf dem Hof: Eine großzügige Anlage, die bis 1880 zurückreicht. Gutshaus, Kuhstall, Scheune, Schweinestall, eine großzügige Wiese mit Bäumen ums Haus. Die Landwirtschaft war schon aufgegeben, bevor die beiden hierher gekommen sind, nur Hühner und eine Katze laufen herum. Der Kuhstall ist seit 10 Jahren Theatersaal.
"Wir nutzen die Atmosphäre dieses wunderschönen Hofes, den Mond, den Bodennebel, der in den Sommernächten über die Wiesen weht", sagt Anja Imig. "Wir nutzen einfach die Schönheit des Ortes und erzählen unsere Geschichten. Ich glaube das ist etwas, was wir ganz gut können."
Geschichten und Themen entstehen im Ort
Das bestätigt nicht nur das Publikum, sondern auch die Jury vom Theaterpreis des Bundes. Die Geschichten und Themen entstehen im Ort. Zum Thema „Erinnerungen“ wurde zum Plätzchenbacken auf den Hof geladen, die Gäste sollten Fotos mitbringen. Andere Themen: Wald, Demokratie oder das Fremde.
„Dorfgedanken“ heißt die Reihe, die für einen Teil des 75.000€-Preisgeldes weiter laufen soll. Auch am 3. September wird davon profitiert beim „Village Play“, einem Dorffest als Teil eines europäischen Projektes mit Ungarn und Spanien.
650 Kilo Melonen aus Ungarn
"Wir werden aus Ungarn 650 Kilo Melonen bekommen. Da kommt eine ungarische Melonenfamilie hierher, die da in Ungarn schon das Villageplay mitgestaltet haben."
Das Miteinander, flache Hierarchien, auf Augenhöhe sein, das ist ihnen wichtig: "Dass ich die Leute so anspreche, wie ich sie selber andere anspreche, freundlich", sagt Thomas Matschoß. "Publikum ist das Wichtigste im Theater. Der Moment der Begegnung – deswegen machen wir Theater."
"Viele waren vorher noch nie im Theater"
Das Theater ist Teil der Dorfgemeinschaft geworden, auch wenn ein paar auf Abstand bleiben. "Viele waren noch nie im Theater, bevor sie hierher kamen", erzählt Anja Imig. "Viele wissen gar nichts damit anzufangen, und die anderen kommen immer zu den Generalproben, freuen sich, lachen und sind mit uns."
"Viele sind auch stolz, dass wir von der Ministerin ausgezeichnet wurden", ergänzt Matschoß, "darauf sind wir hier viel angesprochen worden."
Rund 70 Menschen sind an diesem Abend gekommen, darunter auch Nachbarn, wie Heike mit ihren Töchtern Sina und Linn.
Alle drei sind begeistert: "Vorher war es tot. Der Hof, hier wohnte eine Person, und jetzt ist immer was los." Das Theater stifte einen Zusammenhalt und inspiriere, finden sie: "Es regt zum Nachdenken an, zeigt die aktuelle Situation in der Gesellschaft, in der Welt – es ist Theater für alle."
Freude am Miteinander
Das Repertoire ist breit, von „Durst“ bis zum Kindertheater „Das Neinhorn“. Gespielt wird ganzjährig, aber der Sommer ist für alle etwas Besonderes. Martin Greif und Kristina Brons spielen schon lange mit: "Das ist wahnsinnig familiär: Man sitzt zusammen, man spielt zusammen, man isst zusammen, lebt zusammen. Das ist einfach wunderschön", findet Greif.
"Was mir auch sehr viel Spaß macht: wenn man wirklich in die Menge rein kann und lustvolles Volkstheater machen kann", fügt er hinzu.
"Es ist auch viel Arbeit", sagt Brons, "aber man hat auch einen schönen Sommer hier."
Wie das Spiel ausgegangen ist? Gut: Es ist schließlich eine Komödie. Zum Schluss singen alle auf der Mauer, und dahinter versinkt die Sonne zwischen den Windkrafträdern.