Auf dem Oktoberfest der Gefühle
Die Liebe schwindet, wenn der Mann arbeitslos wird: In Ödön von Horváths Bühnenstück "Kasimir und Karoline" geht es um die Ökonomisierung der Gefühlswelt. An der Berliner Schaubühne überzeugen die Schauspieler - die Sätze, die sie sagen, aber bleiben seltsam blutleer.
In einem dunklen, grell ausgeleuchteten Raum, auf einem schmalen Podest, siedelt Regisseur und Bühnenbildner Jan Philipp Gloger Horváths Volksstück an, das auf dem Oktoberfest, mitten in der Wirtschaftskrise 1929, spielt. Von Volksfest- und Bierseligkeit erzählen auf der Bühne aber nur einige wenige Requisiten, etwa wenn die Schauspieler Eis, Gummischlangen oder Döner essen oder leergetrunkene Flaschen über den Boden kullern. Auch die Kostüme (Karin Jud) sind in strengem Schwarz gehalten und deuten das Milieu, aus dem die Figuren kommen, nur an: Die Frauen tragen enge Leggins, High Heels und transparente Blusen, die Männer Jacketts und Kettchen am Hals. In weißer Schrift werden Horváths Regieanweisungen auf die schwarze Wand projiziert und die schnellen Wechsel zwischen den (im Original) mehr als hundert knappen Szenen, begleitet elektronische Musik, die anfangs eher sphärisch, dann immer mehr wie ein stampfendes Technokonzert klinge.
Konsum der Romantik
Gleißendes Licht betont immer wieder die scharfen Kontraste, die Kälte und Unnahbarkeit, an der die Horváthschen Figuren leiden, ohne, dass sie Worte dafür fänden. Kasimir hat gerade seine Arbeit verloren und damit nimmt das Drama seinen Lauf. Seiner Freundin Karoline prophezeit eine Zufallsbekanntschaft, der Zuschneider Schürzinger, dass, wenn ein Mann arbeitslos ist, die Liebe nachlasse –und zwar automatisch. Genauso scheint es tatsächlich zu kommen; Kasimir wendet sich ab von Karoline, die daraufhin beginnt, sich nach einer gewinnbringenderen Partie umzusehen. Zunächst bandelt sie mit Schürzinger an, dann lässt sie sich von dessen Chef, Kommerzialrat Rauch, beinahe verführen. Die komplette Ökonomisierung unserer Gefühlswelt, "der Konsum der Romantik", wie es die israelische Soziologin Eva Illouz in ihrer luziden Analyse des zeitgenössischen Beziehungslebens genannt hat, wird von Ödön von Horváth schon Anfang der Dreißigerjahre schonungslos offengelegt. Nicht umsonst lautet der Untertitel des Stücks: "Und die Liebe höret nimmer auf" – von Kasimir freilich mit dem Nachsatz versehen: Ja, solange Du nicht arbeitslos bist.
Verzweifelte taumeln aneinander vorbei
Sehr intensiv vergegenwärtigen Moritz Gottwald (Kasimir), Jenny König (Karoline), Sebastian Schwarz (Merkl Franz), aber auch Iris Becher (Erna) und Robert Beyer (Rauch) ihre Figuren: Früh Verzweifelte taumeln hier aneinander vorbei, bleiben sich fremd, auch wenn sie einander (körperlich) berühren. Allein die Sprachbehandlung überzeugt nicht wirklich: Horváths Stilmittel der Stille, in der all das Ungesagte und Unsagbare zwischen den Menschen hörbar wird, geht zu oft unter, was bei einem Regisseur mit reichlich Erfahrung im Musiktheater, umso erstaunlicher ist. Ohne diesen Rhythmus, der den abgründigen Sätzen, die Horváth seinen Figuren in den Mund legt, erst wirklich Raum gibt und Tiefe verleiht, wirkt dieses düstere Oktoberfest trotz aller behaupteten Emotionen seltsam blutleer und beliebig.