Bei Kerzenschein und Todesschwärze
Dreieinhalb auslaugende, abstumpfende Stunden dauert Andreas Kriegenburgs theatrale Uraufführung, die auf dem Buch des israelischen Schriftstellers David Grossman beruht. Steife, taube Feierlichkeit ist hier verordnet worden, und das Ensemble gibt nur gequälte, larmoyante Selbstergriffenheit von sich.
Wie fürs Theater geschaffen, scheint dieser sprachgewaltige Text zu sein. Auf den ersten Blick. Eine "Erzählung für Stimmen", hat David Grossmann hier schließlich verfasst: "Aus der Zeit fallen" ist geschrieben und gesetzt wie ein Theaterstück, mit Figuren, die Dialoge und Monologe sprechen, allesamt entrückt in ihrem Leid und zusammengehalten durch die Gestalt eines Chronisten, der tagein, tagaus durch eine mythische Stadt huscht und die Gespräche von trauernden Eltern protokolliert. Es ist ein ganzes Panoptikum der Hinterbliebenen, das sich hier entfaltet, ein großer vielstimmiger Klagegesang.
David Grossmann, bedeutender israelischer Autor, Romancier und Friedensaktivist, kreist in seinen Texten seit Jahren schon um dieses Thema, das auch sein ganz persönliches Trauma ist. 2006 wurde sein Sohn Uri im zweiten Libanonkrieg getötet, ein Umstand, der bereits großen Einfluss hatte auf sein üppig ausgreifendes Romanmeisterwerk "Eine Frau flieht vor einer Nachricht." Doch wo bei jenem Projekt noch klarer Zeit- und Ortsbezug die große Erzählung erdeten, wählt Grossmann bei "Aus der Zeit fallen" den Weg radikaler Poetisierung.
Literarisierung des Leids
So präzise und klar auch hier einige seiner Beobachtungen ausfallen, so sehr herrscht insgesamt der Duktus des hohen, lyrischen Tonfalls vor. Ein großer Teil des Textes ist in Versform verfasst. Faszinierend und komplex ist diese Form der unnachgiebigen, hoch emotionalen Nuancensuche, und birgt zugleich das Risiko der Überfrachtung. Hinausziehen muss man sich als Leser dann und wann aus dieser exzessiven, bildgesättigten Literarisierung des Leids, um nicht vom unbegrenzten Pathos überrollt zu werden. Ein Buch aber ist leicht beiseite gelegt, wenn man Luft schöpfen muss, ein Theaterabend nicht.
Dreieinhalb auslaugende, abstumpfende Stunden (mit Pause) dauert Andreas Kriegenburgs theatrale Uraufführung des Textes, und gerade weil sie große Ehrfurcht vor ihrer Vorlage bekundet und sich so gut wie nichts zu kürzen traut, ist sie kaum auszuhalten. Düster dräut hier alles und jeder, und auf der sich unaufhaltsam drehenden Bühne schleppen sich die Figuren demonstrativ gramerfüllt voran. Bühnenarbeiter sind stets zur Stelle, reichen Stühle, Tische und große mit Folie bezogene Quader, damit die Figuren in und auf ihnen und um sie herum weiterleiden können. Sehr atmosphärisch ist das, zwischen Kerzenschein und Todesschwärze, bisweilen auch virtuos choreografiert, und kann doch nichts retten.
Vielleicht muss man Singen, um zu retten, was im Text steckt
Steife, taube Feierlichkeit ist hier verordnet worden, und das Ensemble gibt nur gequälte, larmoyante Selbstergriffenheit von sich. Zwischentöne gehen dabei verloren, alles, was unmittelbar und schlicht und einfach und ergreifend sein könnte, wird zur angestrengt bedeutungsschwangeren Leidensartikulation. Prätention statt Gefühl, große Pose statt klarer Gedanken.
Grossmann selbst hat gesagt, er habe beim Schreiben mehr an einen Oratorientext, womöglich an ein Opernlibretto gedacht. Ja, vielleicht muss man singen, um zu retten, was in diesem Text jenseits seiner sprachlichen Virtuosenkunst an Wahrhaftigkeit steckt, an beunruhigendem Schmerz und hoch empfindlicher Qual. Was an diesem Ehrfurchtsabend auf der Bühne übrig bleibt, ist jedenfalls kein Leben mehr, nur Kunst. Und das ist nicht genug.