Theater

Ein Wesen außerhalb der Wirklichkeit

Die Schauspielerin Inge Keller als Shakespeare, aufgenommen am 07.04.2009 bei der Probe von "Shakespeares Sonette" von Robert Wilson (Regie) und Rufus Wainwright (Musik) im Berliner Ensemble
Inge Keller als Shakespeare in Robert Wilsons "Shakespeares Sonette" 2009 im Berliner Ensemble. © picture-alliance/ ZB / Claudia Esch-Kenkel
Von Peter Claus |
1923 in Berlin geboren, debütierte Inge Keller mitten im Krieg, ging nach Sachsen und kehrte für Jahrzehnte zurück nach Berlin ans Deutsche Theater. Sie ist eine Sprachartistin, verpflichtet dem schönen Ton.
Alle, die Inge Keller auf der Bühne erlebt haben, erinnern diese eine Szene, so oder doch so ähnlich: leerer Raum, nicht ein Requisit, nicht mal besonders raffiniert gesetztes Licht, kein Firlefanz. Nur diese Frau steht da oder sitzt - knapp in der Körpersprache, ausladend in der Stimme - und die Luft zittert, der Saal vibriert, die Spannung ist zum Bersten.
"Die Sätze denken, die ich sage. Nicht einfach sagen, sondern denken!"
Diese unerschütterliche Maxime hat die Keller zum Star gemacht, der gern betont.
"Ach wo, ich, ich war keen Star. Ich hab’ viele große Rollen gespielt, basta.“
Und doch: In der DDR gab es in ihrer Generation keine neben ihr, nur wenige im deutschsprachigen Raum, Marianne Hoppe in West-Deutschland, Anne-Marie Blanc in der Schweiz. Inge Keller, la Keller, suchte nie nach flüchtigem Glamour. Erst recht nicht in den modernen Zeiten, da die Selbstvermarktung zum A und O des Künstler-Daseins gehört.
"Star ist mir ganz fremd, insbesondere in diesen Zeiten, wo ja die Stars aus dem Boden schießen wie die Pilze und ich nur voller Verwunderung das wahrnehmen kann.“
Die Stützen ihrer Karriere:
"Fleiß, Arbeit, Phantasie.“
Vor jeder Premiere der gleiche Satz:
"Sauschwer. Ich weiß noch nicht, wie ich’s mache.“
Debüt mitten im Krieg
Kokett durchaus, auch eitel. Was sie nie bestreitet:
"Wie soll ich denn sonst rausgehen am Abend, nicht.“
Geboren 1923 in Berlin in gutem, reichen Hause, debütierte sie mitten im Zweiten Weltkrieg in ihrer Heimatstadt, ging dann nach Sachsen, spielte nach dem Krieg im Westteil der Stadt, ab 1950 im Ostteil, am Deutschen Theater Berlin - zielstrebig, pragmatisch, mit preußischer Disziplin:
"Ich weiß nicht, ob ich Träume hatte. Nein. Das weiß ich nicht. Meine Generation ist eine, eine Generation, die einfach wirklich angeschissen ist, nicht. Anders kann ich das nicht ausdrücken . Es war eigentlich immer Krieg. Es war immer Krieg, dann war Nachkriegszeit, dann kam der Kalte Krieg. Und was ist jetzt?“
Über die Unbill aller Zeiten wird von Inge Keller stets hinweggespielt, gern den Rat ihres Maler-Freundes Otto Niemeyer-Holstein wie ein Schutzschild vor sich hertragend. Probleme?
"Quatsch. Arbeite!“
Zum öffentlichen Bild von ihrer Person gehört allerdings auch die nur ein paar Jahre kurze Ehe mit Karl-Eduard von Schnitzler, dem geifernden Chefkommentator des DDR-Fernsehens, in den 1950er-Jahren. Das genügte Eiferern für Jahrzehnte sie als Kumpanin der Mächtigen zu denunzieren. Inge Keller hat wie Millionen still gearbeitet - und geschwiegen. Denn sie hat, wie Millionen, nach dem Zweiten Weltkrieg geglaubt, im besseren Teil Deutschlands zu leben.
Bei billiger Propaganda hat sie nie mitgemacht. Sie war in keiner Partei. Sie verharrte, wie die Mehrheit, in Schweigen. Der Druck der Mächtigen im Mauerland wider die Freiheit der Kunst? Biermann-Rauswurf? – Inge Keller spielte Theater, pflegte die Schönheit der Sprache, floh wohl auch vor der Realität in die Welt der Kunst.
"Das ist natürlich ein glücklicher Hort, das Theater, gewesen, wiederum.“
Peter Hacks wird zitiert:
"Der letzte Halt ist Haltung!“
Punkt. Inge Keller, ein Zirkuspferd, ein Theatertier.
Dem Schein des Spiels verpflichtet
Inge Keller in einem Interview 2003 im sfb: "Es ist und bleibt ein Abenteuer, wo mir die Luft wegbleibt, wenn ich nur dran denke.“
Den Blick zurück, worauf auch, wagt Inge Keller, jedenfalls im öffentlichen Gespräch, fast ausschließlich mit Ironie.
"Edel sei der Mensch, hilfreich und gut – na, das mach mal ein Leben lang, ja."
Ganz dem Schein des Spiels und dem schönen Ton verpflichtet, wurde Inge Keller für ihre Fans zur Diva, ein Wesen außerhalb der Wirklichkeit, eine Sprachartistin. Das blieb. So schwärmt denn auch der weltbekannte Theaterzampano Robert Wilson, der sie, nur wenige Jahre ist es her, hoch betagt in seinem Abend "Shakespeare Sonette“ am Berliner Ensemble als Shakespeare auftreten lässt:
"For me, to hear her speak Verse, hear Shakespeare, I could get lost."
Inge Keller anlässlich der "Faust“-Verleihung 2013: "Tag ist wie Nacht mir, kann ich Dich nicht sehen. Doch Nacht wird Tag, lässt Traum Dein Bild ersteh’n.“
In den späten Jahren kamen auch Inge Keller viele Fragen, Theaterfragen:
"Die Welt ist aus den Fugen, wie soll es das Theater nicht sein?!"
Gelegentlich kam auch mal eine persönliche Frage …
Inge Keller in einem Interview von 2008: "Ich weiß nicht, wie viel Rollen ich gespielt habe, wo ich gestorben bin. Auf der Bühne. Nu ja, und dann geht der Vorhang hoch und dann lächelt man und verbeugt sich. Und dann hab ich mir gesagt, Du, pass mal auf, Ingele, eines Tages geht nicht mehr der Vorhang hoch und Du verbeugst dich. Merkwürdiger Gedanke.“
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