Theater

Emanzipatorisches Novellen-Doppel

Armin Petras, Intendant am Schauspiel Stuttgart, aufgenommen am 6.6.2013
Intendant Armin Petras macht aus den Novellen von Heinrich von Kleist und Christoph Hein einen Theaterabend. © picture-alliance / dpa / Marijan Murat Ressort
Von Elske Brault |
Zwei Novellen mit weiblicher Heldin hat Armin Petras zusammengebunden zu einer Art Geschichte der Emanzipation seit 200 Jahren. Dabei wirkt der erste Teil des Abends, die Kurzfassung der "Marquise von O.", wesentlich stärker: Vermutlich, weil Heins Novelle die Ausblendung des politischen Hintergrunds nicht verträgt.
Bei der Inszenierung seiner eigenen, der Fritz-Kater-Stücke, kann es Armin Petras gar nicht opulent genug sein: Videoprojektionen, Gesangseinlagen, Konfettiregen oder Bettfederschlachten konterkarieren da den Text. Vergleichsweise spartanisch hat er diesen Doppelabend eingerichtet: Eine schwenkbare zweite Ebene über dem Fußboden wird für die Schauspieler mal zum Podest, das es zu erklimmen, mal zum Abhang, von dem es nicht abzurutschen gilt. Darunter blendet ab und an grelles weißes Licht das Publikum – mehr Bühnenbild ist nicht.
Starke Besetzung
Petras kann sich auf starke Schauspieler verlassen, vor allem auf Fritzi Haberlandt als Marquise von O. und Hans Löw als den russischen Grafen, der sie geschwängert hat und seinen Fehltritt durch die Eheschließung gut zu machen versucht. Die auch mit über 30 noch jungmädchenhaft wirkende Fritzi Haberlandt ist im Grunde für die Rolle der Witwe von O., Mutter zweier Kinder, eine zu jugendliche Fehlbesetzung. Doch wie diese zerbrechliche Frau in der Krise zu beeindruckender Stärke, zu Mut und Durchsetzungskraft findet, das könnte wohl niemand überzeugender spielen.
Petras erzählt die Kleistsche Geschichte als den Kampf zweier Männer um eine Frau: Der Vater der Marquise muss sich im Krieg dem siegreichen Grafen geschlagen geben. Der will ihm auch noch die Tochter nehmen: In einer langen Szene verhandeln Maximilian Simonischek und Hans Löw über die mögliche erneute Eheschließung der Marquise, beide übrigens im gleichen jugendlichen Alter, was den Aspekt des Konkurrenzkampfes um die Gelliebte noch verstärkt, Haberlandt steht stumm, nur mit den Augen rollend, dabei: Im 19. Jahrhundert hatte eine Frau eben zu schweigen und zu der ihr verordneten Verbindung Ja und Amen zu sagen, wenn die Männer den Vertrag abgeschlossen hatten.
Akt der Emanzipation
Der Emanzipationsakt der Marquise wird bei Kleist aus der Not geboren: Als der Vater sie verstößt, weil er ihren Beteuerungen nicht glaubt, sie sei ungewollt schwanger geworden und wisse nicht, von wem, zieht die geschlagene Frau sich auf das zurück, was ihr gehört. Mit ihren Kindern aus erster Ehe auf ihr eigenes Landgut. Vor allem aus Liebe zu dem noch ungeborenen dritten Kind lässt sie per Zeitungsannonce nach dessen Vater suchen. Dass der sich am Ende als jener Graf entpuppt, von dem sie im ersten Moment begeistert war, den sie als Held und Beschützer idealisiert hatte, macht die Sache nicht einfacher.
Doch immerhin mündet die bizarre Liebesgeschichte der Marquise von O., ihre Spannung zwischen hehren Idealen und deren höchst irdischen, körperlichen Ergebnissen, in eine glückliche Ehe, wenn auch erst nach langer Zeit. In "Drachenblut" von Christoph Hein hat die Protagonistin alle Möglichkeiten, solch eine Spannung gar nicht erst aufkommen zu lassen. Da sie als Ärztin beruflich erfolgreich ist, muss sie sich nicht mit einem Mann arrangieren, Kinder treibt sie als unerwünschte Nebenwirkung sexueller Betätigung einfach ab. Anders als zweihundert Jahre zuvor bei Kleist hat diese Frau Anfang vierzig die volle Verfügungsgewalt über ihren Körper. Mit ihren Gefühlen wird sie jedoch nur mittels routinierter Verdrängung fertig, und das nimmt ihrem Leben zugleich die Erlebnisqualität.
"Drachenblut" ohne Feuer
An Astrid Meyerfeldt als Ärztin liegt es sicher nicht, dass dieser zweite Teil nach der Pause schwächer ausfällt. Ihr geschmeidiger, wohl gerundeter Körper, ihr glattes Gesicht mit den großen, meist weit aufgerissenen Augen vermag ebenso inneres Ausweichen zu zeigen, die Unfähigkeit, Druck standzuhalten, wie umgekehrt Fritzi Haberlandt Kraft erkennen ließ in ihrer schmalen Gestalt. Bloß: Zum einen fehlt es dem langen inneren Monolog von Heins Novelle an der bühnentauglichen äußeren Dramatik (Kleist hatte Krieg, Gewalttat, Heiratsantrag, Familienfehde und eine öffentliche Fahndung per Zeitungsannonce zu bieten). Zum anderen funktioniert die Geschichte nicht ohne ihren geschichtlichen Hintergrund: Den Leserinnen 1982 in der DDR war klar, dass die Heldin in "Drachenblut" (bzw. "Der fremde Freund", wie die DDR-Erstveröffentlichung hieß) so gefühllos geworden ist, weil ein autoritäres politisches System sie zum Rädchen im Getriebe degradiert hat.
Äußerlich war die Gleichberechtigung von Mann und Frau in der DDR zwar erreicht, doch Christoph Hein stellte dar, wie wenig dies ohne geistige Freiheit wert war: Dreh- und Angelpunkt der Lebensgeschichte seiner Heldin ist, dass sie ihre erste Jugendliebe, die Freundschaft mit einem christlich orientierten Mädchen, aufgeben muss. Hätte Petras diese Episode dramatisiert, statt sie von Astrid Meyerfeldt in einem langen Monolog erzählen zu lassen, hätte seine Version von "Drachenblut" nicht nur mehr Blut, sondern auch mehr Feuer gehabt.

Die Marquise von O./Drachenblut
Nach den Novellen von Heinrich von Kleist und Christoph Hein
Regie und Textfassung: Armin Petras
Premiere am 08.05.2014 am Schauspiel Stuttgart im Kammertheater

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