Theater-Erfinder und Menschen-Forscher

Peter Brook schaut aus nächster Nähe suggestiv in die Kamera.
Der britische Regisseur Peter Brook 2007 in Potsdam, wo er die Proben seines Stücks "Fragments" leitete. © picture alliance / dpa / Nestor Bachmann
Von Michael Laages |
Kaum ein Regisseur im europäischen Theater der Nachkriegszeit wird so unterschiedslos verehrt wie Peter Brook. Nach Kriegsende begann seine Karriere. Sie ist einzigartig, weil er bis ins hohe Alter auf der Suche blieb – nach dem Theater.
Bloß kein Blick zurück, bloß kein gemütliches Erinnern an die großen Zeiten – freundlich wie immer hat sich Peter Brook rühmende Nachrufe zu Lebzeiten stets verbeten. Über 80 war er geworden, als er sich noch einmal den Endzeitwelten des Samuel Beckett näherte – und an der schon halb in der Erde versunkenen Winnie in "Glückliche Tage" deren Optimismus, deren unzerstörbare Zuversicht ins Zentrum einer Inszenierung stellte: ihre ewige Suche nach einem Stückchen Glück für jeden neuen Tag. Nicht halb im Grab sah der Regisseur seine Heldin, sondern – immerhin! - noch halb im Leben; auch dieser Peter Brook, so scheint es, ist nach gut sechseinhalb Jahrzehnten mit und im Theater ein heiterer, freundlicher, der Zukunft zugewandter Mensch geblieben:

"Man sollte alles, was mit dem Theater zusammenhängt, nicht so ernst nehmen ... Was wir tun, ist ein Spaß! Wir sind keine Professoren, sind nicht Goethe und Shakespeare – und darum sage ich, wenn Sie mich fragen, woran ich mich erinnere: An nichts! Das Theater ist dazu gemacht, dass es vergeht."

Ein Spaß? Eher die gewachsene Gelassenheit eines Theatermachers, dessen Weg gleich auf dem schwerst zerklüfteten, praktisch unergründlichen Planeten namens Shakespeare begann. Als Twen und mit Blick auf die Verwüstungen der Welt im Krieg gräbt er sich wie selbstverständlich in die an Abgründen so reichen Fantasien des Landsmanns hinein, der doch im Grunde nie so recht zu fassen ist – wo steht Shakespeare? Wie denkt er, speziell über die grausigen Schrecken, von denen er erzählt? Keiner weiß das. Brook erzählt – im historischen Dokument eines Gespräches aus dem Jahr 1965 - von seinen frühen Erfahrungen als lernender Regisseur:

"Es gibt zwei Arten, im Theater zu beginnen: Eine ist die des Assistenten, der vor allem zuschaut und lernt – die andere ist die des Künstlers, der – wie ein Pianist, wie ein Maler - von Beginn an seine Kunst benutzt. Ein Maler lernt doch auch nicht vom Zuschauen. / Hatten Sie Vorbilder? / Ach nein, da war ich noch zu jung."

Er war also zu jung, um sich Vorbilder zu suchen – an Selbstbewusstsein jedenfalls hat es Peter Brook wohl nie gemangelt. Und er ahnt, dass die Arbeit an Shakespeares Wallfahrtsort Stratford, in Birmingham oder London und selbst an der legendären Royal Shakespeare Company nie wirklich genügen wird – und so steht am Ende der Aufbrüche in den 60er-Jahren für Brook die Gründung des "Centre International du Recherche Theatrale", das in Paris Theaterkünstlerinnen und Theaterkünstler aus aller Herren Länder und allen Teilen der Welt versammelt und die vielsprachig montierten Produktionen später im heimeligen alten Theaterraum der "Bouffes du Nord" präsentiert.

Mit fast allen kann Brook auch international auf Reisen gehen, zu den Berliner Festspielen, den Wiener Festwochen oder zum "Theater der Welt", dem schönsten aller internationalen Festivals in Deutschland, das in diesem Sommer im Rahmen des Kulturhauptstadtjahres in den Ruhr-Städten Essen und Mülheim stattfindet.

Vor 17 Jahren, 1993 in München, zeigt Brook zum Beispiel in München die spielerische Begegnung mit den psychischen Verstörungen, die der Arzt Oliver Sacks aufzeichnete: unter dem Titel "Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte". Zu bestaunen ist damals (wie auch beim Shakespeare-"Sturm" jener Jahre) das zentrale und wichtigste Lebensabenteuer des Theater-Erfinders und Menschen-Forschers Brook – die Internationalität im Nebeneinander von Sprachen, Gedanken, Religionen und Ideologien. Wenn es eine friedliche Welt gäbe, dann wäre sie vielleicht beispielhaft zu besichtigen im Theater des Peter Brook, denn wenn es überhaupt zu etwas nütze ist, das Theater, dann dazu.

"Debatten über das Theater, bei denen das Theater im Mittelpunkt steht, sind für mich bedeutungslos ... Wissen Sie, es gibt Leute, die lieben Autos und können sich stundenlang über die Unterschiede zwischen Volvo und Mercedes unterhalten – mich interessiert, wozu die Qualitäten des einen oder anderen gut ist. Genau so ist es mit dem Theater – mich interessiert nur, was es bewirken kann, wohin es geht."
Mehr zum Thema