Furioses Gefetze
Der große Wurf wollte Karin Beier, die erfolgsverwöhnt aus Köln kam, in Hamburg bisher nicht gelingen. Mit Ibsens "John Gabriel Borkman" und "Pfeffersäcke im Zuckerland" startet sie einen neuen Versuch.
Der Titelheld, dieser John Gabriel Borkman, ist immerhin ein früherer Bank-Direktor, kriminell Pleite gegangen und nach fünf Jahren Knast nun schon weitere acht Jahre im heimischen Gefängnis, mit der Frau an der Seite, die nicht mehr mit ihm spricht... aus der Banker-Fabel könnte also sicher viel zeitgenössisches Feuer sprühen, ziemlich genau sechs Jahre nach Goldman Sachs. Aber Karin Henkel hat sich dafür eher weniger interessiert. Ihr Borkman ist ein Kinderspiel... wenn sich der einst so mächtige Borkman noch einmal in bessere Zeiten zurück träumt; während ihn eine Handvoll junger Mädchen mit weißen Söckchen umschwirrt.
Und ganz wie früher, als wären auch sie noch junge Mädchen, zerren und zergeln die demonstrativ krumm und gebückt gehenden Schwestern Gunhild und Ella aneinander herum um das Erbe des fast schon scheintoten Mannes. Gunhild hat er geheiratet; sie will den vom Bankrott zerstörten guten Ruf restaurieren, und der heiratsfähige Sohn Erhart soll das bewerkstelligen.
Eben den aber hätte Schwester Ella, Borkmans eigentliche Geliebte, gern für sich – jetzt, wo sie unheilbar krank ist. Julia Wieninger und Lina Beckmann, den zänkischen Schwestern, überlässt Karin Henkel viel furioses Gefetze; Josef Ostendorf als alter Borkman trampelt derweil elefantengleich, bis die Wände beben, im oberen Stockwerk des lang in die Tiefe aufsteigenden Raums von Katrin Nottrodt... aber über das Trio hinaus hat der schnelle Abend nicht viel zu bieten außer schrill ausgestellten Miniaturen – vor allem hat er keine Idee davon, warum von Borkman jetzt und hier und heute erzählt werden muss.
Kolonialismus und Menschenschau
Karin Beiers eigene Recherche unter Nachkommen der Hamburger Kolonisatoren im brasilianischen Süden ist näher dran. Zwar erzählen die alten Deutschbrasilianer in der "Menschenausstellung", das heißt: in Glas-Vitrinen, vor denen wir mit Kopfhörer und Fernbedienung die Stimmen voller Echos aus fernen, fremden Welten auswählen können, von längst vergangenem Glück wie vom ewigen Vorurteil des selbst in der Fremde allem Einheimischen gegenüber unanpassbaren Deutschen. Aber das Beharren dieser Menschen auf dem Immergleichen hat Methode und ist sehr vertraut.
Wir schauen ihnen zu, auch den Jungen, einer Frau aus Altona etwa, die Macumba-Priesterin in Brasilien wurde, oder dem Manager mit den deutschen Ahnen, der voll Widerwillen das brasilianische Wirtschaftswunder erklärt; wir hören von Siedlerstolz und blankem Rassismus und staunen doch über diese sehr speziellen Deutschen so weit weg von uns. Um die Ecke von Joinville (wo Beiers Team recherchierte) liegt Blumenau; dort gibt's das größte Oktoberfest fern von München...
Unser Staunen ist übrigens auch stärker als Elfriede Jelineks Brasilien-Kommentar unter dem Titel "Strahlende Verfolger"... nach Ende des Ausstellungsteils übernehmen drei Damen vom Museums-Service die Regie und zelebrieren eine der vertrauten Gardinenpredigten aus Jelineks Tagebuch; diesmal attackiert sie den überall immer so präpotenten Deutschen, der immer alles besser weiß und sich noch in der Selbstkritik besser findet als irgendwen sonst... das ist ein Wie-renne-ich-möglichst-viele-offene-Türen-ein-Text, virtuos, aber langweilig.
Selbst er wirkte vor Jahresfrist beim ersten Ausprobieren in Sao Paulo viel stärker: weil er den Blick von außen auf das Deutschtum damals wie heute verstärkte – durch die Spiegelung im brasilianischen Rassismus. Hier verpufft Jelineks Furor – die "Menschenausstellung" zählt; wie damals, vor eineinhalb Jahrhunderten, als ja nicht nur Deutsche nach Brasilien gingen, sondern ein gewisser Herr Hagenbeck auf der Reeperbahn "Völkerschauen" zeigte: mit "dem Lappländer" und "dem Lippen-Neger". Im Erinnern daran werden Beiers "Pfeffersäcke" zum Ereignis.