Theater im Chaos der Revolutionen
In Damaskus herrscht Bürgerkrieg, dennoch wird weiter Theater gespielt. Ebenso in vielen weiteren Ländern Arabiens, in denen die Machtverhältnisse nach den Revolutionen völlig unklar sind. Sechs Aufführungen aus Tunesien, Syrien, Palästina und dem Libanon waren beim Festival "Theaterlandschaft Neues Arabien" im Theater in Mülheim an der Ruhr zu sehen. Darunter sind Altmeister des arabischen Theaters, aber auch viele junge Regisseure und Autoren.
"Marsch!" ist das einzige erkennbare Wort in dieser wilden Militärgroteske aus dem Libanon. Sonst wird nur Unverständliches gebrüllt, auf den Befehlston kommt es an. Eine kleine Truppe sieht sich selbst im Spiegel, vermutet Feinde und rennt los zum blutigen Gemetzel. "Maaarch!" heißt das Stück, in dem Issam Bou Khaled aus Beirut die Dauerhysterie des Krieges mit grimmigem, groteskem Humor auf die Bühne bringt. Die Aufführung ist schon ein Klassiker des neuen arabischen Theaters. Issam Bou Khaled hat sie unter dem Eindruck des Bürgerkriegs im Nachbarland Syrien neu einstudiert.
"I don´t feel a victim. We are victim, all of us we are victim, but I don´t want to present myself as a victim. Even in the worst moments of my life I don´t want to present myself as a victim.” "
Temperamentvoll weigert sich der Theatermacher, auf eine Opferrolle festgelegt zu werden. Er will laut sein, aggressiv, unangepasst.
" "I am an aggressive person sometimes on theatre. And my plays are very aggressive.” "
Inzwischen hat Issam Bou Khaled eine Trilogie über das Militär inszeniert. Deren Abschlussstück "Banafsaj" war auch beim Festival "Theaterlandschaften Neues Arabien" in Mülheim an der Ruhr zu sehen. Eine tiefschwarze Zombiekomödie, auf dem Schlachtfeld suchen zerfetzte Soldaten ihre Gliedmaßen zusammen, um dann schnell abzuhauen. Derbe Bilder für eine harte Zeit. Denn der demokratische Aufbruch ist in vielen arabischen Ländern stecken geblieben. So erlebte es Festivalkurator Rolf C. Hemke auch in Tunesien:
" "Die Situation hat sich deutlich verschlechtert seit letztem Jahr. Was vor allem mit einem Bedrohungsszenario zu tun hat, was damit zu tun hat, dass die Regierung die Salafisten und Extremisten in Tunesien und in Tunis selbst gewähren lässt, dass Sicherheitskräfte – wenn überhaupt - nur einschreiten, wenn es zu spät ist."
Dennoch gehen weiterhin viele Menschen ins Theater. Die Gruppe El Teatro ist das einzige Ensemble, das über das ganze Jahr hinweg regelmäßig in Tunis spielt. Autor und Regisseur Taoufik Jebali gehört zu den Altmeistern des arabischen Theaters, was man seinem neuen Stück nicht anmerkt. "L´Isoloir" – Die Wahlkabine – ist eine Reaktion auf die demokratischen Wahlen vor einem Jahr. Ein Mann läuft mit einer Urne über die Bühne und fragt, was er damit machen soll. Junge Leute treten auf, politisch völlig unorientiert. Der Wahlkampf der Parteien wird zum überdrehten Ballspiel.
Es ist eine laute, körperliche Aufführung, eine grelle Revue über die Orientierungslosigkeit. Viele Inszenierungen der Theaterlandschaften Neues Arabien sind laut, schnell, überhitzt. Reaktionen auf eine Gesellschaft, in der es keine Sicherheit mehr gibt. Meriam Bousselmi ist 29 Jahre alt und macht sich gerade einen Namen mit scharfen, kritischen Stücken. In ihrer neuen Produktion sprangen mehrmals Choreografen und Schauspieler ab, weil ihnen die Inhalte zu gefährlich schienen. Meriam Bousselmi bringt traditionelle Sufigesänge, die nur von Männern ausgeführt werden dürfen, mit Festliedern tunesischer Hochzeitssängerinnen zusammen.
"Die Regierung beschützt uns nicht. Wir können jederzeit von Salafisten angegriffen werden, in unseren Proberäumen, sogar während der Vorstellungen. Extremisten können uns verprügeln und uns verbieten, unsere Arbeit zu zeigen. Wir sind allein gelassen."
Einmal wurden Meriam Bousselmi und ihre Gruppe aus einem Probenraum von Salafisten vertrieben. Aus dem nächsten flogen sie raus, weil der Mieter Angst vor Problemen hatte. Früher, sagt die Theatermacherin, habe man sich mit einem Zensor herumschlagen müssen, doch danach war die Aufführung erlaubt. Heute finde die Zensur oft schon im eigenen Kopf statt. Weil niemand weiß, wie stark die Extremisten in naher Zukunft werden.
"Wir verlassen gerade den Weg des Übergangs zur Demokratie. Das heißt, wir müssen anders arbeiten. Den großen Feind, gegen den wir gekämpft haben, gibt es nicht mehr. Heute ist die Mehrheit der Feind. Es gibt keinen Namen mehr, kein Gesicht. Es ist sehr gefährlich, unser Feind ist die Mentalität."
Issam Bou Khaled bestätigt die Beobachtungen von Meriam Bousselmi. Auch Rolf C. Hemke, der ein Buch über das arabische Gegenwartstheater vorbereitet, hatte auf seinen Reisen ähnliche Eindrücke.
"In Tunesien geht auch ein Riss durchs Publikum. Natürlich gibt es nach wie vor dieses liberale und interessierte Publikum, was sich mit den freiheitlich denkenden Künstlern solidarisiert. Aber es gibt auch ein großes Publikum, ( ... ) die jetzt Teil dieser Bewegung sind einer Rückeroberung des Religiösen."
Der Riss geht auch durch Familien und Freundeskreise. Viele Menschen definieren sich und ihren Glauben neu und wissen noch nicht, welchen Platz sie nun in der Gesellschaft einnehmen können:
"Es ist die große Bevölkerungsmehrheit, die Angst hat und die nicht weiß, wie sich verhalten soll, von den neuen Verhältnissen überfordert ist, natürlich auch neue ökonomische Probleme, neue Ängste hat, für die teilweise eine neue Religiosität eine Zuflucht ist."
Meriam Bousselmi reagiert darauf mit radikaler Offenheit. Sie will keine Metaphern mehr suchen für den Zustand des Staates, sondern klar benennen, wo sie die Freiheit in Gefahr sieht. Vorsichtig und zurückhaltend präsentieren sich hingegen die Syrer. Sie zeigten zwar ein Stück, das in heftigen Worten von Vergewaltigungen und Misshandlungen erzählt und an Texte von Franca Rame, Dario Fo, Franz Xaver Kroetz und Mark Ravenhill angelehnt ist. Doch konkrete politische Äußerungen vermeiden sie, auf der Bühne wie im Gespräch. Wir wollen alle nach Damaskus zurückkehren, sagt mir eine Schauspielerin, und der Geheimdienst hat seine Ohren überall.
Links zum Thema:
Theater an der Ruhr: Festival Theaterlandschaft Neues Arabien
"I don´t feel a victim. We are victim, all of us we are victim, but I don´t want to present myself as a victim. Even in the worst moments of my life I don´t want to present myself as a victim.” "
Temperamentvoll weigert sich der Theatermacher, auf eine Opferrolle festgelegt zu werden. Er will laut sein, aggressiv, unangepasst.
" "I am an aggressive person sometimes on theatre. And my plays are very aggressive.” "
Inzwischen hat Issam Bou Khaled eine Trilogie über das Militär inszeniert. Deren Abschlussstück "Banafsaj" war auch beim Festival "Theaterlandschaften Neues Arabien" in Mülheim an der Ruhr zu sehen. Eine tiefschwarze Zombiekomödie, auf dem Schlachtfeld suchen zerfetzte Soldaten ihre Gliedmaßen zusammen, um dann schnell abzuhauen. Derbe Bilder für eine harte Zeit. Denn der demokratische Aufbruch ist in vielen arabischen Ländern stecken geblieben. So erlebte es Festivalkurator Rolf C. Hemke auch in Tunesien:
" "Die Situation hat sich deutlich verschlechtert seit letztem Jahr. Was vor allem mit einem Bedrohungsszenario zu tun hat, was damit zu tun hat, dass die Regierung die Salafisten und Extremisten in Tunesien und in Tunis selbst gewähren lässt, dass Sicherheitskräfte – wenn überhaupt - nur einschreiten, wenn es zu spät ist."
Dennoch gehen weiterhin viele Menschen ins Theater. Die Gruppe El Teatro ist das einzige Ensemble, das über das ganze Jahr hinweg regelmäßig in Tunis spielt. Autor und Regisseur Taoufik Jebali gehört zu den Altmeistern des arabischen Theaters, was man seinem neuen Stück nicht anmerkt. "L´Isoloir" – Die Wahlkabine – ist eine Reaktion auf die demokratischen Wahlen vor einem Jahr. Ein Mann läuft mit einer Urne über die Bühne und fragt, was er damit machen soll. Junge Leute treten auf, politisch völlig unorientiert. Der Wahlkampf der Parteien wird zum überdrehten Ballspiel.
Es ist eine laute, körperliche Aufführung, eine grelle Revue über die Orientierungslosigkeit. Viele Inszenierungen der Theaterlandschaften Neues Arabien sind laut, schnell, überhitzt. Reaktionen auf eine Gesellschaft, in der es keine Sicherheit mehr gibt. Meriam Bousselmi ist 29 Jahre alt und macht sich gerade einen Namen mit scharfen, kritischen Stücken. In ihrer neuen Produktion sprangen mehrmals Choreografen und Schauspieler ab, weil ihnen die Inhalte zu gefährlich schienen. Meriam Bousselmi bringt traditionelle Sufigesänge, die nur von Männern ausgeführt werden dürfen, mit Festliedern tunesischer Hochzeitssängerinnen zusammen.
"Die Regierung beschützt uns nicht. Wir können jederzeit von Salafisten angegriffen werden, in unseren Proberäumen, sogar während der Vorstellungen. Extremisten können uns verprügeln und uns verbieten, unsere Arbeit zu zeigen. Wir sind allein gelassen."
Einmal wurden Meriam Bousselmi und ihre Gruppe aus einem Probenraum von Salafisten vertrieben. Aus dem nächsten flogen sie raus, weil der Mieter Angst vor Problemen hatte. Früher, sagt die Theatermacherin, habe man sich mit einem Zensor herumschlagen müssen, doch danach war die Aufführung erlaubt. Heute finde die Zensur oft schon im eigenen Kopf statt. Weil niemand weiß, wie stark die Extremisten in naher Zukunft werden.
"Wir verlassen gerade den Weg des Übergangs zur Demokratie. Das heißt, wir müssen anders arbeiten. Den großen Feind, gegen den wir gekämpft haben, gibt es nicht mehr. Heute ist die Mehrheit der Feind. Es gibt keinen Namen mehr, kein Gesicht. Es ist sehr gefährlich, unser Feind ist die Mentalität."
Issam Bou Khaled bestätigt die Beobachtungen von Meriam Bousselmi. Auch Rolf C. Hemke, der ein Buch über das arabische Gegenwartstheater vorbereitet, hatte auf seinen Reisen ähnliche Eindrücke.
"In Tunesien geht auch ein Riss durchs Publikum. Natürlich gibt es nach wie vor dieses liberale und interessierte Publikum, was sich mit den freiheitlich denkenden Künstlern solidarisiert. Aber es gibt auch ein großes Publikum, ( ... ) die jetzt Teil dieser Bewegung sind einer Rückeroberung des Religiösen."
Der Riss geht auch durch Familien und Freundeskreise. Viele Menschen definieren sich und ihren Glauben neu und wissen noch nicht, welchen Platz sie nun in der Gesellschaft einnehmen können:
"Es ist die große Bevölkerungsmehrheit, die Angst hat und die nicht weiß, wie sich verhalten soll, von den neuen Verhältnissen überfordert ist, natürlich auch neue ökonomische Probleme, neue Ängste hat, für die teilweise eine neue Religiosität eine Zuflucht ist."
Meriam Bousselmi reagiert darauf mit radikaler Offenheit. Sie will keine Metaphern mehr suchen für den Zustand des Staates, sondern klar benennen, wo sie die Freiheit in Gefahr sieht. Vorsichtig und zurückhaltend präsentieren sich hingegen die Syrer. Sie zeigten zwar ein Stück, das in heftigen Worten von Vergewaltigungen und Misshandlungen erzählt und an Texte von Franca Rame, Dario Fo, Franz Xaver Kroetz und Mark Ravenhill angelehnt ist. Doch konkrete politische Äußerungen vermeiden sie, auf der Bühne wie im Gespräch. Wir wollen alle nach Damaskus zurückkehren, sagt mir eine Schauspielerin, und der Geheimdienst hat seine Ohren überall.
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Theater an der Ruhr: Festival Theaterlandschaft Neues Arabien