Theater in der Pandemie

Streamen allein ist nicht die Lösung

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Ein Mann öffnet den roten Theatervorhang (Symbolbild).
Vorhang auf für gute Ideen: In der Coronakrise sind viele Konzepte für die Zukunft des Theaters entstanden und mitunter auch schon realisiert worden. (Symbolbild) © Getty / Digital Vision
Von Natascha Pflaumbaum |
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Ende März wurden die Theater geschlossen, das Festival "Impulse" musste abgesagt werden. In dem Buch "Lernen aus dem Lockdown" blicken Theaterschaffende zurück auf die ersten Monate der Coronakrise und formulieren Ideen für die Zukunft des Theaters.
"Der Lockdown hat uns eine Menge gelehrt", meint Christian Esch. "Dazu gehört, dass es nicht reicht, zu streamen, um irgendein Publikum zu interessieren. Esch ist Direktor des NRW Kultursekretariats und einer der Autoren der Aufsatzsammlung "Lernen aus dem Lockdown". Esch entwirft in seinem Beitrag eine ganz neue Perspektive auf das Theater aus seiner Corona-Lockdown-Erfahrung heraus.
"Es ist ein großer Unterschied zwischen der Digitalisierung auf der einen Seite und der Digitalität auf der anderen. Die Digitalität, die nämlich eine eigene Sprache mit einem eigenen Vokabular meint."

User und Kollektive

Esch versteht unter "Digitalität von Theater" eine neue Form von Theater, die den digitalen Raum nicht nur als Präsentationsplattform nutzt, sondern die der Sprache und dem veränderten Kommunikationsmodell von Social Media Rechnung trägt. Digitalität von Theater löst den Unterschied von Produzent und Rezipient zugunsten von Usern auf und macht Produktionen so zu Kollektiven in gemeinsamer Autorschaft.
Dieser Standpunkt klingt visionär, radikal oder vielleicht sogar auch naiv. Aber es sind solche pointierten Sichtweisen, die das Kompendium "Lernen aus dem Lockdown" für Theatermenschen und Kunstschaffende anderer Branchen sehr lesenswert machen, weil sie tatsächlich Zukünfte entwerfen, die man sich vorstellen kann und über die nicht nur diskutiert wird, sondern die in Teilen auch schon realisiert werden.
Die österreichische Theatermacherin Sara Ostertag formuliert in ihrem Beitrag ganz klare Maßnahmen für Erneuerungen im Kunst- und Kultursektor:
"Fair-Pay-Modelle auf städtischer und auf Landesebene, Honoraruntergrenzen, die auch ins Fördersystem implementiert sind, mehrjährige Förderungen vorzuziehen gegenüber Projektförderungen, weil sie resilienteres Arbeiten möglich machen."

Ein Spiegel der Theaterkrise

Der knapp 200 Seiten starke Band "Lernen aus dem Lockdown" versammelt solche konkreten Konzepte für ein Theater in Coronazeiten und für die Zeit danach. Es ist ein Krisendiskurs, dramaturgisch kuratiert sowie das Hin und Her in den Köpfen derer, die in diesen Zeiten mit Kultur zu tun haben und "betroffen" sind.
Ein "Dokument des Verlusts" nennen die Herausgeber ihr Buch. Nein, es ist ein Spiegel. Dieser Spiegel zeigt, was schon jetzt die Erkenntnisse aus dieser Theaterkrise sind.
"Nämlich u. a.: Die Ungleichheitsmaschinen sollen intakt gehalten werden trotz aller Sofortmaßnahmen und Geldspritzen. Der institutionelle Apparat wird von sozial privilegierten Macher*innen in Gang gehalten. Eine nachhaltige Veränderung des institutionellen Apparats ist nicht in Sicht. Die Krise verdeutlicht die Klassenverwerfungen unserer Gesellschaft. Denn Lockdown war für freie Theatermacher*innen schon lange vor Corona Alltag: Nun erlebt die Mehrheit, was für viele schon lange ‚normal‘ war."
Der Titel "Erkenntnisse aus dem Lockdown" wird so konkret wie möglich eingelöst: Die Autoren ziehen kein voreiliges Resümee, brechen auch keine vorschnellen Urteile vom Zaun.
Diese Textsammlung lebt von ihren unterschiedlichen Perspektiven. Da sind Texte ganz nah an der Empirie, offene, ehrliche, subjektive Erfahrungsberichte. Tagebucheintragungen wechseln mit philosophischen und soziologischen Analysen. Ein WhatsApp-Chat, ein Monolog, ein Traktat: Die Bestandsaufnahme aus den ersten Monaten 2020 ist nicht in eine konforme Textform zu bringen, braucht unterschiedliche Stimmen.

Zwei Klassen an den Bühnen

Was das Buch so anregend macht, sind die alten Begriffe im neuen Kontext. Die triggern nun andere Diskurse. Sie treiben das Nachdenken in neue Richtungen. Es geht um die Verknappung von Berührung und das Kollektiv als zu Hause.
Viele Texte diskutieren die Verletzlichkeit des Theaters und das Zeigen der Wunde als Desiderat. Resilienz als Symptom für die Gesundheit eines Systems, Freundschaft als kuratorisches Prinzip und als Beziehungsmodell für Theaterarbeit. Da sind viele gute Ideen im Raum.
Und immer wieder geht es um den alten Begriff der gesellschaftlichen Klasse: Das Virus hat unsere Gesellschaft als Klassengesellschaft mit einem Zwei-Klassen-Modell enttarnt, das die "feinen Unterschiede" gar nicht mehr wahrnimmt. Der Klassenunterschied zwischen denen, die schon immer mit einem Privilegienpolster ausgestattet waren, weil sie in den Kulturinstitutionen fest im Sattel sitzen, und denen aus der freien Szene, die im Lockdown noch mehr zum Proletariat mutieren, zeigt sich deutlicher.
Ja, es sind mehr Auf- als Abgesänge zum Theater in und nach Corona. Die Texte wechseln mit Fotografien aus Theaterhäusern, auf und hinter der Bühne, die die Leere der vergangenen Monate körperlich fühlen lassen. Wir brauchen mehr von diesen Ideen, mehr von diesen Büchern, am besten ein vierteljährliches Journal, damit Veränderungen Wirklichkeit werden.
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