Streit um Kulturförderung in den Zeiten leerer Ränge
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Die Pandemie stellt viele Theater vor große finanzielle Probleme. Kann gezielte Förderung das kompensieren? Oder sollte man, wie von einigen gefordert, den Dingen ihren Lauf lassen, nach dem Motto: Survival of the fittest?
Die Corona-Hilfsgelder, sie fließen – um die Krise in der Kulturlandschaft zu meistern. Doch die Krise im staatlich geförderten Kultursektor war schon vor Corona da, sagt Dieter Haselbach: "Corona deckt diese Krise auf – oder auch andersherum gesagt, man könnte sagen: Corona gibt eine Chance, über die Formen und Gegenstände der Subventionierung nochmal nachzudenken, anstatt den gesamten Bereich weiterzutragen, so wie er bisher war."
In der Sendung "Fazit" auf Deutschlandfunk Kultur gibt der Soziologe und Direktor des Bonner Zentrums für Kulturforschung die Gedanken wieder, die er vergangene Woche in einem Essay in der "Welt" veröffentlicht hat. Gemeinsam mit dem Chef der Züricher Volkshochschule Pius Knüsel stellt er das Subventionssystem der Theater- und Museenlandschaft Deutschlands in Frage.
"Es wird nicht darüber nachgedacht, ob die Institutitonen noch ihr Publikum in derselben Weise... es wird nicht darüber nachgedacht, ob es möglicherweise anderer Förderschwerpunkte geben müsste – sondern es bleibt dabei, dass Förderung, ja, immer weitergetragen wird und in diesen geförderten Institutionen gibt es nicht sehr viel Anreiz, etwas daran zu ändern."
Stadttheater sollten mehr auf Tourneen gehen
Theater und Orchester beanspruchten ein Drittel der öffentlichen Kulturausgaben in Deutschland. Dafür gebe es zwar viele Produktionen, doch wenig nachhaltigen Effekt. Stadttheater sollten stärker auf Tourneen gehen, so wie in anderen Ländern. Prompten Widerspruch erntet Haselbach von Matthias Lilienthal, dem scheidenden Intendanten der Münchner Kammerspiele, ebenfalls im Interview bei Fazit.
"Das ist ein totaler Quatsch", hält Matthias Lilienthal dagegen. "Und das ist von Leuten gesagt, die einfach von dem Betrieb keine Ahnung haben. Alle Kulturinstitutionen kämpfen im Moment damit, dass zwei Drittel ihrer Einnahmen wegbrechen. Und sie machen einen heroischen Job, indem sie meistens in der Lage sind, das zu kompensieren."
Matthias Lilienthal ist wohl die geeignete Person, um hierauf zu antworten. Er hat in München selber viel verändert und herumexperimentiert – und wurde von der Stadtrats-CSU nicht weiter unterstützt – wegen zu viel Experimenten und anfänglich zu wenig Zuschauerinnen und Zuschauern. Doch rühren Haselbach und Knüsel nicht an einen wunden Punkt, wenn sie schreiben, das jüngere Publikum verfolge stärker ästhetische Konzepte im digitalen Raum als im Theater?
Wie misst man Erfolg von Theatern?
Antigone Akgün, Jahrgang 1993, lebt als Performerin in Frankfurt und ist Gründungsmitglied der freien Theatergruppe Staatstheater Ayse X. Sie findet, die Institution Theater ist längst nicht mehr so verschlossen, wie es die Autoren behaupten: "Es wird immer besser, behaupte ich. Und natürlich gibt es bei Weitem nicht genug Häuser, die ein diversifiziertes Angebot anstreben. Aber gerade zum Beispiel in der Freien Szene oder auch in einzelnen Häusern der Stadt- und Staatstheater ändert sich das. Und so wie ich den Text lese, frage ich mich allerdings, ob das von den Autor*innen überhaupt gewünscht wird, dass sich das verändert."
Man solle den Theatern bei ihren Bemühungen, diverser zu werden, mehr Zeit lassen, findet Antigone Akgün. Grundsätzlich begrüße sie es zwar, dass die Autoren mehr Geld für die freie Szene in die Diskussion bringen – doch sei ihre Wortwahl befremdlich. Sprächen sie doch von einem "Wettbewerb" der Freien mit den institutionellen Theatern: "Wetteifern um Beliebtheit würde ja voraussetzen, dass man Erfolg haben muss, zum Beispiel um bestimmte Förderung zu bekommen. Und da würde ich tatsächlich nachfragen: Was bedeutet Erfolg und wie misst man ihn? Geht es jetzt darum, schwarze Zahlen zu schreiben und eine gute Auslastung zu haben oder geht es nicht vielleicht auch darum, Kunst und Kultur als Laboratorium zu betrachten?"
Keine Gelddebatten führen
Von einem rein wirtschaftlichen Effizienzgedanken distanziert sich wiederum Dieter Haselbach im Gespräch: "Es ist nicht die Frage der Effizienz im Sinne eines einfachen Wirtschaftsbetriebs – also: Wie viel steht unten drunter? Ich meine, dafür gibt es ja Förderung, dass Zwecke verfolgt werden können, die sich nicht rechnen. Und das stellen wir ja gar nicht infrage. Die Frage ist nur: Welche Zwecke sind es denn, die wir wollen, die wir erfüllen wollen?"
Schließlich hätte auch eine städtische Soziokultur Anspruch auf Geld – das bisher in großen Teilen Theaterbetrieben zur Verfügung stünden. Matthias Lilienthal will sich dagegen auf Gelddebatten nicht einlassen und verweist auf die Polemik, bei der die Autoren mitschrieben, bekannt unter dem Titel: "Der Kulturinfarkt".
"2012 sind sie diese These nicht losgeworden und jetzt nutzen sie sicherlich die schwierige Finanzsituation, die entstehen wird, um sich wieder ins Spiel zu bringen – ich finde das abgeschmackt und widerlich", kritisiert Lilienthal.