Gefährlicher Ausflug ins Stadtgebiet
Seit über 50 Jahren herrscht Bürgerkrieg in Kolumbien: Die linke FARC-Guerilla kämpft gegen den Staat. Hinzu kommen die Konflikte rivalisierender Drogenbanden. Gewalt ist allgegenwärtig in Kolumbien. Und auch im Theater spielt sie natürlich eine Rolle.
Große Emotionen im Teatro Gaitán im Zentrum Bogotás! Erst werfen sich zwei Besucher wegen eines doppelt vergebenen Sitzplatzes die schlimmsten Schimpfwörter an den Kopf und wollen aufeinander losgehen. Dann schreien auch noch die Schauspieler auf der Bühne. Shakespeares "Othello" steht natürlich für Gefühlswallungen. Aber dem deutschen Betrachter kommt das Spiel in dieser Inszenierung von Pedro Salazar und überhaupt oft im kolumbianischen Theater etwas überzogen vor.
Wenn dann nach den ganzen Toten in "Othello" der Vorhang fällt, muss man sich beim Verlassen des Theaters auch noch um seine eigene Gesundheit sorgen. Denn das Zentrum Bogotás, in dem auch die meisten anderen Theater der Stadt liegen, wird abends zu einem gefährlichen Ort. Man wird leicht ausgeraubt. Das schreckt potenzielle Theaterbesucher ab.
Die Gewalt ist das große Thema - und die Verletzlichkeit des Lebens
Auch im Großen ist die Gewalt in Kolumbien allgegenwärtig: Seit rund sechzig Jahren kämpfen das kolumbianische Militär und die Paramilitärs gegen die Rebellen. Es gab 200.000 Tote. Auch der Leiter von Mapa Teatro Rolf Abderhalden hat das in seinen Regiearbeiten thematisiert:
"Nicht nur im Theater, sondern in der kolumbianischen Kunst überhaupt ist die Gewalt das große Thema und auch die damit verbundene Verletzlichkeit des Lebens. Im Theater ist es aber schwer, von der kolumbianischen Gewalt zu erzählen, weil sie ja immer noch stattfindet. Wir Theatermacher sind so emotional mit dem Thema verbunden, dass das Stück schnell zu pathetisch, zu moralisch oder zu sentimental wird."
In diese Falle tappt das Ensemble des Umbral Teatro nicht. In einem Stück von Carolina Vivas Ferreira kämpft eine Mutter für ein ordentliches Begräbnis ihres verschwundenen und dann ermordeten Sohnes.
Eine Anspielung auf die "falschen Positiven", den perversesten Auswuchs des bewaffneten Konflikts. Soldaten brachten völlig unschuldige junge Männer um und präsentierten sie als getötete Rebellen, um das ausgesetzte Kopfgeld zu kassieren. Regisseur Ignacio Rodríguez Bejarano gibt den vielen toten "falschen Positiven" eine Stimme in seiner wunderbaren, wenn auch recht traditionellen Inszenierung.
Dokumentar-Theater spielt in Kolumbien keine wichtige Rolle
Einen moderneren Theaterbegriff vertritt Rolf Abderhalden. An der Universidad Nacional hat er einen interdisziplinären Theater-Studiengang aufgebaut. Daniela Bright stellt ihre Masterarbeit vor. Die Studentin will die Kohlemine ihres Großvaters in einer audiovisuellen Ausstellung rekonstruieren, inszenieren und präsentieren. Eine Arbeit zwischen Architektur, Videokunst und Performance.
Die meisten kolumbianischen Theaterschulen und Theater verschanzen sich dagegen in ihrem ureigenen Terrain. Als der Schweizer Regisseur Stefan Kaegi im Februar in Bogotá Studenten der darstellenden Künste von der Distrital-Universität seine dokumentarischen Theaterprojekte vorstellte, musste er sich anhören, das sei ja ganz nett, aber doch kein richtiges Theater.
Theatermacher Rolf Abderhalden sieht noch einen anderen Grund dafür, dass das rein dokumentarische Theater in diesem Land auf Ablehnung stößt:
"Für uns ist das eine recht schwer zu verstehende und schwer anzunehmende Kategorie. Kolumbianer haben nämlich große Probleme damit, Grenzen zwischen der Wirklichkeit, dem Möglichen, der Fiktion und dem Dokument zu ziehen. In diesem Land tauchen immer wieder gefälschte Dokumente auf und verschwinden plötzlich, um dann durch scheinbar echte Dokumente ersetzt zu werden, die es dann doch nicht sind. Die Kategorie des dokumentarischen Theaters würden wir uns also nicht zu eigen machen."
Und so vermengt Abderhalden in seinen Inszenierungen am Mapa Teatro einfach das Dokumentarische mit dem Fiktionalen. In ebendiesem Mapa Teatro hält der Regisseur Ong Keng Sen aus Singapur einen Vortrag über das Kuratieren von Theaterfestivals.
Viele Intrigen und kaum öffentliche Förderung
Er spricht von Transparenz und Stringenz bei der Auswahl der Stücke. Und da wird es ganz still unter den im Saal anwesenden Theaterleuten. Denn die kolumbianische Szene ist von Intrigen bestimmt. Da ist es normal, dass nur befreundete Theatergruppen zu Festivals eingeladen werden.
Normal ist auch, dass das Theater in Kolumbien kaum öffentlich gefördert wird. Und so arbeiten Schauspieler und freie Regisseure wie Laura Jiménez González oft ohne jegliche Bezahlung und kämpfen gegen die Widrigkeiten des Alltags:
"Zum Beispiel hat mich einmal ein Schauspieler angerufen: 'Ja, Laura, ich kann leider nicht zur Probe gehen, weil ich kein Geld für das Busticket habe.' Manchmal hatten die Schauspieler kein Geld, um sich Mittagessen zu kaufen. Manchmal habe ich Linsen mit Reis gekocht für die Schauspieler. Weil wenn ein Schauspieler Hunger hat, kann er nicht sehr gut spielen."