Theater in Lahore

Klingender Fußschmuck und starke Frauen

Fuß mit traditionellem Silberschmuck
Wenn in Pakistan der Fußschmuck rasselt, kann das verschiedene Bedeutungen haben. © imago / imagebroker
Von Gerd Brendel |
Pakistan vor der Wahl: Engagierte Theatermacher kritisieren das mächtige Militär, die Rolle der Religion und die soziale Ungerechtigkeit. Wie sie mit Zensur und den schwierigen Bedingungen für Bühnenkunst umgehen, hat Gerd Brendel in Lahore erfahren.
Die Zuschauer im Punjabi Cultural Centre in Lahore sind hingerissen, gerade haben sich Heer, die Tochter eines reichen Großgrundbesitzers und der arme Ranjha wiedergefunden. Ihre Liebesgeschichte kennt jeder im Publikum. Vor 250 Jahren hat sie der Dichter Wariz Shah aufgeschrieben.

Bunte Tücher statt aufwendige Kulissen

"Heer Ranjha" ist Volksliteratur. Und volkstümlich hat die Regisseurin Huma Safdar das Stück inszeniert. Auf der Bühne der Mehrzweckhalle ersetzten bunte Tücher aufwendige Kulissen. Die Musiker sitzen auf der Bühne und immer wenn Ranjha wie der Hirtengott Krishna zur Flöte greift, johlen die Zuschauer.
"Folklore hat nichts mit 'hübsch und nett' zu tun. Folklore zeigt die Leidenschaft der einfachen Leute", sagt Safdar. Seit einem Vierteljahrhundert steht die große alte Dame des Punjabi Theaters auf und hinter der Bühne.
Ihrer "brechtschen" Überzeugung vom Theater als Austragungsort gesellschaftlicher Konflikte ist sie bis heute treu geblieben. Die Geschichte von Heer und Ranjha, die tragisch endet, weil Heers Familie deren Beziehung missbilligt und am Ende die Heldin kurz vor der Hochzeit vergiftet erzählt für sie vom Klassenkampf der besitzlosen Bauern gegen die Großgrundbesitzer:
"In dem Stück geht es um Eigentum, und wenn wir nicht danach fragen, wie Besitz verteilt ist, brauchen wir erst gar nicht zu diskutieren. Die Konzentration von Reichtum in wenigen Händen ist die Ursache all unserer Probleme."
Daran hat sich bis heute in Pakistan kaum etwas geändert.

Spiegel einer Gesellschaft der Gegensätze

Das Theater spiegelt die Widersprüche der Gesellschaft: Auf der einen Seite konservative Mullahs, auf der anderen eine religionsskeptische urbane Mittelschicht. Auf der einen Seite die alles bestimmende streng patriarchale Familie, auf der anderen selbstbewusste Künstlerinnen und Theaterfrauen.
Zu ihnen zählt auch Iram Sana. Zusammen mit einer Freundin hat sie vor ein paar Jahren das Olomopolo-Kollektiv gegründet:
"Olopolomo media ist eine NGO, die kulturelle Bildungsarbeit leistet, wir produzieren Theaterstücke und arbeiten mit Schülern und Minderheiten."
Die letzte Theaterproduktion von Olopolomo "Jhaanjar Di Paanwaan Chhankaar" – "Lass die Fußketten klingen" nach einem bekannten Filmsong – erzählt auch eine Liebesgeschichte: zwischen zwei Männern. Der blinde Musiker Hamza ist gerade in seine erste eigene Wohnung eingezogen. Da trifft er auf seinen Nachbarn , den Schauspieler Zaman. Der träumt davon einmal die Filmdiva Anjuman zu verkörpern.

Die wichtigsten Aussagen stehen zwischen den Zeilen

In der Schlüsselszene tanzt Zaman zu ihrem berühmtesten Song "Jhaanjar Die Paanwaan" und die beiden kommen sich näher. Aber bevor sich die beiden zu nahe kommen, wird es auf der Bühne dunkel, nicht nur wegen der Zensur, die selbst angedeuteten Sex auf der Bühne verbietet, sondern auch wegen der Zuschauer:
"Die wichtigsten Aussagen stehen bei uns zwischen den Zeilen Das Stück wurde deshalb so positiv in der Öffentlichkeit aufgenommen weil wir nicht mit der Tür ins Haus fallen und unser Publikum mit radikalen Ideen überfordern."
Die Vorstellungen im renommierten Alhamra Cultural Complex in Lahore waren vielleicht deshalb ausverkauft, vielleicht aber auch, weil der Tänzer Zaman von einem bekannten Fernsehstar gespielt wird.
Formale Experimente habe ich bei meinen Theaterbesuchen in der kulturellen Hauptstadt Pakistans keine erlebt, aber ein Publikum, das seine Stars liebt, die alten Geschichten, die alten Lieder, aber auch genau zuhören kann. Rasselnde Fußreifen auf der Bühne können viel bedeuten: Zitat alter Tradition und Kritik an verkrusteten Strukturen und Geschlechterrollen.
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