Theater mit Kartoffelgesichtern
Er war Meisterschüler von Brecht und Weggefährte von Heiner Müller: B. K. Tragelehn wird heute 75 Jahre alt. Obwohl mehrfach mit Berufsverbot belegt, war er einer der wichtigsten Theaterregisseure der DDR. 1979 siedelte er in die Bundesrepublik über.
Er war Meisterschüler von Brecht und Weggefährte von Heiner Müller: B.K. Tragelehn wird heute 75 Jahre alt. Obwohl mehrfach mit Berufsverbot belegt, war er einer der wichtigsten Theaterregisseure der DDR. 1979 siedelte er in die Bundesrepublik über.
Ein Lebensmotto übernahm er von seinem Freund, dem Dichter Karl Mickel: "Spaß muss es machen, sonst macht’s keinen Spaß."
Bernhard Klaus Tragelehn, der sich früh schon B.K. Tragelehn nannte, geboren am 12. April 1936 in Dresden, ein zweites Mal geboren am 13. Februar 1945 − als Überlebender der Bombennacht von Dresden. Ein Vielleser schon als Schüler, zum Theater hingezogen, zu Bertolt Brecht hingezogen − an der Berliner Akademie der Künste wird er sein Meisterschüler:
"In der Situation nach dem Krieg war der Wiedereintritt Brechts als einer der großen Schriftsteller des Jahrhunderts ein Ereignis. Und das erste, was ich gesehen habe, war ein Gastspiel in Dresden mit "Mutter Courage". Das war ein enormer Eindruck, also ich hab eine Nacht durch an der Kasse gestanden und bin dann in der Vorstellung gewesen und wollte, dass es nicht aufhört – Jahre später, als ich das erste Mal in London war, war gerade im Covent Garden das Theatermuseum neu eröffnet worden. Und da lag in einer Vitrine die Rezension von Keanus Tyne zu dem Gastspiel des BE unmittelbar nach Brechts Tod im Herbst 1956, und da stand, welcher Schock das war, dass die Schauspieler völlig real waren. Und er schreibt: Kartoffelgesichter, wie sie einem in der U-Bahn gegenüber sitzen. In Dresden gibt’s heute noch keine U-Bahn, aber der Schockeindruck von Realität, die plötzlich im Theater vorkommt, war genauso."
Dieser Brecht’schen Vorstellung von einem Theater, das seine Figuren in ihrer − oft genug: widersprüchlichen − Realität zeigt, und die Lebensrealität der Zuschauer bedenkt, bleibt B.K. Tragelehn sein Leben lang treu. Mit den in der DDR proklamierten Maximen, wonach Literatur und bildende Künste der Politik untergeordnet seien, ging das nicht zusammen. Schon der 25-jährige Regisseur der Uraufführung von Heiner Müllers Stück "Die Umsiedlerin oder das Leben auf dem Lande" macht sich zum Feind der SED, weil er den Werdegang eines Dorfes von der Bodenreform 1945 bis zur vollständigen Kollektivierung nicht als grandios-sozialistische Entwicklung zeigte, sondern als widerspruchsvolle Zwangskollektivierung einer Bevölkerung, die Tragelehn auf der Bühne wie Verkrüppelte agieren ließ:
"Natürlich hatten wir einerseits ein gutes Gewissen, wir dachten, wenn man dafür ist, dass ein völlig anderes Deutschland entsteht, kann man über alles offen reden. Und das haben wir getan. Da waren Sätze, die laut über die Bühne gerufen wurden mit großer Freude: 'Kennst Du Bautzen? Ein Vorort von Sibirien!' – das war ein bisschen ungewöhnlich... wir hatten einerseits ein gutes Gewissen dabei, andererseits ist die Lust, die ich empfunden habe bei dieser Arbeit, war schon die, dass man auf Autorität mit Dreck wirft. Das war vereinbar, diese beiden Seiten. Und der Schock war, dass die Vereinbarkeit eine Illusion war."
Als antikommunistisch und konterrevolutionär wurden Stück und Inszenierung empfunden, und sofort nach der Premiere verboten. Aus der Partei wird er ausgeschlossen, als Regisseur fristlos entlassen und in den Braunkohletagebau abkommandiert – "Bewährung in der Produktion" nannte sich das. Erst drei Jahre später, nach Intervention von Paul Dessau, darf B.K. Tragelehn wieder als Regisseur arbeiten:
"Es ist damals ein Schock gewesen, das ist klar. Es war einige Zeitlang überhaupt nicht komisch... Das war immer ein Auf und Ab. Und die Grundlage war immer Angst. Aber die Angst war vielfältig. Diese Ängste sind der Hintergrund natürlich für viele Deformierungen. Und Sie konnten nie sehen, wer Freund und Feind ist und haben das immer durcheinander gebracht."
Auch seine Inszenierung von Strindbergs "Fräulein Julie", gemeinsam mit Einar Schleef 1975 am Berliner Ensemble erarbeitet, endet als Skandal. Zu drastisch-schillernd spielt Tragelehn mit den Klassenunterschieden, dem Strindbergschen Geschlechterkampf von Liebe und Lust fügt er trivial-travestiehafte Szenen-einer-Ehe-Assoziationen der DDR von 1975 hinzu – bis zur nächsten Inszenierung in der DDR werden zehn Jahre vergehen. Tragelehn siedelt in die Bundesrepublik über, wird dort zu dem Regisseur der Stücke Heiner Müllers, in Bochum bringt er "Quartett" zur Uraufführung, er inszeniert in Frankfurt, München und Düsseldorf, dort wird er Schauspieldirektor:
"Jeder hat in irgendeinem Winkel seines Herzens eine Vorstellung, dass eigentlich ein anderes Leben doch möglich sein müsste. Wie immer verdrängt, weggeschoben die Vorstellung ist, die kann im Theater dann als eine Art von Theaterglück aufsteigen..."
.... und solche Momente des "Theaterglücks" − zu "feiern" geradezu, den Zuschauer an seine verborgenen Vorstellungen vom "besseren Leben" zu erinnern – darum geht es ihm. Den Glauben an das Theater hat B.K. Tragelehn nie aufgegeben. Als Einheit von Bühne und Zuschauerraum versteht er es: als Ort der Erkenntnis, wobei die auf der Bühne nichts "besser wissen" als die unten im Saal. Ein Ort des Experiments auch, ein Ort des Lachens und Weinens – immer aber, allen Widrigkeiten zum Trotz: ein heiterer Ort.
"Das Theater ist ja eine Art Freiraum, in dem das ganze Leben vorkommt, aber als Spiel. Und der Grund ist dann eine Art Heiterkeit. Auch bei einer Tragödie, die Tragödie stärkt dann auch im Theater. Natürlich verliert man über Jahre allerlei Illusion und Gewissheiten, die man in der Jungend meist hat; wenn man halbwegs Glück hat, geht nicht die Energie verloren, noch auf was Neues zu kommen, Schritte zu tun, die man vorher noch nicht getan hat ..."
Der fröhliche Sisyphos. Der Übersetzer, die Übersetzung, das Übersetzen
Von B.K. Tragelehn
Verlag Theater der Zeit, herausgegeben von Gerhard Ahrens
Buchpremiere: Freitag, 15. April um 19.30 Uhr im Berliner Ensemble. Mit Gerhard Ahrens, Jutta Hoffmann und B.K. Tragelehn
Weitere Buchvorstellung: Sonntag, 17. April um 11 Uhr im Staatsschauspiel Dresden
Mit Friedrich Dieckmann, Peter Brombacher, Jutta Hoffmann, Jochen Kupfer, Jutta Pick (Piano), Hanns-Jörn Weber, Helga Werner und B.K. Tragelehn
Ein Lebensmotto übernahm er von seinem Freund, dem Dichter Karl Mickel: "Spaß muss es machen, sonst macht’s keinen Spaß."
Bernhard Klaus Tragelehn, der sich früh schon B.K. Tragelehn nannte, geboren am 12. April 1936 in Dresden, ein zweites Mal geboren am 13. Februar 1945 − als Überlebender der Bombennacht von Dresden. Ein Vielleser schon als Schüler, zum Theater hingezogen, zu Bertolt Brecht hingezogen − an der Berliner Akademie der Künste wird er sein Meisterschüler:
"In der Situation nach dem Krieg war der Wiedereintritt Brechts als einer der großen Schriftsteller des Jahrhunderts ein Ereignis. Und das erste, was ich gesehen habe, war ein Gastspiel in Dresden mit "Mutter Courage". Das war ein enormer Eindruck, also ich hab eine Nacht durch an der Kasse gestanden und bin dann in der Vorstellung gewesen und wollte, dass es nicht aufhört – Jahre später, als ich das erste Mal in London war, war gerade im Covent Garden das Theatermuseum neu eröffnet worden. Und da lag in einer Vitrine die Rezension von Keanus Tyne zu dem Gastspiel des BE unmittelbar nach Brechts Tod im Herbst 1956, und da stand, welcher Schock das war, dass die Schauspieler völlig real waren. Und er schreibt: Kartoffelgesichter, wie sie einem in der U-Bahn gegenüber sitzen. In Dresden gibt’s heute noch keine U-Bahn, aber der Schockeindruck von Realität, die plötzlich im Theater vorkommt, war genauso."
Dieser Brecht’schen Vorstellung von einem Theater, das seine Figuren in ihrer − oft genug: widersprüchlichen − Realität zeigt, und die Lebensrealität der Zuschauer bedenkt, bleibt B.K. Tragelehn sein Leben lang treu. Mit den in der DDR proklamierten Maximen, wonach Literatur und bildende Künste der Politik untergeordnet seien, ging das nicht zusammen. Schon der 25-jährige Regisseur der Uraufführung von Heiner Müllers Stück "Die Umsiedlerin oder das Leben auf dem Lande" macht sich zum Feind der SED, weil er den Werdegang eines Dorfes von der Bodenreform 1945 bis zur vollständigen Kollektivierung nicht als grandios-sozialistische Entwicklung zeigte, sondern als widerspruchsvolle Zwangskollektivierung einer Bevölkerung, die Tragelehn auf der Bühne wie Verkrüppelte agieren ließ:
"Natürlich hatten wir einerseits ein gutes Gewissen, wir dachten, wenn man dafür ist, dass ein völlig anderes Deutschland entsteht, kann man über alles offen reden. Und das haben wir getan. Da waren Sätze, die laut über die Bühne gerufen wurden mit großer Freude: 'Kennst Du Bautzen? Ein Vorort von Sibirien!' – das war ein bisschen ungewöhnlich... wir hatten einerseits ein gutes Gewissen dabei, andererseits ist die Lust, die ich empfunden habe bei dieser Arbeit, war schon die, dass man auf Autorität mit Dreck wirft. Das war vereinbar, diese beiden Seiten. Und der Schock war, dass die Vereinbarkeit eine Illusion war."
Als antikommunistisch und konterrevolutionär wurden Stück und Inszenierung empfunden, und sofort nach der Premiere verboten. Aus der Partei wird er ausgeschlossen, als Regisseur fristlos entlassen und in den Braunkohletagebau abkommandiert – "Bewährung in der Produktion" nannte sich das. Erst drei Jahre später, nach Intervention von Paul Dessau, darf B.K. Tragelehn wieder als Regisseur arbeiten:
"Es ist damals ein Schock gewesen, das ist klar. Es war einige Zeitlang überhaupt nicht komisch... Das war immer ein Auf und Ab. Und die Grundlage war immer Angst. Aber die Angst war vielfältig. Diese Ängste sind der Hintergrund natürlich für viele Deformierungen. Und Sie konnten nie sehen, wer Freund und Feind ist und haben das immer durcheinander gebracht."
Auch seine Inszenierung von Strindbergs "Fräulein Julie", gemeinsam mit Einar Schleef 1975 am Berliner Ensemble erarbeitet, endet als Skandal. Zu drastisch-schillernd spielt Tragelehn mit den Klassenunterschieden, dem Strindbergschen Geschlechterkampf von Liebe und Lust fügt er trivial-travestiehafte Szenen-einer-Ehe-Assoziationen der DDR von 1975 hinzu – bis zur nächsten Inszenierung in der DDR werden zehn Jahre vergehen. Tragelehn siedelt in die Bundesrepublik über, wird dort zu dem Regisseur der Stücke Heiner Müllers, in Bochum bringt er "Quartett" zur Uraufführung, er inszeniert in Frankfurt, München und Düsseldorf, dort wird er Schauspieldirektor:
"Jeder hat in irgendeinem Winkel seines Herzens eine Vorstellung, dass eigentlich ein anderes Leben doch möglich sein müsste. Wie immer verdrängt, weggeschoben die Vorstellung ist, die kann im Theater dann als eine Art von Theaterglück aufsteigen..."
.... und solche Momente des "Theaterglücks" − zu "feiern" geradezu, den Zuschauer an seine verborgenen Vorstellungen vom "besseren Leben" zu erinnern – darum geht es ihm. Den Glauben an das Theater hat B.K. Tragelehn nie aufgegeben. Als Einheit von Bühne und Zuschauerraum versteht er es: als Ort der Erkenntnis, wobei die auf der Bühne nichts "besser wissen" als die unten im Saal. Ein Ort des Experiments auch, ein Ort des Lachens und Weinens – immer aber, allen Widrigkeiten zum Trotz: ein heiterer Ort.
"Das Theater ist ja eine Art Freiraum, in dem das ganze Leben vorkommt, aber als Spiel. Und der Grund ist dann eine Art Heiterkeit. Auch bei einer Tragödie, die Tragödie stärkt dann auch im Theater. Natürlich verliert man über Jahre allerlei Illusion und Gewissheiten, die man in der Jungend meist hat; wenn man halbwegs Glück hat, geht nicht die Energie verloren, noch auf was Neues zu kommen, Schritte zu tun, die man vorher noch nicht getan hat ..."
Der fröhliche Sisyphos. Der Übersetzer, die Übersetzung, das Übersetzen
Von B.K. Tragelehn
Verlag Theater der Zeit, herausgegeben von Gerhard Ahrens
Buchpremiere: Freitag, 15. April um 19.30 Uhr im Berliner Ensemble. Mit Gerhard Ahrens, Jutta Hoffmann und B.K. Tragelehn
Weitere Buchvorstellung: Sonntag, 17. April um 11 Uhr im Staatsschauspiel Dresden
Mit Friedrich Dieckmann, Peter Brombacher, Jutta Hoffmann, Jochen Kupfer, Jutta Pick (Piano), Hanns-Jörn Weber, Helga Werner und B.K. Tragelehn